Seegras – vom ungeliebten Strandgut zum Rohstoff der Zukunft?
Angeschwemmtes Seegras kann richtig teuer werden. Da es nur mit einer teuren Vorbehandlung entsorgt werden darf und auch das Aufbringen auf die Felder inzwischen verboten ist, haben viele Gemeinden Mecklenburg-Vorpommerns ein Problem am Hals. Wohin mit dem ungeliebten Strandgut? Wissenschaftler der TU Dresden haben jüngst mithilfe einer Pilotanlage zeigen können, dass die Pflanzenreste sich nach der Reinigung und Trocknung zur Weiterverarbeitung eignen. Der „Müll“ wird damit zum kostbaren Naturrohstoff.
Sören Tech, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Holz- und Papiertechnik der TUD, trug die Idee zur stofflichen Nutzung von Seegras schon eine Weile mit sich herum. Wie könnte man angeschwemmtes Biomaterial, das die feinweißen Sandstrände verunziert, als Rohstoff weiterverwerten? Vor sieben Jahren trat er an die Ostseegemeinde „Am Klützer Winkel“ heran: ob man dort nicht testen wolle, wie Seegras eventuell als Bau- und Dämmstoff verwendet werden könnte, statt für eine aufwändige Entsorgung zu bezahlen? Man wollte. Ein EU-Projekt mit neun Partnern aus fünf Ländern wurde ins Leben gerufen, das sich verschiedenen Teilaspekten des Problems gesondert widmete; etwa, welche Inhaltsstoffe die verschiedenen Seegras-Sorten haben, wie es am einfachsten getrocknet werden kann, und welche Vermarktungsstrategien sich für das außergewöhnliche Material anbieten.
Das Institut für Holz- und Papiertechnik der TU Dresden beschäftigte sich vor allem mit der Frage, welche Materialeigenschaften bei verschiedenen Mischungsverhältnissen am besten zum Tragen kommen, und wie der Faserrohstoff in bestehende Produkte und Anlagen integriert werden könnte. Durch seinen natürlichen Salzgehalt brennt Seegras schlechter als andere gängige Dämmstoffe wie z.B. Flachs, und lässt sich doch einfacher verarbeiten als Stein- oder Glaswolle. Mitteldichten Faserplatten kann Seegras beigemischt werden und so andere, wertvollere Rohstoffe ersetzen. Aber auch in Biogasanlagen kann der Rohstoff verarbeitet werden.
Die Herausforderung, das Seegras kostengünstig so zu reinigen, dass es anschließend weiterverwendet werden kann, wurde in einer Pilotanlage untersucht. Eine Luftstromtrocknung hat sich dabei als günstig erwiesen, und eine Marktstudie wies nach, dass das Material für mittelgroße regionale Dämmstoffproduzenten trotz der relativen Unberechenbarkeit des „Erntezeitpunkts“ attraktiv sein kann. Darüber hinaus denkt Tech daran, den weltweit steigenden Bedarf an Rohstoffen durch die Nutzung von nachwachsenden Rohstoffquellen aus See- und Binnengewässern mit ähnlichen Zielstellungen anzugehen. Wenn da vernünftige Erntetechnologien direkt aus dem Wasser entwickelt würden, erklärt der Wissenschaftler, hätte man Seegras in hoher Qualität, das andere nachwachsende Rohstoffe ergänzen könnte.
In Zukunft ist die Verwertung von Seegras, das traditionell auch als Füllstoff für Matratzen oder Sofas diente, eher auf hochwertige Weiterverarbeitung gerichtet. So liegt bereits eine Anfrage des Meeresmuseums Stralsund am Dresdner Institut vor: die neuen Vitrinen des Museums sollen aus Seegrasfaserplatten hergestellt, die Leuchten mit Seegrasschirmen veredelt werden.
Weitere Informationen: Dipl.-Ing. Sören Tech, Tel. 0351 463-38108, E-Mail: soeren.tech@tu-dresden.de
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