Die teuerste Badewanne der Welt: 25 Jahre Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie

Ein Team aus deutschen Urologen und Physikern war es, das die Behandlung von Nierensteinen revolutionierte und 1980 die erste Nierensteinzertrümmerung mit Stoßwellen durchführte. Jahrelange Forschung, aufreibende Experimente, Geldsorgen und Kollegenhäme aus der ganzen Welt begleitete die Pionierarbeit. Heute zeugen mehr als eine Million Behandlungen weltweit von der Leistungsfähigkeit der Extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie.


Es war ein Meilenstein für die Medizin, eine Revolution in der Urologie: die Zertrümmerung von Nierensteinen durch Stoßwellen. „Die ganze Fachwelt ist damals nach Deutschland gepilgert, um die neue Behandlungsmethode zu studieren“, erinnert sich Prof. Dr. Dr. h.c. Ferdinand Eisenberger. Er gehört zu den Vätern der Extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie, im Volksmund auch als berührungsfreie Nierensteinzertrümmerung bekannt. Einer Therapie, die Millionen Nierensteinpatienten heute einen aufwändigen operativen Eingriff erspart. Vier Spezialisten gehörten seinerzeit zum Forschungsteam: die beiden Urologen Prof. Dr. Christian Chaussy, Prof. Dr. Dr. h.c. Ferdinand Eisenberger sowie der Physiker Dr. Bernd Forssmann und der Ingenieur Dr. Wolfgang Hepp, der 2004 verstarb. Zum 25-jährigen Jubiläum treffen sich die drei Experten auf dem 57. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V., vom 21. bis 24. September in Düsseldorf und werden unter dem Titel „Steine rund um die Welt – Behandlung über Jahrtausende“ zum Thema referieren:

Bernd Forssmann: „Aus der Luftfahrt in die experimentelle Urologie“
Ferdinand Eisenberger: „Die unglaublichen ungegeglaubten Experimente“
Christian Chaussy: „Das Zittern bis zum ersten klinischen Einsatz“

Düsenjäger im Regenschauer

„Dass man so eine Methode bis zum klinischen Einsatz entwickeln konnte, ist schon toll“, sagt Prof. Chaussy heute. Vergessen sind all die Wochenenden, die beschwerlichen Versuche, die Misserfolge und auch die Skepsis der Kollegen, die das Projekt misstrauisch verfolgten. „Wenn das Team damals nicht so vertrauensvoll zusammengearbeitet und an die mögliche Umsetzung geglaubt hätte, wäre diese Therapieform nicht entstanden“, so Prof. Chaussy weiter. Prof. Eisenberger ergänzt: „Für mich war erstaunlich, wie fruchtbar sich unsere Zusammenarbeit gestaltete. Die Kooperation zwischen Physikern und Ärzten war damals völlig neu, ein bio-medizinisches Novum.“: Nachdem Physiker der Firma Dornier mit der Urologischen Klinik und dem Institut für Chirurgische Forschung, beide Ludwig-Maximilians-Universität München, Kontakt aufgenommen hatten, wurde 1974 mit den ersten Experimenten zur Wirkung der Stoßwellen auf Gewebe begonnen.

Stoßwellen sind kurzzeitige akustische Impulse von wenigen Millionstel Sekunden Dauer und mit Druckamplituden bis zu 100 MPa. Die Wellen für medizinische Zwecke einzusetzen, war bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, wurde sogar für unmöglich gehalten“, sagt Dr. Bernd Forssmann.

Die Erfahrungen bei tief durch Regenschauer fliegenden Düsenjets im Überschallbereich zeigten, dass es durch die Einwirkung von Stosswellen zu massiven Materialschäden kommt, und zwar nicht nur an der Aufschlagstelle der Regentropfen, sondern auch innerhalb der Flugzeugstrukturen. Was dies möglicherweise für medizinische Zwecke bedeuten würde, sollte die neue interdisziplinäre Arbeitsgruppe herausfinden.

