Phytohormone
Wissenschaftlicher Pressedienst Chemie 35/00 vom 24. August 2000
Phytohormone
Was bewirken Pflanzenhormone beim Menschen?
Hormonähnliche Wirkungen von Umweltchemikalien auf Menschen und Tiere werden seit einigen Jahren diskutiert. Hinweise auf Fehlentwicklungen und Funktionsstörungen der Geschlechtsorgane von Fischen und Alligatoren sowie abnehmende Spermienzahlen bei Männern ließen die Wissenschaft aufhorchen. Dies führte zu verstärkten Forschungsbemühungen, insbesondere über Auswirkungen mancher Industriechemikalien, denen hormonähnliche Wirkungen nachgesagt wurden.
Dabei geriet aber ein Aspekt ein wenig aus den Augen: Auch Pflanzen produzieren hormonähnliche Wirkstoffe, sogenannte Phytohormone. Zu diesen Pflanzen gehören wichtige Nahrungslieferanten wie Soja, so dass größere Mengen Phytohormone auf natürlichem Wege in die Nahrungskette gelangen.
Dies war für das Beratergremium für Altstoffe (BUA) der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) Anlass genug, Phytohormone genauer unter die Lupe zu nehmen. Die ursprüngliche Aufgabe des BUA ist es, Risikobewertungen für Industriechemikalien vorzunehmen. Bis heute wurden 322 Substanzen auf ihre toxikologischen und ökotoxikologischen Eigenschaften hin geprüft. Mit dem nun erschienenen Stoffbericht „Genistein“ legt das BUA zum ersten Mal die Bewertung eines Naturstoffs vor.
Genistein ist ein Pflanzenhormon aus der Gruppe der Phytoöstrogene und wurde als Modellsubstanz ausgewählt, weil es in vielen Nahrungspflanzen vorkommt, damit hohe Relevanz für den Menschen hat und weil viele Untersuchungen zu diesem Hormon vorhanden sind. Hohe Genisteinmengen sind in Soja, aber auch z. B. in Erdklee und schwarzen Bohnen enthalten. Wie Studien zeigen, setzt Genistein die Fruchtbarkeit von Schafen und Vögeln herab, so daß vermutet wird, daß sich Pflanzen durch Genistein vor Fraßfeinden mit einer Langfriststrategie schützen.
Ernährungsbedingt nehmen besonders Asiaten und Säuglinge, die mit Sojamilch ernährt werden, hohe Genisteinmengen mit der Nahrung auf. So liegt der Genisteingehalt des Blutes von Japanern 43fach über dem von Finnen, bei Säuglingen mit Sojadiät gar 400fach. Bei diesen beiden Gruppen sollte man mögliche Auswirkungen also am ehesten feststellen können. Es zeigte sich, daß Japanerinnern im Vergleich zu Frauen in westlichen Ländern einen auf durchschnittlich 32 Tage verlängerten Periodenzyklus aufweisen und gleichzeitig ein um 25 Prozent reduziertes Brustkrebsrisiko haben. Beide Erscheinungen können vermutlich auf die Zufuhr von Phytohormonen mit der Nahrung zurückgeführt werden.
Bei Säuglingen mit Sojadiät konnten keinerlei nachteilige Effekte nachgewiesen werden. Diesen wegen der extrem hohen Hormonwerte im Blut zunächst überraschenden Befund erklärten die Wissenschaftler mit der Tatsache, dass sich Embryonen ohnehin in einem stark östrogenhaltigen Milieu entwickeln. Auch vermutete Effekte auf die Fertilität männlicher Nachkommen von Asiatinnen mit traditioneller Ernährung ließen sich nicht nachweisen.
Zusammenfassend kommt das Beratergremium in seinem Stoffbericht zu dem Schluss, dass negative Auswirkungen von Genistein bzw. Phytohormonen auf den Menschen nicht nachweisbar sind, sondern dass im Gegenteil eher gesundheitsfördernde Merkmale, insbesondere durch Verminderung des Brustkrebsrisikos vorzuliegen scheinen. Dennoch wird von einer Einnahme hochdosierter Präparate zur Prävention abgeraten, da die Untersuchungen nicht ausreichen, um unerwünschte Nebenwirkungen mit Sicherheit auszuschließen.
GDCh (Gesellschaft Deutscher Chemiker) (2000), Genistein – Modellstoff zur Beschreibung endokriner Wirkungen von Phytoöstrogenen. BUA-Stoffbericht 222, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft S. Hirzel, Stuttgart, ISBN 3-7776-1037-2, ISSN 0179-2601.
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