Liberalisierung der Wasserversorgung in Deutschland birgt Risiken
Umweltbundesamt sieht hohe Standards beim Gesundheits- und Umweltschutz gefährdet
Eine Aufhebung der bisher bestehenden Gebietsmonopole der Trinkwasserversorgung in Deutschland kann deutliche Rückschläge im Gesundheits- und Umweltschutz mit sich bringen. Auch verfassungsrechtliche Fragen einer solchen Liberalisierung sind noch ungeklärt. Dieses Fazit zieht das Umweltbundesamt in einer Studie zur derzeit diskutierten Marktöffnung der Wasserversorgung. Im Unterschied zu den bereits liberalisierten Strom-, Gas- und Telekommunikationsmärkten findet die Versorgung mit Trinkwasser in geschützten Gebietsmonopolen statt und wird im wesentlichen durch die Kommunen kontrolliert. Diese Konstruktion ist ein Garant für das heute – auch im internationalen Vergleich – hohe Niveau der Trinkwasserqualität und des Ressourcenschutzes in Deutschland. Das Erreichte wird gefährdet, wenn der regionale Einfluss verringert, die Bindung der Verbraucher an „ihr“ Wasserwerk geschwächt und durch eine Marktöffnung der Kostendruck auf die Unternehmen weiter erhöht wird. Möglicherweise werden dann viele der derzeit rechtlich nicht eindeutig fixierten Leistungen nicht mehr erbracht. So könnte das Trinkwasser wieder vermehrt mit Chlor desinfiziert werden, um Mängel der Rohrnetzpflege zu überdecken. Das ist jetzt schon in vielen Ländern der Welt üblich.
Die Studie mit dem Titel „Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung – Auswirkungen auf den Gesundheits- und Umweltschutz, Skizzierung eines Ordnungsrahmens für eine wettbewerbliche Wasserwirtschaft“ macht deutlich: Die möglichen Auswirkungen der Liberalisierung des deutschen Wassermarktes hängen sowohl von der genaueren rechtlichen Ausgestaltung dieses Liberalisierungsprozesses als auch von den jeweiligen regionalen Gegebenheiten ab.
Für die Wasserversorgung gilt – im Unterschied zu Strom und Gas – § 103 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der alten Fassung von 1990 fort; er stellt die Gebietsmonopole von den allgemeinen Regelungen des Kartellrechts frei. Derzeit versorgen zwischen sechs- und siebentausend Unter- nehmen Deutschland mit Trinkwasser. Sie sind größtenteils in kommunalem Besitz.
Eine Streichung von § 103 GWB ist im Zusammenhang mit der Liberalisierung des Strom- und Gasmarktes diskutiert worden, wurde aber zunächst zurückgestellt. In jüngster Zeit ist diese Diskussion wieder verstärkt geführt worden – auch im Hinblick auf mögliche europäische Initiativen.
Sicher ist, dass es im Zuge einer Liberalisierung mehr Wettbewerb auf dem Wasserversorgungsmarkt in Deutschland geben würde. Damit verbunden dürften sich Privatisierungs- und Konzentrationstendenzen bei den Versorgungsunternehmen weiter verstärken. In zunächst begrenztem Umfang könnte es zu einem direkten Wettbewerb um Kunden kommen, indem Großabnehmer über Konkurrenzleitungen versorgt werden oder mehrere Versorger in ein Netz einspeisen. Die Rahmenbedingung hierfür sind allerdings unklar.
Das Umweltbundesamt befürchtet, dass in der Folge einer Liberalisierung bereits erzielte Erfolge auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wasserwirtschaft gefährdet werden. Nachhaltige Wasserwirtschaft bedeutet, dass Wasser so genutzt wird, dass die Bedürfnisse der heute lebenden Menschen und der Umwelt befriedigt werden, die Verfügbarkeit von Wasser und die davon abhängenden Ökosysteme aber nicht so verändert werden, dass eine zukünftige Nutzung eingeschränkt wird. Viele der heute im Rahmen der Wasserversorgung erbrachten Leistungen für den Umwelt- und Gesundheitsschutz sind nicht im Einzelnen rechtlich fixiert oder nur schwierig zu überwachen. Diese Leistungen könnten auf einem liberalisierten Wassermarkt zurückgefahren werden oder gar wegfallen. Dazu zählen die weitgehende Regionalität der Wassergewinnung und -verteilung in Verbindung mit den umfangreichen, von den Wasserversorgern durchgeführten Maßnahmen zum Ressourcen-, Umwelt- und Naturschutz. Die Konzentration der Wasserversorgungsunternehmen durch die Marktliberalisierung wird voraussichtlich zu einer Vernachlässigung kleinerer Wassergewinnungsgebiete führen. Dies gilt insbesondere, wenn der Ressourcenschutz vor Ort – im wesentlichen Grundwasserschutz – sich als kostenträchtiger als das Ausweichen auf andere Vorkommen erweist, bei denen kein Nutzungskonflikt besteht. Die Folge wäre langfristig eine zunehmende Aufteilung des Landes in Wasser verbrauchende Regionen (vor allem die dicht besiedelten und landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen) und Wasser liefernde Regionen (Gebiete mit ausreichendem Wasserdargebot bei gleichzeitig geringem Verschmutzungsgrad und vergleichsweise geringer Wassernachfrage). Die Marktliberalisierung wird diese, schon jetzt zu beobachtende Entflechtung von Wirtschafts- und Nutzungsräumen verstärken und die Bemühungen, aus Gründen des Umweltschutzes solchen Entflechtungen entgegenzuwirken, weiter erschweren.
