Massenmonster im Herzen der Milchstraße
Forscher beobachten einen rasenden Stern, der in unmittelbarer Nähe um das Schwarze Loch im Zentrum der Galaxis läuft
Dass im Zentrum unseres Milchstraßensystems ein supermassives Schwarzes Loch lauert, vermuten die Astronomen schon seit längerem. Jetzt ist einem internationalem Team unter der Leitung von Prof. Reinhard Genzel, Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, ein überzeugender Beweis für diese Annahme gelungen: Die Forscher beobachteten einen Stern, der das galaktische Schwerkraftzentrum innerhalb von nur 15 Jahren umkreist, sich ihm bis zu 17 Lichtstunden annähert – das entspricht lediglich der dreifachen Distanz zwischen Sonne und Pluto – und dabei eine Geschwindigkeit von 18 Millionen Kilometern pro Stunde erreicht (Nature, 10. Oktober 2002). Diese neuen Messungen am „Very Large Telescope“ der Europäischen Südsternwarte (ESO) schließen damit mehrere andere Erklärungen für die zentrale Masse in der Milchstraße aus.
Die Milchstraße ist eine Spiralgalaxie und enthält mindestens 100 Milliarden Sonnen sowie Staub- und Gaswolken. Der Mittelpunkt dieses diskusförmigen Gebildes liegt – von der Erde aus gesehen – etwa 26.000 Lichtjahre entfernt im Sternbild Schütze (lat. Sagittarius, abgekürzt Sgr). Aus diesem Gebiet entspringt eine starke Radio- und Röntgenstrahlung. Die Quelle trägt die Bezeichnung SgrA* (sprich: „Sagittarius A Stern“). Optische Teleskope enthüllen in diesem Bereich Tausende Sterne, die sich in einem Volumen von nur einem Lichtjahr drängen – also innerhalb von rund 9,46 Billionen Kilometern. Doch stehen die Sterne dort nicht still: So, wie die Planeten die Sonne umrunden, laufen sie auf mehr oder weniger elliptischen Bahnen um ein unsichtbares Gravitationszentrum. Aus der Beobachtung dieser turbulenten Bewegungen haben die Astronomen schon vor einigen Jahren auf die Masse des zentralen Objekts geschlossen: Danach sollten innerhalb eines Raums von nur zehn Lichttagen Durchmesser rund drei Millionen Sonnenmassen konzentriert sein.
Die meisten Astronomen halten SgrA* für ein Schwarzes Loch – ein Objekt also, das auf engem Raum so dicht gepackt ist, dass nicht einmal Licht seinen Schwerkraftfesseln entkommt. Schwarze Löcher dienen auch zur Erklärung der Energieproduktion von Quasaren: Diese leuchtkräftigsten Objekte im Universum erzeugen bis zu über eine Billiarde (1015) Mal mehr Energie als unsere Sonne. Der Theorie zufolge speist sich die Strahlung eines Quasars aus dem „Absturz“ von Materie in ein gigantisches Schwarzes Loch mit einer Million bis zu mehreren Milliarden Sonnenmassen. Dabei erhitzt sich das gasförmige Material stark und sendet intensive Strahlung aus – quasi als „letzten Hilfeschrei“, bevor es hinter dem „Ereignishorizont“ aus der Raumzeit verschwindet.
Existieren diese Schwerkraftfallen wirklich? Funktionieren sie in der beschriebenen Weise? Um diese Fragen sicher zu beantworten, müssen die Astronomen alle anderen Erklärungsmöglichkeiten für die zentralen Massenanhäufungen ausschließen – so etwa ungewöhnliche Haufen aus sehr schweren Sternen oder Ansammlungen von exotischen Elementarteilchen. Dabei kommt es darauf an, die Form des Schwerkraftfelds möglichst nah an dem zentralen Objekt zu bestimmen. Das aber ist beim heutigen Stand der Technik kaum möglich, denn Quasare sind Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt, und das Auflösungsvermögen der Teleskope reicht nicht aus, um Details dieser Sternsysteme zu enthüllen.
Doch sollten theoretisch in den Herzen vieler anderer Galaxien ebenfalls Schwarze Löcher stecken – so auch in unserer Milchstraße: Deren Zentrum liegt mit 26.000 Lichtjahren vergleichsweise nah und lässt sich daher viel deutlicher beobachten als alle anderen Sternsysteme. In den vergangenen Jahren konnten die Wissenschaftler dank verbesserter Instrumente die Sternbewegungen um dieses galaktische Gravitationszentrum immer genauer messen. „Um andere Modelle als das des massereichen Schwarzen Lochs auszuschließen, benötigen wir jedoch Beobachtungen mit noch höherer Auflösung“, sagt Reinhard Genzel. „Deshalb sind wir an ein Fernrohr der Acht-Meter-Klasse gegangen, nämlich an das Very Large Telescope.“ Dort arbeitet seit etwa einem Jahr NAOS/CONICA.
