Von Fußgängern und Fahrzeugen: Uni Ulm und DLR sammeln gemeinsam Daten für das automatisierte Fahren

Das hochautomatisierte Fahrzeug der Ulmer Forscher unterwegs in der Wissenschaftsstadt auf dem Eselsberg Foto: Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik / Universität Ulm

Die Universität Ulm und das Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) arbeiten zukünftig bei der Erprobung automatisierter Fahrzeuge eng zusammen. Ein entsprechender Kooperationsvertrag wurde vor Kurzem unterzeichnet. Das erste gemeinsame Projekt wird ab dem 12. Dezember in der Ulmer Mitte durchgeführt.

Wenn der Computer im Fahrzeug das Steuer übernehmen soll, braucht er eine Unmenge an Daten. Diese vermitteln ihm nicht nur ein Bild der aktuellen Verkehrslage und der Fahrzeugumgebung. Sie geben auch Einblicke in das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer und helfen zudem, das korrekte Verhalten des automatisierten Fahrzeugs zu überprüfen.

Solche Daten wird das erste gemeinsame Messprojekt in Ulm liefern, das die Universität Ulm dieser Tage gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Angriff nimmt. Während die Uni Ulm hierfür ihre beiden vollautomatisierten Versuchsfahrzeuge zum Einsatz bringt, sorgt das Institut für Verkehrssystemtechnik des DLR für den Aufbau der stationären Messeinrichtung vor Ort.

Für dieses erste Projekt wurde nun mitten in Ulm eine spezielle Infrastruktursensorik aufgebaut, die in der Lage ist, in ihrem Umfeld das Verhalten aller Verkehrsteilnehmer genau zu erfassen. Als Testgebiet wurde mit der Neuen Straße in Ulm ein besonderer Verkehrsraum ausgesucht, der insbesondere auf der Höhe der Neuen Mitte sowohl von Fußgängern und Fahrzeugen intensiv genutzt wird.

Denn eine der größten Herausforderungen beim automatisierten Fahren in der Stadt besteht in der Interaktion zwischen automatisierten Fahrzeugen und Fußgängern. Diese soll zugleich effektiv und sicher für alle Verkehrsteilnehmer sein. Die Versuchsfahrzeuge der Uni Ulm sind im Testgebiet zwar selbststeuernd unterwegs, doch hat der Sicherheitsfahrer auf dem Fahrersitz jederzeit die Möglichkeit, korrigierend ins System einzugreifen, falls die Automation an ihre Grenzen kommen sollte.

„Daten über das interaktive Verhalten zwischen vollautomatisierten Fahrzeugen und Fußgängern sind in Deutschland bislang so gut wie nicht verfügbar. Wir wollen daher mithilfe des Projekts Daten gewinnen, um automatisierte Fahrzeuge auch in diesen herausfordernden Situationen sicher zu machen. Letztlich geht es dabei um die Optimierung der Umgebungswahrnehmung und des Automatisierungssystems im Hinblick auf die sichere Bewältigung unterschiedlichster Verkehrssituationen“, so Projektkoordinator Dr. Michael Buchholz vom Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik der Universität Ulm.

Erfasst werden soll aber auch, wie die Fußgänger auf die Fahrzeuge reagieren und mit diesen in Interaktion treten. Die eigens dafür gewonnenen Daten sollen dabei helfen, über speziell entwickelte Algorithmen die Bewegungsabsichten der Fußgänger zu erkennen. Das Ziel: die bessere Vorhersage, wie sich Verkehrsteilnehmer in bestimmten Situationen verhalten.

Die Infrastruktursensorik des DLR hilft dabei, ein Gesamtbild von der Verkehrslage und der Fahrzeugumgebung zu erfassen. Hierfür werden, unter Berücksichtigung geltender Datenschutzregeln, stationäre Messdaten gesammelt und später gemeinsam mit den Daten der beiden Testfahrzeuge ausgewertet. Auf der Grundlage dieser Daten entwickeln die Ulmer Forscher schließlich spezielle Algorithmen, die wiederum bei der Steuerung der vollautomatisierten Fahrzeuge zum Einsatz kommen sollen.

„Mit dem DLR konnten wir eine Großforschungseinrichtung als Kooperationspartner für unsere Forschungsarbeiten gewinnen, die bereits umfangreiche Erfahrung mit der Erprobung automatisierter Fahrzeugsysteme unter Nutzung von Infrastruktursensorik hat und daher unsere eigenen Arbeiten in Ulm perfekt ergänzt. Das DLR betreibt ja bereits in Braunschweig eine Forschungsanlage und war daher bereits Partner des Ulmer Antrags zum Testfeld Baden-Württemberg für das automatisierte und vernetzte Fahren“, sagt Professor Klaus Dietmayer, Leiter des Instituts für Mess-, Regel- und Mikrotechnik der Universität Ulm.

