Wie Depressionen entlarvt werden können
Ein Fragebogen für Patienten entdeckt doppelt so viele Erkrankungen wie der Arzt. Dies haben Untersuchungen der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg gezeigt.
Wie oft waren Sie in den letzten zwei Wochen müde und unkonzentriert? Haben Sie wenig Freude und Interesse an Ihrer Tätigkeit? Diese und weitere Fragen können Ärzten im Krankenhaus und in der Praxis helfen, bei ihren Patienten verborgene Depressionen aufzuspüren. Wissenschaftler an der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg haben in einer Untersuchung festgestellt, dass der „Gesundheitsfragebogen für Patienten (PHQ-D)“ dem Vergleich mit anderen Screening-Tests standhält und Depressionen diagnostiziert, die dem Arzt durch das bloße Gespräch mit dem Patienten entgangen wären.
Der PHQ-D (Patient Health Questionnaire Depression) wurde von dem amerikanischen Psychiater Robert L. Spitzer, Universität New York, und dem Internisten Kurt Kroenke, Universität Indiana (USA), entwickelt. Professor Wolfgang Herzog, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Allgemeine Klinische und Psychosomatische Medizin am Heidelberger Universitätsklinikum, hat zusammen mit seinen Mitarbeitern eine deutsche Fassung erarbeitet und ihre Wirksamkeit in Studien an Patienten belegt.
Depressionen gehören zu den häufigsten Erkrankungen; etwa 4 Millionen Menschen in Deutschland sind gegenwärtig davon betroffen; nur ein geringer Anteil wird jedoch behandelt. Weitere 8 Millionen Menschen erleben mindestens einmal in ihrem Leben eine Depressionsphase. Obwohl Depressionen stark beeinträchtigen, wird die Erkrankung in vielen Fällen nicht erkannt, auch weil es den Patienten schwer fällt, psychische Beschwerden wie Hoffnungslosigkeit und verlangsamtes Denken zu offenbaren. Oft begleiten Depressionen andere chronische oder akute Krankheiten. Eine schwere Depression muss stets ernst genommen werden: Bis zu 15 Prozent der Betroffenen begehen Selbstmord.
Einfaches diagnostisches Instrument für niedergelassene Ärzte und Klinikärzte
„Niedergelassene Ärzte haben oft weder Kenntnisse noch Zeit, eine Depression zu erkennen“, sagt der Dr. Bernd Löwe, Arzt und Psychologe an der Heidelberger Universitätsklinik. Für sie ist der PHQ-D, der in einer kurzen und ausführlichen Version vorliegt, ein wertvolles diagnostisches Instrument. Es kann nicht nur Depressionen, sondern auch andere psychische Störungen sowie Probleme im psychosozialen Bereich erkennen. „Bis zu 35 Prozent der Patienten, die den Arzt wegen körperlicher Beschwerden aufsuchen, haben psychische Störungen,“ sagte Löwe. Das Feststellen einer Depression ist der wichtigste Schritt zur Heilung, denn 70 Prozent können mit Psychotherapie und/oder Medikamenten erfolgreich behandelt werden, bei weiteren 25 Prozent kann zumindest eine Besserung erzielt werden.
Patienten, die in eine Klinikambulanz oder Praxis kommen, können den gut verständlichen Fragebogen während der Wartezeit ausfüllen. Im Gespräch sollte der Arzt die Richtigkeit der Angaben prüfen. Die Auswertung mit einer Schablone nimmt wenig Zeit in Anspruch. Bei bestimmten Verdachtsdiagnosen müssen weitere medizinische Untersuchungen vorgenommen werden, bevor die Erkrankung endgültig feststeht. „Der Gesundheitsfragebogen liefert starke Hinweise auf eine Depression oder eine andere psychische Störung, aber er kann die Gespräche mit dem Patienten, die zur Sicherung der Diagnose erforderlich sind, nicht ersetzen“, warnt Professor Herzog.
Fragebogen PHQ ist anderen Screening-Tests überlegen
Seinen Wert als Screening-Test haben die Heidelberger Psychosomatiker nun erneut in einer wissenschaftlichen Untersuchung untermauert. Sie verglichen den PHQ mit zwei international eingeführten Tests, die ebenfalls in der Lage sind, Depressionen aufzudecken, der „Hospital Anxiety and Depression Scale“ und dem „WHO Well Being Index“. Rund 500 Patienten füllten alle drei Testbögen vor dem Gespräch mit dem Arzt aus. Die Diagnose wurde durch ein strukturiertes klinisches Interview gesichert, dem Goldstandard in der Psychodiagnostik.
Alle drei Tests waren in der Lage, über 80 Prozent der Depressionen zu entdecken, während der Arzt im ersten Gespräch nur etwa 40 Prozent feststellte. Schwere Depressionen wurden am ehesten (98 Prozent) mit dem PHQ festgestellt. Bei leichteren Fällen waren die verschiedenen Tests gleich leistungsfähig. Die Heidelberger Wissenschaftler empfehlen deshalb, dass der Gesundheitsfragebogen PHQ in größerem Umfang als Screening-Test verwendet wird. Da die hohen Folgekosten von unentdeckten Depressionen vermieden werden könnten, sei ein breiter Einsatz gerechtfertigt.
Weitere Informationen:
Dr. med. Dipl.-Psych. Bernd Löwe
Abteilung Innere Medizin II
der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg
Tel. 06221 / 56 – 8667
bernd_loewe@med.uni-heidelberg.de
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