Wie Nervenzellen kommunizieren
Die elektrischen Feldpotenziale, die Gehirnströme widerspiegeln, werden nicht durch die elektrische Leitfähigkeit des Gehirns beeinträchtigt. Wie Forscher vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen herausgefunden haben, leitet das Gehirn elektrische Ströme ähnlich wie Salzwasser. Dies impliziert, dass zum Beispiel die Signale eines Elektro-Enzephalogramms (EEG) die Eigenschaften der Nervenzellen oder Neuronen-Populationen korrekt wiedergeben und nicht durch passive elektrische Eigenschaften der Hirnsubstanz verfälscht werden (Neuron 6. September 2007).
Die Grundlage der Sinnesverarbeitung im Gehirn bilden elektrische Impulse, mit denen die einzelnen Nervenzellen miteinander kommunizieren. Diese Signale laufen entlang der Nervenfortsätze und erlauben es dem Gehirn, Information gezielt von einem Areal oder Neuron zu einem anderen zu senden. Um nun das Gehirn zu verstehen, messen Wissenschaftler genau diese Hirnströme. Dies allerdings oft mit sehr ungenauen und großflächigen Methoden, wie zum Beispiel den Elektroden des Elektro-Enzephalogramms (EEG), die direkt auf dem Kopf platziert werden.
Um von den gemessenen Hirnströmen auf die Aktivität der Neurone schließen zu können, ist ein Verständnis der elektrischen Eigenschaften des Gehirns unerlässlich. Obwohl die Kommunikation der Neurone entlang der Nervenbahnen erfolgt, breiten sich die dabei entstehenden elektrischen Felder und Ströme in alle Richtungen aus. Diese diffuse Ausbreitung ergibt sich aus der Tatsache, dass das Gehirn ein mit Zellmembranen und Nervenfasern durchzogener Elektrolyt ist, das heißt zum größten Teil aus elektrisch leitfähigen Substanzen besteht, ähnlich wie Salzwasser. Nur aufgrund dieser diffusen Ausbreitung der elektrischen Nervenimpulse können Wissenschaftler die neuronale Aktivität außerhalb der Zellmembran und des Schädels überhaupt messen.
Bislang waren die elektrische Leitfähigkeit und ihr Einfluss auf die gemessenen Hirnströme leider nur unzulänglich bekannt. So wurde oft das Argument vorgebracht, dass die Hirnrinde wie ein kapazitiver Filter wirkt. Das würde bedeuten, dass die diffuse Ausbreitung elektrischer Signale von Ihrer Schwingungsfrequenz abhängt. Auch wenn diese Idee auf den ersten Blick seltsam anmutet, so lassen sich doch einige Beobachtungen damit erklären. Zum Beispiel die Tatsache, dass Signale tiefer Frequenz im EEG eher unspezifisch sind und über große räumliche Abstände mit einander korrelieren, während Signale hoher Frequenz selektiv und räumlich sehr begrenzt zu sein scheinen.
Um diese Hypothese zu untersuchen, haben Forscher des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen ein Messsystem entwickelt, dass es erlaubt den elektrischen Widerstand der Hirnsubstanz für Ströme verschiedener Frequenz zu messen. Dies ist äußerst anspruchsvoll, da die Wissenschaftler dazu erst den Einfluss der Messapparatur auf den gemessenen Widerstand ausschließen mussten. Durch eine Modifikation der Kelvin Methode – hierbei werden vier Elektroden verwendet, zwei zum Einspeisen einer elektrischen Schwingung und zwei zu deren Messung – ist dies nun zum ersten Mal gelungen.
EEG-Messungen werden nicht verfälscht
Die Messungen haben die Hypothese der Hirnrinde als frequenzabhängigen Filter eindeutig widerlegt. Sie beweisen im Gegensatz dazu, dass die Hirnsubstanz elektrische Ströme mit den gleichen Eigenschaften leitet wie ein klassischer Ohmscher Widerstand – das Gehirn verhält sich in dieser Hinsicht wie ein Glas salziges Wasser. Insbesondere konnten wir zeigen, dass der spezifische Widerstand der grauen Substanz frequenzunabhängig und in alle Richtungen gleich ist. In der weißen Substanz, die vor allem aus Nervenverbindungen besteht und selbst keine Neurone enthält, ist dies allerdings anders. Hier hängt die Leitfähigkeit von der Messrichtung ab und ist in paralleler Richtung zu den Nervenverbindungen deutlich höher, aber auch hier ist die Leitfähigkeit für alle Schwingungen gleich.
Diese Erkenntnisse verbessern die Interpretierbarkeit von elektrophysiologischen Ableitungen enorm. Wie Wissenschaftler können jetzt mit Sicherheit sagen, dass die Eigenschaften der gemessenen Signale vor allem die Eigenschaften der Nervenzellen oder Neuronen-Populationen widerspiegeln, die diese Signal generieren, und nicht durch passive elektrische Eigenschaften der Hirnsubstanz verfälscht werden.
Originalveröffentlichung:
Nikos Logothetis, Christoph Kayser, Axel Oeltermann
In vivo Measurement of Cortical Impedance Spectrum in Monkeys: Implications for Signal Propagation
Neuron 55 (2007)
Media Contact
Weitere Informationen:
http://www.mpg.de/Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Neuartige biomimetische Sprechventil-Technologie
Ein Forschungsteam der Universität und des Universitätsklinikums Freiburg hat eine neuartige biomimetische Sprechventil-Technologie entwickelt, die die Sicherheit für Patient*innen mit Luftröhrenschnitt erheblich erhöhen könnte. Die Herausforderung: Bei unsachgemäßem Gebrauch von…
Kollege Roboter soll besser sehen
CREAPOLIS-Award für ISAT und Brose… Es gibt Möglichkeiten, Robotern beizubringen, in industriellen Produktionszellen flexibel miteinander zu arbeiten. Das Projekt KaliBot erreicht dabei aber eine ganz neue Präzision. Prof. Dr. Thorsten…
Neue einfache Methode für die Verwandlung von Weichmagneten in Hartmagnete
Ein Forscherteam der Universität Augsburg hat eine bahnbrechende Methode entdeckt, um einen Weichmagneten in einen Hartmagneten zu verwandeln und somit magnetische Materialien zu verbessern: mithilfe einer moderaten einachsigen Spannung, also…