Steinige Wege

Gefördert wurde dieses damals als äußerst risikoreich eingestufte Projekt aus Mitteln des Bundesministeriums für Forschung und Technologie. In den ersten Versuchen ging es um die Erzeugung von Stoßwellen durch Unterwasserfunkentladungen und die Bündelung der Stoßwellen auf den Stein. In dieser Phase sollte geklärt werden, inwieweit sich Steine unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung zerkleinern lassen.

Während der zweiten Phase prüften die Forscher die Wirkung der Stoßwellen auf biologisches Gewebe und zwar erst mit roten und weißen Blutkörperchen, später in Tierversuchen. Die Ergebnisse ließen hoffen, bewiesen sie doch die grundlegende Machbarkeit des Verfahrens. „Wir wussten, dass sich Nierensteine auf diese Weise zertrümmern ließen und das dies biologisch unbedenklich war“, berichtet Prof. Eisenberger.

Nun ging es darum, ein Gerät für die Anwendung am Patienten zu entwickeln. Bei dem Prototyp für die klinische Anwendung, dem Humanmodell HM1, erfolgt das Orten des Steins über ein dreidimensionales Röntgensystem, bei dem sich die Achsen zweier Röntgengeräte im Fokuspunkt schneiden. Der Patient befindet sich in einem Wasserbad, um die Stoßwelle möglichst verlustfrei in den Patienten einzukoppeln.

Der Siegeszug der Stoßwelle

Mit diesem Prototyp wurde am 7. Februar 1980 die erste erfolgreiche extrakorporale Stoßwellenlithotripsie bei einem Patienten mit Nierenstein durch Prof. Chaussy, Prof. Dieter Jocham und Dr. Forssmann im Institut für Chirurgische Forschung durchgeführt.
Der Grundstein für den Siegeszug war gelegt. Nach dreijährigen Erfahrungen mit dem Prototyp HM1 wurde das erste Seriengerät für die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie, das HM3 an der Urologischen Klinik in Stuttgart in Betrieb genommen. Mit einem Kaufpreis um die 4,5 Millionen Mark ging es als die teuerste Badewanne der Welt in die Analen der Medizin-Geschichte ein.

Der Erfolg der neuen Behandlungsmethode war Bahn brechend. In den folgenden Jahren kamen unzählige Kollegen aus aller Welt nach Deutschland, um sich von der zuvor belächelten und bezweifelten Therapieform zu überzeugen. „Viele wollten es einfach nicht glauben“, erinnert sich Prof. Chaussy. Nach ihrem Besuch wollten sie möglichst schnell eine Nierensteinzertrümmerungsmaschine.

Die Vorteile der Zertrümmerung

Drei Prozent der Bevölkerung leiden unter Nierensteinen. Bis zur Einführung der Stoßwellentherapie wurden die Steine operativ entfernt. „Die neue Therapie war gleichzeitig das Ende der offenen Chirurgie in diesem Bereich“, sagt Prof. Eisenberger. „Sie hat die Schnitt-Operationen weltweit nahezu ersetzt und ist heute der goldene Standard.“ Denn der lange stationäre Aufenthalt nach der OP und die langwierige Rehabilitation sind nicht mehr nötig. Der Eingriff selbst ist kurz, komplikationsfrei und wird zum Teil ambulant und ohne Narkose durchgeführt.

Eine Million Behandlungen pro Jahr

Ende der achtziger Jahre kamen bereits die Geräte der zweiten Generation auf den Markt. Neben der elektrohydraulischen Stoßwellenerzeugung durch Unterwasserfunken wurden in diesen Geräten Stoßwellensysteme nach dem elektromagnetischen und piezoelektrischen Prinzip eingesetzt und das offene Wasserbad durch ein Wasserkissen ersetzt. Als alternatives Ortungsverfahren kam der Ultraschall ins Spiel.

Heute sind weltweit mehr als 5000 der so genannten Lithotriptoren im Einsatz. Die Zahl der Behandlungen beläuft sich auf mehr als eine Million pro Jahr.

Weitere Informationen:

DGU-Kongresspressestelle
Bettina-Cathrin Wahlers & Sabine Martina Glimm
Tel.: (040) 79 14 05 60
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