Jungenbrunnen für Hirschfigur
An der FH Aalen wird ein vorkeltisches Schnitzwerk des Landesmuseums Stuttgart berührungslos reproduziert.
Aus der Zeit, in der antike Autoren zum ersten Mal von Menschen jenseits der Alpen berichteten, die sie den Kelten oder Galliern zuordneten, stammen in Süddeutschland viereckige, mit Wall und Graben befestigte Anlagen, die die Archäologen als Viereckschanzen bezeichnen. In einer solchen wurde 1977 in Schmiden bei Waiblingen ein 20 Meter tiefer Schacht entdeckt. Auf dessen Grund sind neben Tonscherben ein aus Eichenholz geschnitzter Hirsch und zwei Böcke erhalten geblieben, die über 2000 Jahre alt sind.
Eben diese Hirschfigur fand vom Württembergischen Landesmuseum Stuttgart ihren Weg an die FH Aalen. Dort soll das kostbare Stück tomographisch vermessen und stereolithographisch reproduziert werden. Und das auf eine möglichst schonende Weise. „Denn eigentlich soll die in Europa einmalige Figur gar nicht bewegt werden“, erklärt Dr. Erwin Keefer vom Landesmuseum. Für die Großausstellung „Menschen Zeiten Räume“, die Ende Herbst diesen Jahres im Gropiusbau in Berlin eröffnet wird, möchte der Archäologe aber eine Ausnahme machen. „Für diese Zeit benötigen wir in unseren Ausstellungsräumen natürlich eine hochwertige Replik“, so Keefer, „deren Herstellungsprozess das Original auf keinen Fall beschädigen darf.“
An ein Abgießen der Form ist deshalb nicht zu denken. Prof. Dr. Uwe Berger von der Fachhochschule Aalen wird zur Reproduktion der Hirschfigur daher ein generatives Verfahren einsetzen, das aus einem Verbundprojekt der Fertigungstechnik und der Mechatronik hervorgegangen ist, zu neudeutsch Rapid Product Development heißt und nur an der FH Aalen praktiziert wird. Dieses Verfahren ist nicht nur äußerst schnell: binnen fünf Tage kann ein Modell hergestellt werden, wofür sonst drei bis vier Wochen benötigt werden. Das Verfahren ist auch äußerst präzise: bis auf einen Zehntelmillimeter genau wird das Original reproduziert. Darüber hinaus wird nicht nur die Oberfläche vermessen, sondern auch der innere Aufbau der Vorlage visualisiert.
Die rund 70 cm lange Hirschfigur wird im Computertomographen in drei Blöcken rundum gescannt. Dass sich die Figur dabei aus Feuchtigkeitsgründen noch in der Styroporverpackung befindet, tut dem Verfahren keinen Abbruch. Diese wird von den eingesetzten Röntgenstrahlen nahezu beugungslos durchdrungen. Die gewonnenen Daten werden dann in den Stereolithographen gespeist, der aus ihnen Schicht für Schicht ein Abbild des hölzernen Hirsches aus flüssigem Harz generiert, das von einem Laserstrahl getrocknet wird.
Für das Landesmuseum trägt das Verfahren der Fachhochschule Aalen zudem den Vorteil in sich, dass die einmal gewonnen Daten von der Struktur des Hirsches auch dazu verwendet werden können, kleinere Nachbildungen zu erzeugen, die dann im hauseigenen Museumsshop in limitierter Auflage verkauft werden sollen.
„Die Hirschfigur ist für uns der Einstieg in die Zusammenarbeit mit der FH Aalen“, bemerkt Dr. Dirce Marzoli: „Gut möglich, dass wir in Bälde auch die beiden erhaltenen Böcke vorbeibringen.“ Der Archäologin schwebt vor, den Museumsbesuchern vermittels des Herstellungsverfahrens der Repliken auch das Innenleben der vorkeltischen Figuren zu präsentieren, während sie gespannt das erste Röntgenbild des Holzhirsches auf dem Monitor betrachtet.
Derweil sieht Dr. Erwin Keefer weitere Kooperationsmöglichkeiten mit der Fachhochschule bei der Erforschung prähistorischer Metallverarbeitung. Von der Technik der Computertomographie verspricht sich der Leiter der archäologischen Abteilung im Landesmuseum genauere Auskünfte über die Qualität Jahrtausende alter Gussverfahren und Schmiedetechniken bei der Herstellung von Beilen in der Bronzezeit.
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