Gelbes Stroh statt Schwarzes Gold
Forschungszentrum Karlsruhe entwickelt und testet Verfahren zur Nutzung von Biomasse als Ersatz für fossile Energieträger
Durch eine verstärkte Nutzung von biogenen Rest- und Abfallstoffen wie Stroh und Restholz könnten in Deutschland beachtliche Mengen Erdöl und anderer fossiler Energieträger eingespart werden. Am Forschungszentrum Karlsruhe wurde nun ein Verfahren entwickelt, das die Nutzung von Biomasse sowohl technisch als auch logistisch und wirtschaftlich erheblich erleichtert. Das neue Konzept basiert auf der Kombination von Pyrolyse (Zersetzung beim Erhitzen unter Luftausschluss) und Gaserzeugung. Die Umsetzung erfolgt in zwei Stufen: Dezentrale Anlagen erzeugen zunächst Pyrolyseöl und Pyrolysekoks mit hoher Energiedichte, die dann als stabile Mischung mit geringen Transportkosten zu wenigen zentralen Großanlagen transportiert wird. Dort wird ein Synthesegas hergestellt, das in der chemischen Industrie als Ausgangsprodukt zur Gewinnung hochwertiger Kraftstoffe und Chemikalien dient oder direkt verstromt werden kann. Die technologische Seite des Verfahrens – die Erzeugung eines hochwertigen Synthesegases aus einer Mischung von Pyrolysekoks und Pyrolyseöl – wurde jetzt an einer verfahrenstechnisch relevanten Anlage mit 2000 kW Leistung erfolgreich demonstriert.
In Deutschland wird zur Zeit nur rund 1 % des Primärenergiebedarfs durch Biomasse – meist Holz – abgedeckt. Allein die etwa 20 Millionen Tonnen Stroh, die nicht landwirtschaftlich genutzt, sondern verbrannt oder untergepflügt werden, könnten weitere 2 % abdecken. Die deutschen Landwirte könnten durch den Verkauf dieses Überschussstrohs und weiterer Reststoffe zusätzliche Erlöse erwirtschaften. Das gesamte jährliche Aufkommen an biogenen Rest- und Abfallstoffen liegt in Deutschland bei etwa 80 Millionen Tonnen organischer Trockenmasse. Bei vollständiger Verwertung ließen sich damit 450 Liter Heizöl pro Einwohner und Jahr einsparen. Aus Bio-Reststoffen könnten damit bis zu 10 % unseres Primärenergiebedarfs gedeckt werden.
Biogene Rest- und Abfallstoffe sind kostengünstig, fallen aber auf große Flächen verteilt an und verursachen deshalb hohe Transportkosten auf dem Weg zu zentralen Verwertungsanlagen. Auch bei einer Nutzung durch Vor-Ort-Verbrennung entstehen durch viele kleine Anlagen und durch die notwendigen Schadstoffminderungsmaßnahmen hohe Kosten. Der hohe Anteil korrosiver Inhaltsstoffe beispielsweise in Stroh führt außerdem zu schnellem Anlagenverschleiß. Zur Nutzung des energetischen Potenzials biogener Stoffe bedarf es deshalb intelligenter Verfahren.
Als effiziente Lösung wurde am Forschungszentrum Karlsruhe ein zweistufiges Verfahren ausgearbeitet: Das Konzept sieht regionale Anlagen mit einem Einzugsbereich von etwa 25 km vor, in denen aus Stroh oder anderen organischen Reststoffen ein Gemisch aus Pyrolyseöl und Pyrolysekoks erzeugt wird. Dieses flüssige Gemisch, das so genannte Slurry, hat eine 10 mal höhere Energiedichte als ein Strohballen und kann deshalb kostengünstig zu einer zentralen Großanlage transportiert werden.
