Neue Forschungen zu Gedächtnis und Erinnerung

VolkswagenStiftung fördert mit insgesamt 3,6 Millionen Euro weitere sieben Vorhaben in den Neurowissenschaften – Initiative wird zum 30. April 2004 geschlossen (letztmalige Annahme von Projektanträgen)

Die VolkswagenStiftung hat in ihrer Förderinitiative „Dynamik und Adaptivität neuronaler Systeme – Integrative Ansätze zur Analyse kognitiver Prozesse“ weitere sieben Vorhaben mit insgesamt 3,6 Millionen Euro bewilligt, darunter:

841.700 Euro für das Vorhaben „Auditory object normalisation“ von Dr. Lutz Wiegrebe, Professor Dr. Benedikt Grothe und Professor Dr. Gerd Schuller von der Abteilung Biologie II der Universität München, Dr. Roy Patterson, Physiology Department, Centre for the Neural Basis of Hearing der University of Cambridge, Großbritannien – sowie Dr. Timothy Griffiths, Wellcome Department of Imaging Neuroscience, Functional Imaging Laboratory, University College London, Großbritannien

Wie können der Mensch und viele Tiere Laute, die von ganz unterschiedlichen Vertretern ein und derselben Spezies stammen, eindeutig dieser Spezies zuordnen? Oder anders: Wie erkennt der Mensch, wenn er einen alten Erwachsenen sprechen und ein Baby schreien hört, dass es sich in beiden Fällen um die Spezies Mensch handelt? Und im Tierreich: Wie erkennt eine Fledermaus an der Schallquelle, dass es sich bei zwei Insekten verschiedener Größe um dieselbe Art Beute handelt, zum Beispiel um die „Kategorie Falter“? Es leuchtet ein, dass für die sichere Erkennung von auditorischen Objekten eine Trennung von Größen- und Strukturinformation essenziell ist. Und offenkundig ist wohl auch, dass sowohl Säuger- als auch Fledermausgehör diese „Normierung“ auditorischer Objekte weitgehend automatisch vornehmen. Eine wissenschaftliche Erklärung dieser außerordentlichen Wahrnehmungsleistung und ihrer neuronalen Grundlagen fehlt jedoch. Dies ist das Ziel des deutsch-britischen Forscherteams, das die neuronalen Grundlagen der beschriebenen „auditorischen Objektnormierung“ charakterisieren will. Das Methodenspektrum reicht von der Psychophysik über bildgebende Verfahren bis zur Elektrophysiologie.

Kontakt Universität München
Abteilung Biologie II
Dr. Lutz Wiegrebe
Telefon: 089/5902-609
E-Mail: wiegrebe@zi.biologie.uni-muenchen.de

Professor Dr. Benedikt Grothe
Telefon: 089/5902-315
E-Mail: grothe@zi.biologie.uni-muenchen.de

Professor Dr. Gerd Schuller
Telefon: 089/5902-517
E-Mail: schuller@zi.biologie.uni-muenchen.de

725.500 Euro für das Vorhaben „When neurons form memories: The role of oscillatory dynamics and synchronization“ von Dr. Jürgen Fell, Professor Dr. Christian E. Elger und Privatdozent Dr. Guillén Fernández von der Klinik für Epileptologie der Universität Bonn – sowie Dr. Pascal Fries und Dr. Ole Jensen, F. C. Donders Centre for Cognitive Neuroimaging der University of Nijmegen, Niederlande

Das Erinnerungsvermögen ist eine unserer wichtigsten kognitiven Leistungen. Die genauen Abläufe jedoch, die zur Ausbildung von Kurz- und Langzeitgedächtnis führen, sind noch immer ungeklärt. Wie zum Beispiel ist es möglich, sogar mehrere Inhalte zeitlich segmentiert im Kurzzeitgedächtnis zu halten? Ein denkbarer Mechanismus ist die so genannte oszillatorische Synchronisation. Die „Synchronität von Nervenzellen“ ist ein erst seit kurzem erforschtes Phänomen, das auf der Überlegung fußt: Wie verständigen sich räumlich im Gehirn zum Teil weit auseinander liegende Nervenzellen darüber, dass sie bei der Kodierung bestimmter Inhalte zusammenarbeiten müssen? Hier knüpft auch die Arbeitshypothese des deutsch-niederländischen Wissenschaftlerteams an. Sie gehen davon aus, dass ein für die Gedächtnisbildung verantwortliches weit verteiltes Netzwerk an Zellen durch neuronale Synchronisation zusammengehalten wird. Elegant an dem Vorhaben ist, dass die Forscher für ihre Arbeiten auf die Unterstützung von Epilepsiepatienten zurückgreifen können, deren Gehirnareale im Zuge einer prächirurgischen Abklärung genau elektrophysiologisch untersucht werden müssen und deren Aufzeichnungen sich dann für diese wissenschaftlichen Fragestellungen nutzen lassen.

