Undeutliche Sprache, klarer Geist
Mehr Aufklärung bei Erkrankungen des Nervensystems gefordert
Patienten mit schweren, das Nervensystem beeinträchtigenden fortschreitenden Krankheiten wie Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Chorea Huntington oder Heredo Ataxie werden im Zuge der Diagnosestellung zu selten darüber informiert, dass ihre Grunderkrankung häufig auch eine Sprechstörung nach sich zieht. So werden sie auch nicht über die Folgen aufgeklärt, die eine eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit für das Berufsleben, das Freizeitverhalten und die sozialen Kontakte – nicht zuletzt die Partnerschaft – haben kann. Das hat Dr. Barbara Giel in einer Studie festgestellt, die sie zusammen mit einer Gruppe junger Forscherinnen am Seminar für Sprachbehindertenpädagogik der Universität zu Köln durchgeführt hat.
Häufig ist zu beobachten, dass Menschen wegen einer grunderkrankungsbedingten undeutlichen Artikulation als betrunken oder geistig gestört eingeschätzt und entsprechend behandelt werden, obwohl sie in ihren intellektuellen Fähigkeiten keineswegs beeinträchtigt sind. Hier fehlt auch eine umfassende Aufklärung der Allgemeinheit. Zudem gibt es kaum Psychologen, die bereit sind, mit Patienten zu arbeiten, die starke Kommunikationsstörungen haben. Die Betroffenen sind also mit einer Fülle von Problemen konfrontiert, auf die sie kaum vorbereitet sind und für deren Bewältigung ihnen zu wenig therapeutische Unterstützung angeboten wird.
Die Untersuchung ergab, dass sich die Bewertung der Belastung durch die Sprechstörung im Zusammenhang mit der Grunderkrankung aus der Perspektive der Betroffenen anders darstellt als aus Expertensicht. So wird ein behandelnder Sprachtherapeut, der vor allem die vorhandene Kommunikationsstörung betrachtet, diese möglicherweise als belastender interpretieren als der Patient selbst. Dieser ist durch seine Grunderkrankung mit einer Fülle weiterer Probleme konfrontiert, die die Lebensqualität möglicherweise stärker einschränken als die Sprechstörung.
Die Bedeutung von Kommunikation ist zudem individuell verschieden und nicht mit objektiven Kriterien messbar. So wird die reduzierte Verständlichkeit von den Betroffenen als mehr oder weniger schlimm eingeschätzt, relativ unabhängig davon, ob sie einem klassischen Sprecherberuf wie Lehrer oder Geschäftsleiter angehören oder einen Beruf ausüben, in dem der Sprechanteil eher geringer ist, beispielsweise Maschinenschlosser oder Hausfrau. Es kann also sein, dass ein Patient seine Sprechstörung als wenig gravierend empfindet, weil sprachliche Kommunikation in seinem Leben keine herausragende Rolle gespielt hat oder auch, weil er hauptsächlich mit anderen, wesentlich massiveren Beeinträchtigungen zu kämpfen hat. Ein solcher Patient wird von der Notwendigkeit einer sprachtherapeutischen Behandlung nicht überzeugt sein und entsprechend schlecht mitarbeiten. Dadurch wird die Behandlung für den Patienten wie für den Therapeuten ermüdend und bleibt letztlich erfolglos.
Die genannten fortschreitenden Erkrankungen haben lange Krankheitsverläufe von bis zu dreißig Jahren, und Heilungschancen fehlen. Dennoch muss eine adäquate Therapie gewährleistet sein, damit das Leben mit der sich verändernden Situation für die Betroffenen lebbar und wertvoll bleibt. Um dabei den Aspekt der Kostenersparnis dennoch nicht aus den Augen zu verlieren, sollten alle therapeutischen Maßnahmen patientenorientiert geplant werden. Der einzelne Mensch mit seiner Grunderkrankung, den daraus resultierenden körperlichen, seelischen und sozialen Problemen und mit seinen ganz individuellen Bedürfnissen sollte – so Dr. Giel – im Mittelpunkt der Therapie stehen.
Die Betroffenen sind nicht nur mit dem Auftreten der Grunderkrankung oder mit der Verschlechterung ihrer Kommunikationsfähigkeit konfrontiert, sondern haben verschiedene, aber miteinander in Zusammenhang stehende kritische Lebensereignisse zu bewältigen, wie z.B. Auseinandersetzung mit Krankheit und Tod, Aufgabe des Berufes, Verringerung des Einkommens, sinkender Sozialstatus, erkrankungsbedingte Veränderungen der Freizeitaktivitäten und Hobbys, Verringerung der Sozialkontaktdichte, Probleme mit dem Lebenspartner etc. Ein wichtiger Faktor im Umgang mit dieser Situation ist das Wechselspiel zwischen der Wahrnehmung von Bedrohung durch die Erkrankung und ihre Folgen und der Wahrnehmung der eigenen Möglichkeiten, die Situation zu bewältigen. Diese Beziehung verschiebt sich zum Positiven, je besser der Betroffene – möglichst schon vor Auftreten der Erkrankung – über die Krankheit und daraus resultierende Störungen informiert ist. Das Gefühl der Bedrohung, der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins wird dann schwächer zugunsten der Überzeugung, selber an der Aufrechterhaltung oder Wiedererlangung der eigenen Lebensqualität mitwirken zu können. Natürlich spielt auch die Unterstützung durch die Umwelt hierbei eine große Rolle, die ebenfalls umso mehr gewährleistet ist, je besser die Menschen über die entsprechenden Krankheitsbilder informiert sind. Deswegen plädiert die Kölner Sprachtherapeutin für eine bessere Aufklärung der Patienten im Zuge der Diagnosestellung. Das setzt auch einen guten Informationsstand der behandelnden Ärzte voraus. Daneben fordert sie öffentlichkeitswirksame Aufklärungskampagnen, wie sie in den letzten Jahren für die Früherkennung beim Schlaganfall bereits erfolgreich durchgeführt worden sind.
Verantwortlich: Antje Schütt M.A.
Für Rückfragen steht Ihnen Frau Dr. Barbara Giel unter der Telefonnummer 0221/470-5510 und der Fax-Nummer 0221/470-2128 sowie der E-Mail Adresse: b.giel@uni-koeln.de zur Verfügung.
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