Eierstockkrebs: Theoretische Biologie in der Praxis
Zentraler Aspekt der neuartigen Strategie ist die Ergänzung klinischer Erkenntnisse mit den Möglichkeiten der Theoretischen Biologie. So wurden öffentlich zugängliche Daten über wichtige Proteine des Eierstockkrebs unter Verwendung eines eigens entwickelten Programms verglichen und analysiert. Dieses erlaubt aus der großen Anzahl an Proteinen, die in Krebszellen verändert auftreten, jene zu identifizieren, die sich für Diagnostik oder Therapie mittels immunologischer Ansätze eignen könnten.
Krebszellen können eine Immunantwort des Körpers provozieren. Dafür sind Proteine verantwortlich, die ausschließlich in Krebszellen vorkommen oder dort in anderer Form als in gesunden Zellen vorliegen. Zahlreiche Oberflächenstrukturen dieser Proteine – so genannte Antigene – bieten dem Immunsystem dabei Angriffspunkte, auch wenn sie nur selten die Eliminierung des Tumors erlauben. So bieten gerade diese Antigene einen guten Ansatzpunkt für die Krebsdiagnostik und -therapie. Voraussetzung dafür ist, dass genau jene Antigene aus der Vielzahl der Oberflächenstrukturen identifiziert werden können, die bei den Patientinnen auch tatsächlich eine Immunreaktion provozieren.
Genau dafür haben Wissenschafter um Prof. Michael Krainer, Onkologe an der Klinik für Innere Medizin I, Medizinische Universität Wien (MUW), am Beispiel des Eierstockkrebs eine neue Strategie publiziert*. Diese hat die nahtlose Zusammenarbeit von MedizinerInnen der MUW mit WissenschafterInnen des österreichischen Biotechnologie-Unternehmens emergentec biodevelopment genutzt.
Das Team um Prof. Krainer wählte dazu aus insgesamt 86 Proteinen, die laut einer eigens durchgeführten Literaturanalyse in Krebszellen in erhöhter Konzentration vorkommen, jene 31 Proteine mit der höchsten Konzentration aus. Diese sollten in einem Test unter Verwendung der Blutseren von Eierstockkrebs-Patientinnen auf ihre Immun-Reaktivität hin getestet werden.
Also daraufhin, ob sie tatsächlich eine Immunantwort bei Patientinnen provoziert haben. In diesem Fall würde es im angewendeten Test zur nachweisbaren Immunreaktion zwischen Proteinen und Blutserum kommen.
Doch zur optimalen Ausführung des dafür gewählten Tests (einem ELISA-Assays) war die vorherige Identifizierung genau jener Antigene notwendig, die tatsächlich eine Immunreaktion der Patientinnen provoziert haben könnten. Zu diesen auch als Epitope bezeichneten Antigenen meint Prof. Krainer: „Gerade bei der Identifizierung der klinisch relevanten Epitope ist die Verwendung intelligenter Computer-Algorithmen entscheidend. Denn jedes Protein besitzt ja zahlreiche Oberflächenstrukturen, aber nur wenige davon sind in diesem Zusammenhang wichtig. Werden die falschen Epitope getestet, so wird keine Immunogenität des fraglichen Proteins festgestellt, obwohl sie auf Grund anderer Epitope vorhanden ist. Wir verwendeten dafür ein Programm, das auf eine Auswertung großer Datenmengen von experimentell verifizierten B-Zellen-Epitope zurückgreift. Deren Strukturen sind bekannt und bereits ausgewertet worden. Unter Verwendung neuronaler Netzwerke kann unser Programm nun Vorhersagen über die Immunogenität neuer Proteinsequenzen machen. Mit überragendem Erfolg!“
Tatsächlich konnte Prof. Krainers Team so 18 Epitope von 12 Proteinen identifizieren, die mit den Seren der Patientinnen reagierten. Wurden diese Epitope in der Reihenfolge ihrer Reaktivität aufgelistet, dann erschien das bereits als Tumorantigen bekannte TP53 an einer der ersten Stellen. Ein schöner Beleg für die Vorhersagekraft der verwendeten Algorithmen, die auch ein Epitop eines Proteins identifizierten, das bisher weder als Antigen aufgefallen noch mit Krebs in Verbindung gebracht wurde: die RNA Helicase DDX21.
Mit einem anderen Ansatz, den Krainer und sein Team als Kontrolle wählten, konnten die Zusammenhänge zwischen Epitopen und Immunantwort weit weniger gut vorhergesagt werden. Bei dieser Analyse wurden alle der zuvor identifizierten 86 Proteine untersucht, die in Tumorzellen des Eierstockkrebs in erhöhter Konzentration vorkommen. Im Detail wurden Eigenschaften dieser Proteine mit spezifischen Daten (SEREX-daten:
serological expression cloning analysis) bekannter Autoantigene von Krebszellen verglichen. Im Gegensatz zum oben geschilderten Ansatz konnte so kein Zusammenhang zwischen Überexpression und der Immunantworten der Patientinnen gefunden werden, obwohl dieser ja durch den ELISA-Test für mindestens 18 Epitope belegt wurde.
Für Krainer ein schöner Beleg dafür, dass erst die Kombination von Informationen aus Datenbanken, intelligenten Computer-Algorithmen und experimentellen Messungen in zeitsparender und effizienter Weise Oberflächenstrukturen auf Tumorzellen identifizieren kann, die klinische Relevanz versprechen. Damit leistet diese neue Strategie einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung effizienter Produkte zur Krebsdiagnose und -therapie, die auf Immunreaktionen beruhen.
Originalpublikation: Rapberger R, Perco P, Sax C, Pangerl T, Siehs C, Pils D, Bernthaler A, Lukas A, Mayer B, Krainer M., Linking the ovarian cancer transcriptome and immunome. BMC Syst Biol. 2008 Jan 3;2(1):2 PMID: 18173842
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