MecWorm: Künstliche Raupe "kaut" täuschend echt
Wie Max-Planck-Wissenschaftler aus Jena die Pflanzen überlisten und so ihren Abwehrmechanismen auf die Spur kommen
Viele Tierarten können Bedrohungen aus der Natur einfach wahrnehmen, weil sie Augen, Ohren und Nase haben. Pflanzen haben es da nicht so leicht – ihnen fehlen die Sinnesorgane und weglaufen können sie schon gar nicht. Aber auch Pflanzen wehren sich gezielt, um zu überleben und ihre Art zu erhalten. Sie können beispielsweise genau unterscheiden, ob ihre Blätter von einem Hagelkorn durchbohrt wurden oder ob Raupen im Begriff sind, ihnen den Garaus zu machen. Wie sie das erkennen und darauf reagieren, erforschen Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena. Sie konstruierten nun eigens dafür eine mechanische Raupe, MecWorm genannt, die „kaut“ wie ihre natürlichen Verwandten – kontinuierlich, im Takt und über einen längeren Zeitraum. Erstaunliches Ergebnis der Täuschung: Die chemischen Signale im Speichel von Raupen spielen zunächst keine Rolle; Pflanzen erkennen einen Insektenbefall an der Art und Weise, wie ihre Blätter verletzt werden. Erst dann modulieren die vorhandenen Stoffe die pflanzliche Abwehrreaktion zusätzlich und sorgen für ein spezifisches Abwehrmuster (Plant Physiology, 1. März 2005).
Bevor die Jenaer Gruppe um Axel Mithöfer und Wilhelm Boland die mechanische Raupe konstruierte, hatte man schon einiges versucht, um Insektenfraß an Pflanzen im Labor vorzutäuschen. Doch ob die Blätter mit einer Rasierklinge angeritzt wurden oder mit einer Pinzette zerdrückt – die Pflanze beachtete es kaum und verbuchte die Verletzungen als minder gefährlich. Kein Grund also, ein energetisch aufwändiges Abwehrprogramm in Gang zu setzen und Duftstoffe zu produzieren. Denn genau das wäre die Reaktion auf Insektenfraß. Erstmals MecWorm konnte die Pflanze täuschen und erzeugte in Blättern der Limabohne (Phaseolus lunatus) fast dieselbe Abwehrreaktion wie seine „natürlichen“ Verwandten.
MecWorm besteht im Grunde aus nichts anderem als einem Computer, einem Schrittmotor und einem kleinen Metallbolzen, der Schläge in definierten Bereichen eines Blattes vollführen kann. Wesentlicher Bestandteil des Versuchsaufbaus ist eine geschlossene Kammer, in der sich das Blatt befindet. Aus dieser können diejenigen gasförmigen Moleküle (Duftstoffe) gefiltert und nachfolgend gemessen werden, die die Pflanze als Reaktion auf die mechanische Verwundung abgibt.
In einer Reihe von Versuchen stellte sich heraus, dass kurze Bolzenschläge im Abstand von fünf Sekunden über einen Zeitraum von 17 Stunden ausreichen, um genau die Duftstoffabgabe des Blattes hervorzurufen, die auch durch den Fraß von Spinnmilben oder Insektenlarven ausgelöst wird. Die Duftstoffe zeigten lediglich teilweise unterschiedliche Konzentrationen im Vergleich zum natürlichen Fraßbefall. Die Menge bestimmter, vom Blatt emittierter Duftstoffe, z.B. Hexenylacetat und Linalool, war außerdem nicht nur vom Zeitraum, in dem die Bolzenschläge wirkten (3 bzw. 17 Stunden), sondern auch von der Größe des „befallenen“ Blattareals (ca. 300 oder 700 mm2) abhängig. Ein den Wissenschaftlern bereits bekannter und für die Abwehr wichtiger Signalstoff, das Methylsalicylat, zeigte in diesen Versuchen allerdings einen konstanten Gehalt. „Dieses Ergebnis ist noch etwas verwirrend, unterstreicht aber erneut die besondere Rolle des Moleküls in Pflanzen“, erklärt Axel Mithöfer.
MecWorm zeigt, dass die Duftstoffabgabe von Pflanzen als Reaktion auf Insektenfraß zumindest im Anfangsstadium viel weniger spezifisch ist als bislang angenommen. Einen Hinweis darauf hatten bereits Versuche mit Raupen (Spodoptera littoralis) bzw. Schnecken (Cepaea hortensis) gegeben: Beide Tierarten rufen in der Limabohne die Abgabe derselben Duftstoffe hervor, obwohl Raupen am Blatt kauen, während Schnecken mit Hilfe ihres speziellen Mundwerkzeugs, der Radula, das Blatt wie mit einem Sandpapier zerreiben.
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