Das Instrument entstand in Zusammenarbeit zwischen den Max-Planck-Instituten für extraterrestrische Physik in Garching und für Astronomie in Heidelberg sowie der Europäischen Südsternwarte und den französischen Observatorien in Paris-Meudon und Grenoble. NAOS/CONICA ist eine Kombination aus einer Infrarotkamera (CONICA) und einem Gerät (NAOS), das während der Belichtung laufend die durch die Luftunruhe verursachte Bildunschärfe korrigiert. Das schlagkräftige „Doppelpack“ – montiert an einem der vier Fernrohre namens Yepun – hat bereits Aufnahmen geliefert, die jene des Weltraumteleskops Hubble an Detailreichtum weit übertreffen (siehe MPG-PRI Nr. 84, 4. Dezember 2001).
Und auch die Bilder des galaktischen Zentrums zeigten eine bis dahin unerreichte Schärfe. Die Wissenschaftler kombinierten diese Infrarotaufnahmen mit hoch aufgelösten Radiodaten und bestimmten daraus die exakten Positionen der Sterne in Bezug auf die Radioquelle SgrA*. In einem weiteren Schritt durchforsteten die Forscher bis zu zehn Jahre alte Bilder des galaktischen Zentralbereichs. „Als wir im vergangenen Mai das Material analysierten, trauten wir kaum unseren Augen: Der SgrA* zurzeit nächstgelegene Stern S2 hatte sich offenbar mit unglaublich hoher Geschwindigkeit um die Radioquelle herumgeschwungen“, sagt Thomas Ott vom Garchinger Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik. „Wir sahen also einen Stern, der das Schwarze Loch in den vergangenen zehn Jahren fast einmal umkreist hat. Dies ist eine außergewöhnliche Beobachtung.“
S2 läuft auf einer stark elliptischen Bahn, in deren einem Brennpunkt SgrA* steht. Das heißt: Der Stern umrundet das galaktische Zentrum in ähnlicher Weise wie die Erde die Sonne. Im Frühjahr 2002 hatte S2 mit 17 Lichtstunden oder gut 18 Milliarden Kilometern Abstand den zentrumsnächsten Punkt erreicht. Die Bahngeschwindigkeit betrug 5000 Kilometer pro Sekunde (18 Millionen Kilometer pro Stunde); S2 läuft um SgrA* damit beinahe zweihundert Mal schneller als die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne. Die Analyse der Daten ergab außerdem, dass sich der Stern bis zu zehn Lichttage von der zentralen Radioquelle entfernen kann und für einen Umlauf etwa 15,2 Jahre benötigt. S2 ist vermutlich ein Stern mit etwa der 15-fachen Masse und dem 7-fachen Durchmesser der Sonne.
„Die Messungen belegen, dass sich in SgrA* tatsächlich eine zentrale unsichtbare Masse verbirgt. Noch wichtiger: Die knapp drei Millionen Sonnenmassen ballen sich auf ein tausendfach kleineres Volumen als bisher angenommen, was fast alle anderen Erklärungen als die eines Schwarzen Lochs ausschließt“, sagt Rainer Schödel vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik. Neueste Modellrechnungen ergeben für das Schwarze Loch jetzt eine Masse von 2,6 (plus/minus 0,2) Millionen Sonnenmassen. Und um ein solches exotisches Gebilde muss es sich den Autoren des Nature-Artikels zufolge handeln: Kompakte Haufen von Neutronensternen, kleineren Schwarzen Löchern oder vielen masseärmeren Sternen scheiden aus. Nach den Worten von Reinhard Genzel wäre als einzige Alternative ein hypothetischer Stern aus Kernbausteinen (Bosonen) denkbar. „Doch der würde irgendwann ebenfalls zu einem supermassiven Schwarzen Loch kollabieren“, sagt Genzel.
Wie entstehen diese Schwarzen Löcher? Wann haben sie sich gebildet? Und weshalb sitzt praktisch in jeder massiven Galaxie ein solches Massemonster? Diese Fragen wollen die Wissenschaftler als Nächstes klären. Vielleicht gelingt ihnen eines Tages mit Röntgen- und Radiobeobachtungen sogar der direkte Nachweis des Ereignishorizonts.
Video zeigt die Bewegung des Sterns S2 um das galaktische Schwarze Loch (mpg1-Datei ca. 20 Sekunden lang; ca. 550 kB)
Zu den Ergebnissen dieses Projekts gibt die Europäische Südsternwarte European Southern Observatory zeitgleich eine englischsprachige Presseinformation heraus.
PDF-Version (264 kB)
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Prof. Reinhard Genzel
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