Weniger ist auch im Immunsystem manchmal mehr
Max-Planck-Forscher weisen nach, dass die Nachkommen dann über einen maximalen Immunschutz verfügen, wenn sie nur mit der optimalen Anzahl an MHC-Immungenen ausgestattet sind
Das so genannte MHC-System hat bei der Erkennung von Krankheitserregern im Körper von Wirbeltieren eine herausragende Bedeutung. Je mehr verschiedene MHC-Moleküle ein Mensch hat, umso mehr verschiedene Krankheitserreger kann sein Immunsystem erkennen und bekämpfen. In natürlichen Fisch-Populationen sorgen die Weibchen durch entsprechende Partnerwahl dafür, dass ihre Nachkommen nicht über ein Maximum, sondern meist nur eine mittlere Anzahl von MHC-Varianten verfügen. Evolutionsökologen vom Max-Planck-Institut für Limnologie in Plön gelang jetzt der Nachweis, dass dies tatsächlich auch dem postulierten immungenetischen Optimum entspricht: Derart ausgestattete Jungfische waren, wie die in der aktuellen Ausgabe von „Science“ (Vol. 301, 5. September 2003) publizierten Ergebnisse zeigen, am besten gegen den Befall durch Parasiten geschützt.
Unser Immunssystem kann Infektionskrankheiten nur nachhaltig bekämpfen, wenn körpereigene MHC-Moleküle die vom Krankheitserreger stammenden Eiweißbruchstücke (Peptide) binden können. Diese werden dann den Abwehrzellen im Immunsystem, den so genannten T-Zellen, gezeigt, die dann wiederum die Erreger bekämpfen können. Dieser Erkennungsmechanismus funktioniert nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip, d.h. zu jedem MHC-Molekül gibt es die passenden Peptide, und zu diesen MHC-Peptid-Kombinationen die passenden T-Zellen. Je mehr verschiedene MHC-Moleküle ein Mensch hat, desto mehr verschiedene Krankheitserreger kann sein Immunsystem erkennen und bekämpfen. Tatsächlich gibt es in jeder Population Hunderte von verschiedenen MHC-Varianten, aber jeder Mensch hat beispielsweise nur einige wenige davon. Zwei Menschen haben meist bereits unterschiedliche Varianten, was beispielsweise zu den bekannten Transplantationsproblemen führt. Diese enorme Vielgestaltigkeit (Polymorphismus) der MHC-Moleküle ist einzigartig ansonsten unterscheiden wir uns in unseren Genen sehr viel weniger voneinander.
Da die T-Zellen „fremd“ von „selbst“ unterscheiden, müssen jene T-Zellen frühzeitig aus der Immunabwehr aussortiert werden, die auf Eigenpeptide reagieren. Gelingt dies nur unzureichend, können Autoimmunkrankheiten entstehen, bei denen das Immunsystem körpereigene Stoffe als fremd einstuft und deshalb bekämpft. Mit einer höheren Anzahl an MHC-Varianten steigt also nicht nur die Wahrscheinlichkeit, fremde Peptide von Krankheitserregern zu binden, sondern auch das Risiko, dass mehr körpereigene Eiweißbruchstücke präsentiert werden, die T-Zellen als fremd einstufen würden. Solche T-Zelllinien werden in der frühen Entwicklung abgeschaltet. Das heißt, je mehr verschiedene MHC-Moleküle ein Individuum hat, umso mehr T-Zelllinien müssen entfernt bzw. ausgeschaltet werden. Daraus folgt nun aber wiederum: Wer über zu wenige unterschiedliche MHC-Moleküle verfügt, wird auch zu wenig verschiedene Krankheitskeime erkennen; wer zu viele verschiedene MHC-Moleküle hat, erkennt zwar viele verschiedene Keime, muss aber sein T-Zell-Repertoire so stark einschränken, dass er nur wenige davon bekämpfen kann. Die Evolutionsbiologen spekulierten daher, dass sich durch eine mittlere Anzahl von verschiedenen MHC-Molekülen pro Individuum ein zumindest auf der T-Zellebene optimaler Immunschutz einstellen lässt.
Bereits vor zwei Jahren hatten die Wissenschaftler aus der Abteilung von Prof. Manfred Milinski vom Max-Planck-Institut für Limnologie in Plön gezeigt, dass Stichlinge in natürlichen Populationen meist über eine mittlere Anzahl von MHC-Varianten (MHC Klasse II Allelen) verfügen und dass die Weibchen dies durch die geruchliche Selektion des immungenetisch passenden Partners erreichen (Reusch, Häberli, Aeschlimann & Milinski, Nature 414:300-302 (2001); siehe auch die Presseinformation „Der Duft, auf den die Weibchen stehen“. Mit ihren aktuellen Forschungsergebnissen liefern Mathias Wegner, Martin Kalbe, Joachim Kurtz, Thorsten Reusch und Manfred Milinski jetzt den experimentellen Nachweis, dass diese mittlere Anzahl von MHC-Molekülen auch dem postulierten immungenetischen Optimum entspricht.
Dazu haben die Forscher mehr als einhundert im Labor „erbrütete“ und parasitenfrei aufgezogene Nachkommen von sechs Elternpaaren gleichzeitig drei der häufigsten Parasitenarten aus dem Gewässer der Elterntiere ausgesetzt und zwar in kontrollierter natürlicher Dosis. Tatsächlich waren Jungfische mit der in der Population häufigsten mittleren Anzahl von MHC-Moleküle von der geringsten Anzahl Parasiten befallen, während jene Fische, die weniger verschiedene MHC-Moleküle aufwiesen, stärker von Parasiten befallen waren, ebenso wie jene Tiere, die über mehr MHC-Moleküle verfügten. Fische mit der optimalen Allel-Anzahl konnten darüber hinaus nicht nur die Parasiten am erfolgreichsten abwehren, sie hatten auch den besten Allgemeinzustand. Die Forscher vermuten, dass diese Fische unter natürlichen Bedingungen auch mehr eigene Nachkommen erzeugen würden.
Weitere Informationen erhalten Sie von:
Prof. Manfred Milinski
Max-Planck-Institut für Limnologie, Plön
Tel.: 04522 763 – 254, Fax.: – 310
E-Mail: milinski@mpil-ploen.mpg.de
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