Professor Frank Köster, Leiter des Bereichs Automotive des DLR-Instituts für Verkehrssystemtechnik ergänzt: „Die Uni Ulm ist ein kompetenter Akteur, wenn es um die Regelung von automatisierten Fahrzeugen geht. Gemeinsam können wir in Zukunft Synergien zum Testen und zur Absicherung von automatisierten und vernetzten Fahrzeugen nutzen und diese in praxisrelevanten Anwendungen erproben.“ Mit der Unterzeichnung des Kooperationsvertrages wird die Zusammenarbeit zwischen der Universität Ulm und dem Institut für Verkehrssystemtechnik des DLR verstetigt, die aus der Vorbereitung des gemeinsamen Testfeld-Antrags hervorgegangen ist. Für dieses hatte schließlich die Region Karlsruhe im Sommer den Zuschlag erhalten.

„Ulm wird sich als bedeutender Forschungsstandort im Bereich des automatisierten Fahrens auch in Zukunft weiter erfolgreich behaupten“, so Universitätspräsident Professor Michael Weber. Der Präsident weiter: „Wir danken der Stadt Ulm und ihrer Parkbetriebsgesellschaft für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Planung und Durchführung der Messkampagne.“

Weitere Informationen:
Uni Ulm: Prof. Dr. Klaus Dietmayer, Tel. 0731/50-26300, klaus.dietmayer@uni-ulm.de
Dr. Michael Buchholz: Tel.: 0731/50-26334, michael.buchholz@uni-ulm.de
DLR: Prof. Dr. Frank Köster, Tel.: 0531/295-3481, frank.koester@dlr.de

Text: Dr. Michael Buchholz / Andrea Weber-Tuckermann


Datenschutz bei der Messkampagne
Wofür werden die Daten verwendet? Auf Basis der ermittelten Trajektorien ist es möglich, Aussagen über systematische Zusammenhänge im Verkehrsgeschehen abzuleiten. Diese helfen, grundlegende Fragen zu beantworten, die sich im Bereich der Forschung und Entwicklung von Fahrerassistenz/Automationssystemen und Verkehrsmanagement stellen.
Das ermittelte Datenmaterial, welches die Anlage erwirtschaftet, sind so genannte anonymisierte Trajektorien (auch „Fahrwege“ genannt), die keinerlei personenbeziehbare Merkmale aufweisen. Hierbei werden Objekte automatisch erkannt und deren Zustand (insbesondere Position, Abschätzungen über Höhe, Länge und Breite sowie die Geschwindigkeit) über die Zeit hinweg ermittelt. Die Wissenschaftler können auf Basis der ermittelten Informationen lediglich zwischen den generellen Klassen wie Pkw, Lkw, Fußgänger und Radfahrer differenzieren. Die erhobenen Daten weisen somit keinen Bezug zu einzelnen Individuen auf. Zusätzlich wird für eine visuelle Referenz zur Überprüfung der abgeleiteten Trajektorien anhand der realen Situation ein Szenenvideo gespeichert, welches eine so geringe Auflösung besitzt, dass es keine Form der Gesichtserkennung oder anderer personenbezogener Rückschlüsse erlaubt. Eine Erkennung, Verfolgung und Identifikation – ggf. sogar eine Wiedererkennung – von spezifischen Personen (z.B. zur Erhebung von Bewegungsmustern mit personenbezogenen Daten) ist weder erwünscht, noch von der Anlage messtechnisch leistbar.

Hintergrund
Im Forschungsbereich Fahrerassistenzsysteme und automatisiertes Fahren ist die Universität Ulm spitze: Auf Teststrecken in der Wissenschaftsstadt sind seit mehreren Jahren bis zu zwei hochautomatisierte Fahrzeuge des Instituts für Mess-, Regel- und Mikrotechnik (MRM) mit einer Ausnahmegenehmigung für den öffentlichen Straßenverkehr unterwegs. Die wissenschaftlichen Grundlagen des automatisierten Fahrens erforschen Ingenieure, Informatiker und Psychologen im Zentrum F³ und seit Januar ist die Universität Ulm federführender Partner im Tech Center a-drive, einem hochkarätigen Zusammenschluss mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem Forschungszentrum Informatik (FZI) – gefördert vom Land sowie von der Daimler AG mit insgesamt 7,5 Millionen Euro.

Über 170 Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachrichtungen wie Ingenieure, Psychologen und Informatiker erbringen im Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) an den Standorten Braunschweig und Berlin Forschungs- und Entwicklungsleistungen für Automotive- und Bahnsysteme, den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sowie für das Verkehrsmanagement. Damit leisten sie einen Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit und Effizienz des straßen- und schienengebundenen Verkehrs. Im Bereich des automatisierten und vernetzen Fahrens forscht das DLR-Institut bereits seit vielen Jahren für verschiedene Verkehrsträger. Zudem betreibt das DLR seit 2014 mit der „Anwendungsplattform Intelligente Mobilität“ (AIM) in Braunschweig eine deutschlandweit einzigartige Großforschungsanlage zur Forschung am automatisierten und vernetzten Fahren. In Kombination mit Simulationsprogrammen im Labor und Teststrecken ist mit AIM eine Anlageninfrastruktur zum durchgängigen und lückenlosen Testen von automatisierten Systemen entstanden. Einige Anlagen sind dabei so ausgelegt, dass sie auch für Kampagnen an anderen Orten, wie beispielsweise in Ulm, genutzt werden können.

Media Contact

Andrea Weber-Tuckermann idw - Informationsdienst Wissenschaft

Weitere Informationen:

http://www.uni-ulm.de/

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