Überlebenskampf im Bauch
Wenn sich eineiige Zwillinge einen Mutterkuchen teilen müssen, entstehen bei etwa jedem zehnten Pärchen lebensbedrohliche Komplikationen. „Durch die endoskopische Lasertechnik können wir die Überlebenschancen sogar beider Kinder inzwischen aber deutlich verbessern“, sagt Professor Dr. Kurt Hecher vom Universitätsklinikum Eppendorf auf dem 55. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in Hamburg.
Bei der Mehrzahl eineiiger Zwillingsschwangerschaften werden beide Feten von nur einem Mutterkuchen versorgt. Darum sind ihre Blutkreisläufe miteinander verbunden. Bei etwa zehn bis 15 Prozent dieser Schwangerschaften entsteht dabei das so genannte Zwillingstransfusions-Syndrom (FFTS= feto-fetales Transfusionssyndrom). Von einem Zwilling, dem „Spender“, fließt zuviel Blut zum anderen Zwilling, dem „Empfänger“. Die Folge: der eine leidet unter Flüssigkeitsmangel, produziert daher zuwenig Fruchtwasser und bleibt in der Entwicklung zurück. Der andere produziert zuviel Fruchtwasser, das Herz-Kreislauf-System ist überlastet. Beide Kinder schweben in Lebensgefahr. Geschieht nichts, sterben etwa 80 bis 90 Prozent der Kinder.
Das FFTS tritt meistens zwischen der 16. und 25. Schwangerschaftswoche auf und kann per Ultraschall diagnostiziert werden. Erkennt man es zu diesem Zeitpunkt, haben die Ärzte zwei therapeutische Optionen: entweder saugen sie in der Fruchtblase des Empfängers mehrmals Fruchtwasser ab, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, oder sie trennen die Blutgefäßverbindungen der Kinder an der Placentaoberfläche mit einem endoskopischen Lasereingriff. Die Laserkoagulation ist in schweren Fällen der Fruchtwasserabsaugung überlegen, resümiert Professor Dr. Kurt Hecher eine Studie am Universitätsklinikum Eppendorf. Die Ärzte behandelten 400 Schwangerschaften mit schwerem Zwillingstransfusionssyndrom per endoskopischer Laserkoagulation. Es überlebten in sechs von zehn Schwangerschaften beide Kinder, in acht von zehn Schwangerschaften ein Kind.
Ähnliche Ergebnisse liefert eine im Juli im New England Journal of Medicine publizierte französische Multicenterstudie. Die Forscher teilten 142 Frauen zwischen der 15. und 26. Schwangerschaftswoche mit einem schweren FFTS in zwei Gruppen ein. Bei den einen saugten die Ärzte Fruchtwasser ab, bei den anderen trennten sie die Blutkreisläufe der Zwillinge mit dem endoskopischen Lasereingriff. Bei der Zwischenanalyse zeigte sich bereits eine deutliche Überlegenheit der Laserbehandlung. In dieser Gruppe überlebte in 76 von hundert Schwangerschaften wenigstens ein Kind, in der anderen Gruppe war dies in 56 von hundert Schwangerschaften der Fall. Auch Hirnschädigungen traten nach der Laserbehandlung seltener auf: die Hälfte der sechs Monate alten Babys hatte nach der Laserbehandlung keine neurologischen Komplikationen. In der anderen Gruppe traf dies nur für jedes dritte Kind zu.
Erfolg durch Präzision.
„Weil das Laserverfahren die Ursache der Erkrankung behebt, ist das natürlich die sinnvollere Methode als die ausschließliche Entlastungspunktion“, fasst Hecher zusammen. Sie verlangt allerdings die genaue Kenntnis der Gefäßanatomie der Placenta. Andernfalls kann der Operateur versteckte miteinander verbundene Blutgefäße übersehen, oder aber Gefäße verschließen, die die Zwillinge gar nicht miteinander verbinden. Gelingt es, beide Blutkreisläufe exakt voneinander zu trennen, haben die Kinder gute Überlebenschancen.
Forschung im Verbund.
Mit der Erforschung des FFTS leistet das Universitätsklinikum Eppendorf seinen Beitrag innerhalb des europäischen Konsortiums Eurofötus. Dieser Zusammenschluss von fünf europäischen fetalmedizinischen Zentren im belgischen Leuven, in Paris, London, Barcelona und Hamburg dient dem Austausch, dem Lernen voneinander und somit der Optimierung von Therapieergebnissen. „Jedes Zentrum“, erklärt Hecher, „konzentriert sich auf die Erforschung und Behandlung eines spezielles Syndroms und gibt die Erkenntnisse an die anderen Zentren weiter.“
Ein Ballon rettet Leben.
Die belgische Forschergruppe beforscht beispielsweise die so genannte Kongenitale Zwerchfellhernie, eine angeborene Fehlentwicklung des Zwerchfells. Ein Loch im Zwerchfell führt dazu, dass die Bauchorgane nach oben treten. Sie verdrängen so Herz und Lunge, was zu einer entsprechenden Unterentwicklung führt. Bisher führte der Versuch, die Fehlentwicklung am Ungeborenen operativ zu beheben, häufig zu Komplikationen. Die belgischen Forscher konnten nun in einer Studie nachweisen, dass die endoskopische Einführung eines flüssigkeitsgefüllten kleinen Ballons in die Luftröhre des Kindes der Lunge Raum zur Entwicklung gibt und so die Überlebenschancen deutlich erhöht. Beim Einsatz dieses so genannten endotrachealen Ballons überleben 64 von hundert Kindern. „Wird die Zwerchfellhernie erst nach der Geburt operativ behandelt, überleben deutlich weniger der kleinen Patienten“, so Hecher.
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