Auch erfordert eine verringerte Rohrnetzpflege, die bei einer Liberalisierung zu befürchten ist, einen erhöhten Zusatz an desinfizierenden Stoffen. Dadurch wird die Qualität des Trinkwassers beeinträchtigt. Der mit einer Liberalisierung grundsätzlich möglich werdende direkte Wettbewerb in einem Leitungsnetz und die damit einher gehende (unter Umständen nicht abgestimmte) Mischung verschiedener Wässer verstärkt voraussichtlich den Druck, das Trinkwasser zu chloren. Dies verschlechtert ebenfalls die Trinkwasserqualität. Ob die bei der Mischung auftretenden technischen, hygienischen, und haftungsrechtlichen Probleme zufriedenstellend gelöst werden können, ist derzeit unklar und wird vom Umweltbundesamt bezweifelt. Ferner ist zu befürchten, dass die Umsetzung des Minimierungsgebots der Trinkwasserverordnung, das fordert, den Eintrag vermeidbarer Schadstoffe in das Trinkwasser zu vermeiden, in einem wettbewerblichen Umfeld in geringerem Umfang befolgt wird. Die mögliche Verringerung von Instandhaltungsinvestitionen, die in der Folge der Liberalisierung des Strommarktes beobachtet wurde, verursacht bei Ressourcenschutz, Aufbereitung und Verteilung des Trinkwassers weitere, vermeidbare hygienische Risiken.
Auch deutet – bei einem Gesamtumsatz der Trinkwasserversorgung in Deutschland im Umfang von etwa 12 Milliarden Mark jährlich, von dem etwa 70 % dem Leitungsnetz zuzuordnen ist – vieles auf ein lediglich bescheidenes Potenzial an Wohlfahrtsgewinnen durch eine Liberalisierung in diesem Markt hin – im Unterschied beispielsweise zum Telekommunikationsmarkt. Die heute geschätzten Effizienzsteigerungen liegen mit 10 bis 15 % deutlich unter denen bei Strom- und Telekommunikationsleistungen.
Eine rechtliche Bewertung ergab, dass vor einer Liberalisierung der Wasserversorgung eine weitere verfassungsrechtliche Prüfung erforderlich ist, da die Liberalisierung einen Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden darstellen kann. Sollte die Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung aus anderen Gründen als dem Gesundheits- und Umweltschutz gewollt sein, ist eine sorgfältige rechtliche Flankierung unverzichtbar. Aufgrund der vielfältigen möglichen Auswirkungen ist von einem umfangreichen Regelwerk und demzufolge von einer aufwendigen Überwachung auszugehen. Hier treten Konflikte mit dem Ziel des Abbaus, der Vereinfachung und Begrenzung der öffentlichen Verwaltung auf, Stichwort: „Schlanker Staat“.
Die im Falle der Marktöffnung zu schaffenden Regelungen sollten den Erhalt und die Stärkung der regionalen Wasserversorgung und den Fortbestand von Maßnahmen zum Ressourcenschutz sichern sowie jede technisch vermeidbare Verschlechterung der Trinkwasserqualität ausschließen. Dazu wird zunächst eine bundesrechtliche Verankerung dieser beiden wesentlichen Ziele im Wasserhaushaltsgesetz und im Infektionsschutzgesetz vorgeschlagen. Die Operationalisierung dieser Ziele sollte durch Wasserversorgungspläne erfolgen, die – nach bundesrechtlicher Vorgabe – von den Bundesländern aufzustellen wären. Auf dieser Grundlage soll dann eine Zulassung von Wasserversorgungsunternehmen erfolgen. Für die Einbindung der Kommunen ist dabei Sorge zu tragen. In der Studie werden darüber hinaus weitere Einzelheiten eines möglichen Rechtsrahmens vorgeschlagen.
Hinweis: Dem Thema Umweltaspekte einer Privatisierung – aber auch Liberalisierung – des Wassermarktes widmet sich eine internationale Fachtagung des Bundesumweltministeriums am 20. und 21. November 2000 in Berlin. Weitere Informationen gibt es in der dortigen Pressestelle, Tel: 030/28550-2010/2011, Fax: -2016.
Berlin, den 20.11.2000
! Die Studie „Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung – Auswirkungen auf den Gesundheits- und Umweltschutz, Skizzierung eines Ordnungsrahmens für eine wettbewerbliche Wasserwirtschaft“ kann im Internet unter www.umweltbundesamt.de/wasserherunter geladen werden. Sie ist auch in der Reihe TEXTE des Umweltbundesamtes als Nr. 2/2000 veröffentlicht worden, umfasst 90 Seiten und kostet 15,- DM. Sie kann gegen Einsendung eines Verrechnungsschecks an die Firma Werbung und Vertrieb, Ahornstraße 1 – 2, 10787 Berlin, bestellt werden. Bitte bei der Bestellung die TEXTE-Nummer 2/2000 angeben und auch den Absender nicht vergessen.
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