Wie Neuronen Glutamat ausschütten
Wissenschaftler um Prof. Reinhard Jahn am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie haben jetzt einen entscheidenden weiteren Prozess bei der Erregung von Nervenzellen aufgeklärt. Um Signale zwischen Zellen zu übermitteln, setzt die vorgeschaltete Zelle einen Transmitter frei – häufig Glutamat -, der dort in kleinen Bläschen (Vesikeln) gespeichert ist. Aber wie kommt das Glutamat in die Vesikel hinein? In einer gerade erschienenen Veröffentlichung in Nature weisen die Wissenschaftler nach, dass die Glutamat-Speicherung durch ein bestimmtes Protein, das BNPI, bewirkt wird. Diese Beobachtung fördert nicht nur das Verständnis neuronaler Übertragungsprozesse, sondern macht auch Hoffnungen auf Behandlungsmöglichkeiten bestimmter Krankheiten, bei denen die Glutamat-abhängige Signalübertragung gestört ist.
Originalveröffentlichung: Takamori, S., Rhee, J.S., Rosenmund, C., Jahn, R., Nature 407, 189-194 (2000).
Glutamat ist eine Aminosäure, die überall im Körper vorkommt. Im Gehirn hat es eine besondere Aufgabe, es dient als Neurotransmitter bei der Signalübertragung zwischen Nervenzellen. Dazu wird Glutamat in vielen Nervenendigungen in kleinen Bläschen, den sogenannten synaptischen Vesikeln, gespeichert. Nervenzellen sind durch einen kleinen „synaptischen Spalt“ von einander getrennt, den Signale bei der Weiterleitung überwinden müssen. Wird die vorgeschaltete Nervenzelle aktiviert, gibt sie den Inhalt der Vesikel in den synaptischen Spalt frei, Glutamat erreicht die nachgeschaltete Zelle und löst dort eine neue Aktivierung aus. So können Signale in komplexen Neuronennetzen übertragen werden, ohne dass sich die Nervenzellen berühren müssen, und so werden im Gehirn hoch-komplizierte Verschaltungswege in dichten Ansammlungen von Nervenzellen realisiert.
Einige Prozesse dieses Erregungsablaufs sind inzwischen schon recht gut verstanden. Neben Glutamat ausschüttenden Neuronen gibt es z.B. auch solche, die GABA freisetzen, einen Neurotransmitter, der die Erregung nachgeschalteter Zellen unterdrückt und damit die Signalübertragung von anderen Zellen behindert. Weitgehend unklar war aber bisher noch immer, wie ein Neuron überhaupt in die Lage versetzt wird, den Transmitter Glutamat freizusetzen. Dazu haben die Wissenschaftler Shigeo Takamori, Jeong Seop Rhee, Christian Rosenmund und Reinhard Jahn aus den Abteilungen Neurobiologie und Membranphysik am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie jetzt neue Erkenntnisse gewonnen.
Nachdem das Glutamat in den synaptischen Spalt gelangt ist und über eine Reihe von Prozessen die nachgeschaltete Nervenzelle erregt hat, muss es von dort wieder entfernt werden, um die Möglichkeit für einen neuen Signal-Übertragungsprozess zu schaffen. Das besorgen andere Zellen, Astrogliazellen, die das umherschwimmende Glutamat wie ein Staubsauger aus dem Spalt entfernen. Diese Zellen geben es in etwas anderer Form, als Glutamin, wieder ab, in der es von den Nervenzellen aufgenommen und wieder in Glutamat zurückverwandelt wird. Die Arbeitsgruppe am MPI in Göttingen hat jetzt zeigen können, dass die Aufnahme und Speicherung von Glutamat in den Vesikeln durch ein bestimmtes Protein, BNPI, bewerkstelligt wird, das Glutamat aus dem umgebenden Intrazellulärraum in die Vesikel pumpt. Führt man dieses Protein in hormonsezernierende Zellen ein, schütten diese neben ihrem eigentlichen Hormon auch Glutamat aus. Die Wissenschaftler konnten sogar Nervenzellen, die normalerweise nur GABA ausschütten, durch Einbau des BNPI dazu bewegen, neben GABA auch Glutamat auszuschütten – also zwei Transmitter gleichzeitig freizusetzen, was in dieser Form in der Natur nicht vorkommt. Diese Beobachtungen belegen, dass BNPI die entscheidende Rolle bei der vesikulären Speicherung von Glutamat spielt.
Das weckt Hoffnungen für eine gezielte Steuerung der Glutamat-Übertragung im Nervensystem. Viele neurologische Krankheiten, von der Epilepsie bis zu chronisch degenerativen Störungen wie der Chorea Huntington, gehen mit Änderungen der Glutamat-Übertragung einher. Die Beobachtung, dass diese Übertragung durch ein bestimmtes Molekül zustande kommt, lässt hoffen, dass man in naher Zukunft die genetischen Ursachen dieser Krankheiten besser verstehen und Medikamente entwickeln kann, mit denen man diese Krankheiten behandeln und vielleicht sogar verhindern kann.
Für Rückfragen:
Prof. Dr. Reinhard Jahn, Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Abt. Neurobiologie, 37070 Göttingen; Tel.: 0551 201 1635; Fax: 0551 201 1639; eMail: rjahn@gwdg.de
(Die Meldung steht Ihnen auch im Internet zum Download zur Verfügung: http://www.mpibpc.gwdg.de/abteilungen/293/PR/00_08/glutamat.html
Wenn möglich, wird sie dort Anfang nächster Woche noch durch ein Bild ergänzt.)
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