BIBB-Studie: Pauschale Kürzung der Ausbildungsvergütungen löst Lehrstellenproblematik nicht

„Nur unter bestimmten Voraussetzungen“, so BIBB-Präsident Manfred Kremer, „können mit einer Ab-senkung der Ausbildungsvergütungen tatsächlich positive Effekte erreicht werden: In tariflichen Vereinbarungen müssten die Betriebe als Gegenleistung für die Kostenentlastung verpflichtet werden, über den eigenen Bedarf hinaus Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Diese zusätzlichen Ausbildungsplätze müssten klar quantifiziert und die Zielerreichung überprüft werden – wie dies zum Beispiel in der Chemie-Branche praktiziert wird. Wenn sol-che Regelungen getroffen werden, wird auch das Problem einer Fehlsteuerung deutlich vermindert, da sich die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten nicht nur auf kleinere Betriebe konzentriert.“

Die BIBB-Studie geht unter anderem auf die Frage ein, welche Effekte eine pauschale Absenkung der Ausbildungsvergütungen nach sich ziehen würde. Fazit: Größere Betriebe mit hohen Ausbildungskosten bilden in der Regel nur entsprechend ihrem Nachwuchskräftebedarf aus. Sie sehen die Ausbildung als Investition an und ziehen ihren Nutzen hieraus erst zu einem späteren Zeitpunkt, und zwar dann, wenn sie ihre fertig ausgebildeten Fachkräfte für längere Zeit beschäftigen. Für diese Betriebe bietet der Einspareffekt durch reduzierte Vergütungen keinen unmittelbaren Anreiz für eine Überbedarfsausbildung. Diese ist für Betriebe nur dann wirtschaftlich sinnvoll, wenn die Auszubildenden bereits während der Ausbildungszeit Nettoerträge erzielen. Dies kommt aber vor allem in kleineren Betrieben vor. Für kleinere Betriebe würde die Ausbildung bei verringerten Vergütungen deshalb attraktiver.

Wahrscheinlich würden sich laut BIBB-Einschätzung bei einer derartigen Entwicklung insbesondere solche Betriebe noch stärker an der Ausbildung beteiligen, die eher wenig Interesse an einer späteren Übernahme der Auszubildenden haben. Eine pauschale Senkung der Ausbildungsvergütungen ohne Vereinbarungen der Tarifpartner könnte also zu einer Fehlsteuerung in Bereichen mit hoher Ausbildungs-, aber niedriger Übernahmequote führen. Die Chancen der Auszubildenden im Hinblick auf eine spätere Beschäftigung im erlernten Beruf würden sich verschlechtern. Die Folgen wären vermehrte berufliche Umorientierungen, die weitere umfangreiche Qualifizierungen nach der Ausbildung notwendig machen würden.

Die tariflichen Ausbildungsvergütungen lagen 2005 im Bundesdurchschnitt bei 607 Euro brutto pro Monat. In Westdeutschland betrugen sie durchschnittlich 623 Euro, in Ostdeutschland 529 Euro. Die Vergütungen unterscheiden sich jedoch erheblich nach den jeweiligen Ausbildungsbereichen: Relativ hoch liegen sie in Industrie und Handel sowie im Öffentlichen Dienst, eher niedrig dagegen im Handwerk, in der Landwirtschaft und in den Freien Berufen. Auch bei den betrieblichen Gesamtausbildungskosten gibt es große Unterschiede. Während sie in kleineren Betrieben (insbesondere in Handwerk, Landwirtschaft und Freien Berufen) eher niedrig sind und zum Teil durch die Arbeitsleistungen der Auszubildenden Nettoerträge erzielt werden, entstehen in großen Betrieben (vor allem in Industrie und Handel) meist sehr hohe Ausbildungskosten.

Die BIBB-Studie zeigt, dass die jeweilige Situation auf dem Lehrstellenmarkt die Entwicklung der Ausbildungsvergütungen in den vergangenen 30 Jahren stark beeinflusst hat. Bei einem deutlichen Überangebot an Ausbildungsplätzen und Befürchtungen eines Nachwuchsmangels – wie beispielsweise zu Beginn der 90er-Jahre – stiegen die Ausbildungsvergütungen erheblich. Bei einem Mangel an Ausbildungsplätzen, wie er seit Mitte der 90er-Jahre besteht, wurde dagegen häufig eine Kostenentlastung der Ausbildungsbetriebe gefordert. Infolgedessen wurden die Ausbildungsvergütungen seit 1996 nur noch sehr schwach angehoben. In den letzten beiden Jahren wurde hierdurch nicht einmal mehr die Inflationsrate ausgeglichen.

Ursula Beicht: „Entwicklung der Ausbildungsvergütungen in Deutschland“. Erschienen als Heft Nr. 12 in der BIBB-Reihe „Forschung Spezial“, Bonn, 2006.

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Andreas Pieper idw

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