„Das Gemisch aus Pyrolyseöl und Pyrolysekoks, das in der ersten Stufe erzeugt wird, kann noch nicht direkt verwertet werden. Es hat eine schlammähnliche Konsistenz und erfordert spezielle Anlagen, in denen es veredelt und genutzt wird“, erläutert Dr. Edmund Henrich, der das Konzept im Institut für Technische Chemie, Bereich Chemisch-Physikalische Verfahren, des Forschungszentrums entwickelt hat. „Diese technisch aufwendigen Anlagen sind aber erst ab einer bestimmten Größe wirtschaftlich. Small ist hier nicht beautiful, sondern teuer.“
In der zweiten Stufe kommt deshalb eine zentrale Großanlage zum Einsatz – idealerweise ein Flugstrom-Druckvergaser, wie ihn das deutsche Brennstoffinstitut Freiberg entwickelt hat und das Sekundärrohstoff-Verwertungszentrum Schwarze Pumpe großtechnisch betreibt. Demonstrationsanlagen befinden sich bei der Firma Babcock Borsig Power in Freiberg/Sachsen. Die gekühlte Konstruktion des Vergaser-Mantels erlaubt den Einsatz von Brennstoffen mit unterschiedlichsten Aschegehalten und qualitäten. Bei hohen Vergasungstemperaturen von 1200 bis 1500 °C kann mit dem Gemisch aus Pyrolyseöl und koks ein hochwertiges Synthesegas erzeugt werden, das zur Weiterverwendung in der chemischen Industrie geeignet ist. Hier ist nun der technologische Durchbruch gelungen: Wissenschaftler des Forschungszentrums Karlsruhe konnten im Rahmen einer Versuchskampagne in Freiberg erstmals zeigen, dass eine Anlage mit der verfahrenstechnisch relevanten Leistung von 2000 kW mit den Öl-Koks-Slurries bei hohem Druck und mit reinem Sauerstoff sicher betrieben werden kann. Die Anlage wird – wie vorausberechnet – auch mit den hohen Koks- und Ascheanteilen im Slurry fertig. Auf Vorschlag des Forschungszentrums wurde erstmals ein vom Anlagenbetreiber entwickelter neuer Brenner eingesetzt, in dem das Vergasungsmittel Sauerstoff zugleich die Zerstäubung der Slurries übernimmt. Das entstehende Synthesegas ist teerfrei. Es kann in der chemischen Industrie als Ausgangsprodukt zur Erzeugung hochwertiger Kraftstoffe oder Chemikalien eingesetzt oder auch direkt verstromt werden.
Bisher hatte man sich bemüht, mit erheblichem Aufwand durch zusätzliche Aufbereitungsverfahren oder schon bei der Pyrolyse so reine Öle herzustellen, dass sie als Kraftstoffe für stationäre Turbinen und Dieselmotoren brauchbar sind. Durch die Flugstrom-Druckvergasung wird dieser Aufwand überflüssig.
Das Verfahren ist für alle zerkleinerten, trockenen biogenen Reststoffe geeignet. Dadurch wird das Spektrum der hochwertig nutzbaren Biomasse erheblich erweitert: Nicht nur Stroh, sondern auch andere Restbiomasse aus der Landwirtschaft wie als Futter unbrauchbares Heu, aber auch Holz sowie Papier- und Pappeabfälle, die im Wesentlichen aus Zellulosefasern bestehen, werden damit einer effizienten Verwertung zugänglich. Die Erzeugung von Synthesegas ermöglicht gerade bei schwierigen Biobrennstoffen wie Stroh eine flexiblere und umweltverträglichere Nutzung als die Verbrennung.
Verfahrensführung
Im ersten Verfahrensschritt wird die zerkleinerte, trockene Biomasse mit heißem Sand als Wärmeträger gemischt. Innerhalb weniger Sekunden erfolgt die Aufheizung (auf rund 500 °C) und Zersetzung der Partikel. Unter diesen Bedingungen entsteht hauptsächlich Pyrolyseöl und ein geringerer Anteil Pyrolysekoks. Der kleine Brenngasanteil wird zur Heizung der Anlage genutzt. Der Koks wird vermahlen und im Pyrolyseöl aufgeschlämmt; aufwendige Aufbereitungs- und Reinigungsverfahren entfallen.
Im zweiten Verfahrensschritt wird der Slurry in einen Flugstrom-Druckvergaser gepumpt und dort bei einem hohen Druck von 25 bar und mehr mit Sauerstoff bei ca. 1300 °C innerhalb von 2 bis 3 Sekunden in ein Synthesegas umgewandelt. Der hohe Druck beschleunigt die Vergasung, erleichtert die anschließende Synthesegas-Reinigung und macht eine aufwendige Gaskompression vor der Kraftstoff- oder Chemikalienerzeugung überflüssig.
Im Forschungszentrum wurden Voruntersuchungen zur Schnellpyrolyse und zur Herstellung und Zerstäubung der Schlämme durchgeführt. Nachdem jetzt die technische Machbarkeit des entscheidenden Verfahrensschrittes durch die Versuchskampagne in Freiberg abgesichert worden ist, wird das Verfahren mit Nachdruck weiter entwickelt. Die verschiedenen chemischen, verfahrenstechnischen und ökonomischen Aspekte des Verfahrens werden im Forschungszentrum Karlsruhe von einem interdisziplinären Arbeitsteam „Synthesegas aus Biomasse“ bearbeitet. Entsprechende Technikums- und Versuchsanlagen sind im Forschungszentrum im Aufbau. Diese Arbeiten werden vom baden-württembergischen Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum (MLR) finanziell unterstützt.
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