Kehlkopf- und Stimmgeschädigte: Die eigene Stimme aus dem Computer

Es begann alles vor sieben Jahren mit einem dramatischen Anruf. Ein naher Freund erzählte dem Physiker Dr. Eduardo Mendel von der Diagnose Kehlkopfkrebs und dass er in wenigen Tagen operiert werden müsse und seine Stimme verlieren werde. Nach dem ersten Schock zerbrach sich Mendel den Kopf darüber, ob nicht die Stimme seines Freundes auf irgendeine Weise zu „retten“ sei.

Er war überzeugt, dass es heutzutage möglich sein müsse, die eigene Stimme aufzunehmen und damit anschließend ein Sprechprogramm zu „füttern“. Der promovierte Physiker, der seit vielen Jahren im Bereich der Theoretischen Physik der Universität Oldenburg geforscht und gelehrt hat und hier derzeit Lehrbeauftragter ist, recherchierte sowohl im Internet als auch bei einschlägigen Firmen und musste feststellen, dass es keine entsprechenden Computerprogramme gab. Es existieren zwar Sprechprogramme, allerdings werden diese immer von einer unpersönlichen bzw. künstlichen Stimme gesprochen. In aller Eile machte der Oldenburger Wissenschaftler dann eine Reihe von Tonaufnahmen mit seinem Freund – ohne zu wissen, was er eigentlich genau benötigen würde.

Danach begann die Arbeit. Der jetzt 54-jährige Physiker musste sich in ein ihm bis dahin weitgehend unbekanntes Wissensgebiet einarbeiten: die Phonetik (Lautlehre) der deutschen Sprache. „Das war eine sehr, sehr mühselige Arbeit, da die deutsche Aussprache nicht eindeutig mit der Schreibweise übereinstimmt.“ Es half, dass er durch seine Studien in Chile, USA, Kanada und Israel mehrere Sprachen, unter anderem Spanisch beherrscht, in der die Schrift eindeutig phonetisch ist. Das andere große Problem neben der Phonetik war die Entwicklung eines Softwareprogramms, mit dem aus einem Fundus an Lauten und Silben neue Wörter und Sätze gebildet werden können. Nach fünfjähriger Entwicklungsarbeit war Mendel am Ziel: Er hatte sein Verfahren zur Reife gebracht und gründete daraufhin seine Firma, um es für Patienten zugänglich zu machen.

Das Verfahren funktioniert so: Am Anfang steht die Sprachaufnahme bei Patienten, bei denen ein Stimmverlust droht. Mendel: „Es ist äußerst wichtig, dass die Patienten von dieser Möglichkeit früh erfahren, damit ihre Stimme noch gut klingt.“ Hauptsächlich handelt es sich um Menschen, die an Kehlkopfkrebs oder der neurologischen Krankheit ALS erkrankt sind. Die Patienten müssen eine Wortliste vorlesen, die mehrere tausend Silben und alle Phoneme beinhaltet, was rund drei Stunden dauert. Sobald der Patient seine digital gespeicherte Stimme benötigt, wird das „Sprachmaterial“ von Mendel und seinen Mitarbeitern ins individuelle Sprechprogramm „Meine-eigene-Stimme“ integriert und dem Patienten zugeschickt. Diese zweite Phase nimmt 60 bis 70 Arbeitsstunden in Anspruch.

Nach der Installation des Programms auf seinem Computer kann dann der von Stimmverlust betroffene Patient Sätze eingeben, die anschließend von seiner „eigenen Stimme“ gesprochen werden. Zwar ist die Sprache aus dem Computer nicht völlig identisch mit der „lebendigen“ Sprache, da das Programm nicht ganze Satzmelodien nachbilden kann, allerdings ist der Klang völlig natürlich und in seiner Individualität eindeutig erkennbar.

Inzwischen haben Mendel und seine Mitarbeiter für rund 50 Patienten ein angepasstes Softwareprogramm erstellt. „Wir haben bei weiteren 50 Patienten Sprachaufnahmen gemacht“, so Mendel, „aber glücklicherweise benötigen diese Patienten das Programm bislang noch nicht.“

In diesem Jahr ist das Verfahren in das Hilfsmittelverzeichnis der Krankenkassen aufgenommen worden. „Das ist natürlich ein großer Erfolg“, so Mendel, „andererseits ist die Bewilligungspraxis der einzelnen Kassen sehr unterschiedlich, und manchmal entscheidet sogar dieselbe Kasse von Fall zu Fall unterschiedlich.“ Dass das Programm, das 3.200 Euro kostet, abgelehnt wird, weil es teurer als die Sprechprogramme mit unpersönlichen Stimmen ist, mag Mendel nicht gelten lassen. „Gerade die eigene Stimme gehört zu den zentralen Dimensionen unserer Persönlichkeit“, sagt der Oldenburger Wissenschaftler.

„Es ist wunderbar, auf diese Weise Menschen helfen zu können“, so Mendel, der von sehr positiven Rückmeldungen der Patienten berichtet. „Ich würde mir nur wünschen, dass die betroffenen Menschen sich früher bei uns melden. Oft können die Patienten kaum noch sprechen, wenn wir zu ihnen kommen.“ Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass die Patienten die Stimme eines nahen Verwandten aufnehmen lassen, falls die eigene Stimme schon zu sehr beeinträchtigt ist. Für Patienten, die außerdem noch in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, funktioniert das Sprechprogramm in Kombination mit Eingabehilfen wie Bildschirmtastatur, Stirn- und Augensteuerung.

Und der Freund mit dem Kehlkopfkrebs? „Dem geht es relativ gut“, erzählt Mendel, „aber mit dem heutigen ausgereiften Programm hätte ich ihm viel besser helfen können.“

Kontakt: Dr. Eduardo Mendel, E-Mail: mendel@uni-oldenburg.de, Tel. 0441/72261

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Gerhard Harms idw

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