Kontakt Universität Bonn
Klinik für Epileptologie
Dr. Jürgen Fell
Telefon: 02 28/2 87 93 47
E-Mail: juergen.fell@ukb.uni-bonn.de

Professor Dr. Christian E. Elger
Telefon: 02 28/2 87 57 27
E-Mail: christian.elger@ukb.uni-bonn.de

Privatdozent Dr. Guillén Fernández
Telefon: 02 28/2 87 47 78
E-Mail: guillen.fernandez@meb.uni-bonn.de

577.000 Euro für das Vorhaben „The application of multifocal transcranial magnetic stimulation to the analysis of degenerate functional representations in the human motor and semantic system“ von Privatdozent Dr. Hartwig Roman Siebner, Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (Campus Kiel) und Privatdozent Dr. Thomas Weyh vom Heinz-Nixdorf-Lehrstuhl für medizinische Elektronik der Technischen Universität München

Bei dieser deutsch-britischen Kooperation handelt es sich um ein methodisch orientiertes Vorhaben. Untersucht wird dabei die Fähigkeit verschiedener biologischer Systeme, die gleiche Aufgabe verrichten zu können – auch als „funktionelle Degeneration“ bezeichnet. Vom Gehirn beispielsweise ist bekannt, dass die Leistungen ausgefallener Areale – etwa nach einem Schlaganfall – durch andere Gehirnregionen kompensiert werden können. Daran an schließt sich natürlich die Frage: Welche Areale springen bei dem Ausfall anderer ein – und auch: Wie viele Zentren dürfen versagen, bis eine Kompensation bestimmter Leistungen nicht mehr möglich ist? Ziel der Wissenschaftler ist es, ein Gerät zur „multifokalen transkraniellen Magnetstimulation (mTMS)“ zu entwickeln, das es erlaubt, bis zu vier Areale im Gehirn gleichzeitig zu stimulieren oder vorübergehend auszuschalten. Gemeinsam mit der funktionellen Bildgebung soll die mTMS verwendet werden, um die funktionelle Degeneration in jenen neuronalen Systemen aufzudecken, die an der Auswahl von Handlungen und an der Sprache beteiligt sind. Und durch die Variation der Zielgebiete und des Zeitpunktes der mTMS wollen die Forscher auch die räumliche und zeitliche Interaktion zwischen den Arealen bestimmen, die ein „degeneriertes System“ ausmachen. Für den konkreten Einsatz in der Medizin könnten diese Forschungen bedeuten, dass bei Patienten mit chronischem Schlaganfall mit Hilfe der mTMS künftig Aussagen möglich werden über die langfristige Reorganisation degenerativer Systeme nach einer Hirnschädigung.

Kontakt Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Campus Kiel
Klinik für Neurologie
Privatdozent Dr. Hartwig Roman Siebner
Telefon: 04 31/5 97 26 10
E-Mail: h.siebner@neurologie.uni-kiel.de

Kontakt TU München
Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik
Privatdozent Dr. Thomas Weyh
Telefon: 0 89/28 92 84 29
E-Mail: weyh@ei.tum.de

466.900 Euro für das Vorhaben „Does reconsolidation recapitulate consolidation?“ von Professor Dr. Randolf Menzel vom Institut für Biologie, Neurobiologie der Freien Universität Berlin, Professor Karim Nader, Psychology Department der McGill University, Montreal, Kanada, Professor Joseph LeDoux, Center for Neural Science der New York University, USA – sowie Professor Yadin Dudai, The Weizmann Institute of Science, Rehovot, Israel.

