TU Chemnitz präsentiert weltweit einzigartige Pilotanlage für nachhaltigen Leichtbau

Ramon Tierschmann vom Bundesexzellenzcluster MERGE bereitet einen Testlauf der Orbitalwickelanlage vor. Foto: TU Chemnitz/Wolfgang Thieme

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesexzellenzclusters „Technologiefusion für multifunktionale Leichtbaustrukturen“ (MERGE) und des Instituts für Strukturleichtbau der Technischen Universität Chemnitz haben eine neuartige Technologie zur kontinuierlichen Herstellung von geschlossenen, endlosfaserverstärkten Bauteilstrukturen unterschiedlicher Formen, wie zum Beispiel Rohre, entwickelt.

Mit der sogenannten Orbitalwickeltechnologie (englisch: Continuous Orbital Wrapping Process, kurz: COW) können im Vergleich zum klassischen Wickelverfahren nun auch nicht-rotationssymmetrische Bauteile, sogenannte Profile, kontinuierlich hergestellt werden.

An einer Pilotanlage in der MERGE-Forschungshalle auf dem Campus der TU Chemnitz erfolgen derzeit Machbarkeits- und Technologiestudien zur Einstellung des optimalen Herstellungsprozesses. Am 27. April 2017 wurde die weltweit einmalige Technologie der Öffentlichkeit vorgestellt.

Ziel der im Projekt Beteiligten ist es, eine Prozesskette zu erforschen, mit der komplexe Strukturbauteile –beispielsweise Komponenten für Rotorblätter für Kleinwindkraftanlagen oder belastungsgerechte Pkw-Profile – in Großserie gefertigt werden können. Trotz des sehr speziellen Querschnitts dieser Bauteile ist dank der Chemnitzer Technologie eine material- und kosteneffiziente Herstellung möglich.

Insbesondere als tragende Strukturen oder Bauteile im Pkw-Antriebsstrang unter besonderer Belastung sind diese faserverstärkten Profile oder Rohre von Bedeutung. Für deren Fertigung befinden sich aktuell verschiedene Arten von faserverstärkten Tapes in der Erprobungsphase. Die Materialien werden dabei auf ihre Verarbeitbarkeit zu Hochleistungsbauteilen untersucht.

„Technologien wie das Orbitalwickelverfahren sind vor allem im Fahrzeugbau, aber auch im Maschinen- und Anlagenbau sehr gefragt. Ich bin daher überzeugt, dass der Chemnitzer Bundesexzellenzcluster MERGE mit dieser neuartigen Wickeltechnologie sowie den aus der Grundlagenforschung gewonnenen Erkenntnissen den Weg für multifunktionale und nachhaltige Leichtbau-Anwendungen der Zukunft bereitet – und das weltweit“, erklärt Prof. Dr. Lothar Kroll, Koordinator des Bundesexzellenzclusters MERGE.

Wickelprinzip umgekehrt

Die Forscherinnen und Forscher suchten im Rahmen des Bundesexzellenzclusters nach einem Weg, um das Verfahren in eine übergeordnete Wertschöpfungskette integrieren zu können und so vor- und nachgelagerte Prozesse effektiv miteinander zu verknüpfen. Dadurch sollen auch Formen mit einem variablen konkaven oder konvexen Querschnitt kontinuierlich und großserientauglich hergestellt werden. Die grundlegende Lösung: „Wir lassen in der Anlage den Legekopf jeder Wickeleinheit um den Kern rotieren, drehen also damit das Prinzip des Wickelns um“, beschreibt Rainer Wallasch, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesexzellenzcluster MERGE, das Besondere an diesem Prozess.

Die kontinuierliche, lineare Durchführung des Wickelkerns durch mehrere Orbitalräder der Anlage gestattet die großserientaugliche Herstellung nahezu endloser Halbzeuge mit unterschiedlichen Wickelrichtungen. Auf den Orbitalrädern befindet sich jeweils ein Legekopf, die sogenannte Ablegevorrichtung für das Thermoplast-Tape. Dieser bewegt sich rotierend um den Kern.

„Das Tape wird dann genau so abgelegt, dass der gewünschte Querschnitt entsteht. Der Kern wird dabei weiter kontinuierlich durch die Wickelstationen geführt und so weiter, also theoretisch endlos“, so Wallasch. All dem liegt ein komplexer Algorithmus mit entsprechender mechanischer und steuerungstechnischer Umsetzung zugrunde, der die Legeköpfe gezielt kinematisch um den Wickelkern bewegt. Dieser Prozess soll später für alle gewünschten Bauteilformen anwendbar sein.

Das Prinzip des klassischen Thermoplast-Tapewickelns ist demgegenüber im Leichtbau ein bereits etabliertes Verfahren, das im Rahmen des Bundesexzellenzclusters MERGE zum Kontinuierlichen Orbitalwickelprozess (COW) weiterentwickelt wurde. Beim herkömmlichen Wickelprozess wird ein Tape durch die Rotationsbewegung eines Kerns um diesen herumgewickelt. Das Band – üblicherweise unidirektional faserverstärktes Thermoplast-Tape – wird dabei aus einer angebremsten Spule abgezogen, aufgeheizt, aufgeschmolzen und durch die Rückzugskraft des Bandes beim Erkalten mit der zuvor gewickelten Lage gefügt. So wird in der Regel ein rotationssymmetrisches Profil hergestellt.

Hintergrund: Bundesexzellenzcluster „MERGE“

In diesem bundesweit einzigartigen Projekt arbeiten an der TU Chemnitz seit 2012 etwa 100 Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler sowie Technikerinnen und Techniker an einer Technologiefusion multifunktionaler Leichtbaustrukturen. Ziel ist es, heute noch getrennte Fertigungsprozesse bei der Verarbeitung unterschiedlicher Werkstoffgruppen wie Textilien, Kunststoffe und Metalle zusammenzuführen und mit Sensorik und Aktorik auszustatten.

Mehrkomponentenbauteile können dann in Großserie kostengünstiger und energieeffizienter produziert werden. Im Bundesexzellenzcluster sind auch Großunternehmen und zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen eingebunden, die komplementär die Wertschöpfungskette „Vom Werkstoff zur Leichtbaustruktur“ abbilden. Die Projektergebnisse des Clusters bedienen führende Märkte der Automobilindustrie, der Luft- und Raumfahrt, des Maschinenbaus und der Mikrosystemtechnik.

Homepage des Bundesexzellenzclusters MERGE: https://www.tu-chemnitz.de/MERGE

Weitere Informationen erteilen Prof. Dr. Lothar Kroll, Telefon 0371 531-23120, E-Mail lothar.kroll@mb.tu-chemnitz.de, und Dr. Jürgen Tröltzsch, MERGE-Geschäftsführer, Telefon 0371 531-35665, E-Mail juergen.troeltzsch@mb.tu-chemnitz.de.

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Dipl.-Ing. Mario Steinebach Technische Universität Chemnitz

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