Neue Leserforschung wird Zeitungsbranche revolutionieren
Mit der „Readerscan“-Methode erforscht die Würzburger „Main-Post“ die Interessen ihrer Leser und kommt dabei auf erstaunliche Ergebnisse.
Die tägliche Quote gibt es jetzt nicht nur für Fernsehsendungen, sondern auch für Artikel in Tageszeitungen. Möglich macht das ein neues elektronisches Verfahren, das den „gläsernen Leser“ im Visier hat. Die Würzburger „Main-Post“ war nach eigenen Angaben die erste Tageszeitung in Deutschland, die diese Methode genutzt und mit den ersten Ergebnissen zum Nutzungsverhalten der Leser ihr Blatt bereits deutlich umgekrempelt hat. „Die Methode wird die Zeitungsbranche revolutionieren“, sagt Chefredakteur Michael Reinhard. „Schon in einigen Jahren wird es keine größere Zeitung mehr geben, die auf dieses Instrumentarium verzichtet“.
In der Praxis sieht die Idee des Schweizers Carlo Imboden vom „Readerscan“ im Falle der „Main-Post“ so aus: Eine ausgewählte Gruppe an Abonnenten, die einer anvisierten jüngeren Ziel-Leserschaft entspricht, nimmt beim täglichen Zeitungslesen einen elektronischen Stift zur Hand. Damit markieren sie durch Anstreichen, welchen Artikel sie bis zu welcher Stelle gelesen haben. Nach der Lektüre werden die Daten an einen Rechner übermittelt und noch am Erscheinungstag bekommen Blattmacher erste Ergebnisse auf den Tisch.
„Das ist eine knallharte und unbestechliche Methode, die dir sagt, was der Leser wirklich tut“, betont Reinhard den Vorteil gegenüber den bisherigen Leser-Befragungen im Nachhinein. Diese hätten keine verlässlichen Daten zum tatsächlichen Leseverhalten geliefert. Die Kosten für die Untersuchung mit „Readerscan“ beliefen sich je nach Ausmaß auf 75 000 bis 150 000 Euro. Das Verfahren ist auch aktuelles Titelthema der Fachzeitschrift „Medium Magazin“.
Die „Main-Post“ hat bereits in zwei vierwöchigen Wellen ihre Leser durchleuchtet. „Das herausragende Ergebnis war das überraschend schlechte Abschneiden des Lokalsports“, erklärt Chefredakteur Reinhard. Allgemein schnitten die Lokalseiten schlechter ab als der überregionale Mantel, der aber bei der „Main-Post“ bereits mit den wichtigsten regionalen Themen durchsetzt sei. Auch klassische Kulturartikel würden kaum gelesen. Dagegen wollten die Leser die „Tagesschau-Themen“ auch in der Zeitung wieder finden. „Die Fernseh-Nachricht ist auch für die Zeitung ein Quotenrenner“, sagt Reinhard. „Wir brauchen keine Scheu davor zu haben, ein Thema, das breit in anderen Medien vertreten ist, aufzugreifen.“
Daneben bestätigte die Analyse auch eine Reihe journalistischer Handwerksregeln und Vermutungen: Die vermischte oder bunte Seite („Aus aller Welt“) wird am häufigsten gelesen. Bild und Überschrift müssen grundsätzlich im Kern übereinstimmen, sonst schaltet der Leser ab. Imboden spricht hier von kognitiver Dissonanz. Ein guter Aufmacher zieht auch andere Geschichten hoch. Ein Artikel mit Foto und Grafik erzielt mehr Aufmerksamkeit als reiner Text.
Für Diskussionsstoff dürfte dagegen eine unerwartete These um die Überschriften sorgen: „In die Hauptzeile gehören klare Aussagen und Tatsachen. Wolkige Feature-Überschriften, vielleicht noch als Alliteration, werden vom Leser nicht goutiert“, sagt Reinhard. Für den Leser seien auch nicht Autoren, sondern Themen und deren Umsetzung Ausschlag gebend. Aus der ersten Erhebungswelle hat die „Main-Post“ eine Reihe von Anforderungen formuliert, zwei Bücher wurden in sechs Wochen radikal umgestaltet. Damit erhöhte sich die durchschnittliche Lesequote um etwa 20 Prozent auf 8,5 Prozent – das heißt, dass ein Leser durchschnittlich 8,5 Prozent der Artikel liest.
„Es geht aber nicht darum, in Quoten-Geilheit zu verfallen, sondern unsere Zeitung noch näher und besser am Leser zu orientieren“, unterstreicht Reinhard. Es sei eine schnelle Reaktion auf Leserinteressen möglich. So wurde etwa bei einigen populären Themen die Berichterstattung ausgebaut. Als Konsequenz wurde auch ein „Kultur-Journal“ entworfen, das anstelle einer Themen-Seite als Aufmacher einen Mix aus Kultur, Infotainment und Lebenshilfe bietet.
„Es geht weder beim Lokalsport noch bei der Kultur ums Weglassen, sondern um eine intelligentere Mischung und eine andere Schreibe“, betont Reinhard. Als Konsequenz denkt die Zeitung langfristig auch an eine Ausgliederung bestimmter Inhalte. So sei ein Online- Newsletter mit Sporttabellen oder ein Zusatzprodukt in gedruckter Form für spezielle Interessen denkbar. „Der Erfolg einer Tageszeitung wird davon abhängen, wie massentauglich das Hauptprodukt ist und wie intelligent sie Minderheiten bedient.“
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