Ein weiteres spannendes Projekt auf dem Gebiet der Neurowissenschaften geht der „Gedächtniskonsolidierung“ nach. Die Theorie der Gedächtniskonsolidierung beruht auf der Annahme, dass sich ein neuer Gedächtnisinhalt zunächst für einige Minuten oder Stunden in einer labilen Phase befindet, bevor er sich im Nervensystem durch einen Prozess auf dem Weg der Proteinsynthese verfestigt. Vorversuche haben nun gezeigt, dass Gelerntes, und damit Gespeichertes, beim Aufrufen wieder in den labilen Zustand überführt wird – was dann zur Speicherung des Wissens eine erneute Proteinsynthese erforderlich macht. Die Prozesse rund um diese „Rekonsolidierung“ untersucht das internationale Forscherteam mit großem Erfolg und Unterstützung der Stiftung bereits seit drei Jahren: auf der Ebene des Verhaltens, der Nervenzellen und der molekularen Abläufe – und zwar am Beispiel von Ratten, Fischen und Honigbienen. Wie wird aus einem labilen wieder ein stabiler Zustand? Welche Zeitintervalle sind relevant? Beruht das Vergessen bestimmter Inhalte bei einer Störung in der Rekonsolidierungsphase auf einer Beeinträchtigung der Speicherung oder aber auf der Unfähigkeit zum erneuten Abruf des vorhandenen Wissens? Ziel des jetzt bewilligten Fortsetzungsprojekts ist es, diese und andere Fragen zu beantworten. So möchten die Forscher insbesondere wissen, ob der Konsolidierung und der Rekonsolidierung ähnliche oder aber unterschiedliche Mechanismen zu Grunde liegen. Auch könnten die Erkenntnisse von großer Bedeutung sein für Patienten, die nach einem traumatischen Erlebnis am unkontrollierten Wiederauftauchen bedrohlicher Erinnerungen leiden.

Kontakt Freie Universität Berlin
Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie
Institut für Biologie, Neurologie
Professor Dr. Randolf Menzel
Telefon: 0 30/83 85 39 30
E-Mail: menzel@neurobiologie.fu-berlin.de

Nachdem die kognitiven Neurowissenschaften inzwischen deutlich stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit sowohl der Öffentlichkeit als auch anderer staatlicher und privater Förderorganisationen gerückt sind, wird die Initiative zum 30. April 2004 beendet. Die Stiftung engagiert sich im Rahmen anderer Förderinitiativen (zum Beispiel den Lichtenberg-Professuren, den Symposien und Sommerschulen) auch weiterhin in diesem wichtigen Forschungsgebiet – und behält sich zudem vor, Ausschreibungen oder die Förderung einzelner Pilotprojekte in neuen, innovativen und viel versprechenden Randbereichen der Neurowissenschaften in Erwägung zu ziehen.

Des Weiteren wurden in der neurowissenschaftlichen Förderinitiative folgende drei Bewilligungen ausgesprochen:

424.000 Euro für das Vorhaben „Mechanisms of visual attention in area MT and prefrontal neurona populations: Electrophysiology and computational modeling“ von Professor Dr. Stefan Treue, Abteilung Kognitive Neurowissenschaften im Deutschen Primatenzentrum, Göttingen – sowie von Professor Xiao-Jing Wang von der Brandeis University in Waltham, USA, und Dr. Albert Compte, Instituto de Neurociencias der Universidad Miguel Hernández-CSIC, Sant Joan d’Alacant, Spanien.

Kontakt Deutsches Primatenzentrum GmbH
Abteilung Kognitive Neurowissenschaften
Professor Dr. Stefan Treue
Telefon: 05 51/3 85 11 17
E-Mail: treue@gwdg.de

298.000 Euro für das – methodisch orientierte – Vorhaben „A methodological framework for spatio-temporal characterization of large scale oscillatory neural interactions in the human brain“ von Professor Dr. Alfons Schnitzler und Dr. Joachim Groß, Neurologische Klinik und Poliklinik im Universitätsklinikum der Universität Düsseldorf.

Kontakt Universität Düsseldorf
Universitätsklinikum
Neurologische Klinik und Poliklinik
Professor Dr. Alfons Schnitzler
Telefon: 02 11/8 11 78 93
E-Mail: schnitza@uni-duesseldorf.de

Dr. Joachim Groß
Telefon: 02 11/8 11 84 15
E-Mail: jgross@uni-duesseldorf.de

264.600 Euro für das – methodisch orientierte – Vorhaben „The refinement and validation of spatial statistical models for the analysis of diffusion weighted imaging data: In vivo assessment of human brain anatomical connectivity“ von Dr. Christian Büchel, Dr. Martin A. Koch und Dr. Jürgen Finsterbusch von der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Labor für Kognitive Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf – sowie von Dr. Stefan Kiebel, The Wellcome Department of Cognitive Neurology, University College London, Großbritannien.

Kontakt Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Klinik und Poliklinik für Neurologie, Labor für Kognitive Neurowissenschaften
Dr. Christian Büchel
Telefon: 0 40/4 28 03 47 26
E-Mail: buechel@uke.uni-hamburg.de

Dr. Martin A. Koch
Telefon: 0 40/4 28 03 57 82
E-Mail: mkoch@uke.uni-hamburg.de

Dr. Jürgen Finsterbusch
Telefon: 0 40/4 28 03 77 46
E-Mail: jfinster@uke.uni-hamburg.de

Kontakt Förderinitiative der VolkswagenStiftung
Dr. Henrike Hartmann
Telefon: 0511/8381 – 252
E-Mail: hartmann@volkswagenstiftung.de

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