Forscher graben Schimpansen-Werkstatt aus
Wissenschaftler untersuchen mit archäologischen Methoden, wie die Affen im westafrikanischen Regenwald harte Nüsse knacken
Westafrikanische Schimpansen benutzen Steine und Äste als Hämmer, um damit Nüsse zu knacken. Mit den zum Teil sehr schweren Werkzeugen arbeiten die Tiere während der vier Monate dauernden Nussernte täglich bis zu zwei Stunden lang. Wie alt ist dieses Verhalten? Haben sich die Techniken des Nussknackens im Laufe der Zeit verändert? Prof. Christophe Boesch vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig sowie Prof. Julio Mercader und Prof. Melissa Panger von der George Washington Universität haben in der Republik Elfenbeinküste zum ersten Mal eine mehr als hundert Jahre alte „Nussknacker-Werkstatt“ der Schimpansen ausgegraben (Science, 24. Mai 2002).
Seit 1979 studieren Christophe und Hedwige Boesch die Schimpansen des Taï National Park im Regenwald des westafrikanischen Staates Elfenbeinküste. Das Forscherehepaar hat herausgefunden, dass Jungtiere das Nussknacken erst nach mehreren Jahren beherrschen; während dieser Lernphase teilen Mütter ihre Nüsse mit den Jungen. Die Technik des Nussknackens scheint nur unter den Schimpansen der westlichen Elfenbeinküste, Liberias und des südlichen Guinea-Conakry verbreitet zu sein – ist also eine Art kulturelles Verhalten und erlaubt es, eine Affen-Population von der anderen zu unterscheiden.
„Bild 1: Von ihren Müttern lernen die jungen Schimpansen den Gebrauch von Werkzeug beim Öffnen der Nüsse.“ |
In ihrem jüngsten Projekt begaben sich die Wissenschaftler auf Spurensuche in die Vergangenheit. Dabei wandten sie zum ersten Mal archäologische Methoden auf eine nicht-menschliche Spezies an. Zunächst mussten sich die Verhaltensforscher Christophe Boesch und Melissa Panger sowie Julio Mercader, Spezialist für die Archäologie des Regenwalds, für eine geeignete Grabungsstätte entscheiden. Als Grundlage dienten detaillierte Aufzeichnungen von bekannten „Nussknacker-Werkstätten“. Die Wissenschaftler wählten einen Ort, an dem im Laufe vieler Jahre immer wieder Schimpansen gesehen wurden, die zum Knacken der sehr harten Nuss Panda oleosa Hammersteine benutzten.
Die Zusammenarbeit zwischen den Primatologen und dem Archäologen erwies sich von Anfang an als fruchtbar: Christophe Boesch hatte schon früher bemerkt, dass von Steinstücken, die als Hämmer gebraucht werden, mehr oder weniger große Stücke absplittern; jetzt sah das geschulte Auge von Julio Mercader wenige Zentimeter große Splitter, die offenbar durch das Lösen von Steinstücken während des Nussknackens entstanden waren. Die Verbreitung der Überreste war nicht willkürlich, sondern zeigte örtlich gehäufte Schalen und Steinreste. Die Verteilung dieser Relikte entsprach dem, was Archäologen als „activity areas“ bezeichnen.
Die geborgenen Steinreste wurden von Schimpansen unabsichtlich produziert, während sie mit Hammersteinen gegen hölzerne Ambosse schlugen. Insgesamt fanden die Forscher 479 Steinstücke, einige davon 21 Zentimeter tief im Boden. Ein faszinierender Aspekt dieser Entdeckung: Die Größe der Steine, die Form der Abschlagsplitter und die vielen kleinen Trümmer ähneln jenen Steinen, die einige unserer frühen Vorfahren in Ostafrika in der so genannten Oldovan-Zeit (vor 2,5 bis 2 Millionen Jahren) hinterlassen haben. Darüber hinaus gleichen die Anzahl der Steine pro Quadratmeter und die Größe der Steinhaufen einigen Sammlungen aus dieser Epoche.
„Bild 2: Julio Mercader bei Grabungen an der Stelle „Panda 100″.“ |
Besonders interessant war die Ausgrabung „Panda 100“ nahe eines riesigen, abgestorbenen Baums: Dort hatten Hedwige und Christophe Boesch viele Jahre lang Schimpansen beobachtet, die über Hunderte von Metern unterschiedliche Steine, die unter anderen Panda-Bäumen lagen, heranschleppten, um damit Nüsse zu knacken. Aufgrund der geringen Sichtweite über den Boden des Regenwaldes müssen Schimpansen die kürzeste Transportroute im Kopf haben und die „Beförderungskosten“ minimieren. Archäologische Daten zeigen außerdem, dass Schimpansen Felsen aus verschiedenen Landschaftsbereichen holen und sie in ihre „Werkstätten“ bringen.
Das zu Tage geförderte Material umfasst mehr als vier Kilogramm Steinstücke und beinahe vierzig Kilogramm Nussschalen. Nicht zuletzt wegen dieser angehäuften Müllberge, wie sie auch bei Grabungen menschlicher Kulturen immer wieder gefunden werden, sprechen die Archäologen von einer „Stätte“. Da „Panda 100“ höchst wahrscheinlich älter als hundert Jahre ist, belegt, dass Nussknacken in dieser Region des Regenwalds bereits seit Generationen gepflegt wird.
Die Ergebnisse eröffnen neue Perspektiven für viele Disziplinen – einschließlich Primatologie, Archäologie und Paläoanthropologie. Vielleicht können einige der technologisch einfachsten Oldovan-Stätten als Nussknackerstellen neu interpretiert werden. Außerdem deutet ein Teil der Artefakte aus den höher entwickelten Oldovan-Sammlungen darauf hin, dass die frühen Hominiden „harte Nahrung“ zu sich genommen haben. „Unsere Arbeiten verdeutlichen, wie viel mehr wir noch über den Schimpansen als unseren nächsten lebenden Verwandten lernen müssen, um die Einzigartigkeit der Menschheit zu verstehen“, sagt Christophe Boesch.
Danksagung:
Dieses Projekt wurde in erster Linie durch das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie unterstützt. Zusätzliche Mittel stellten die National Geographic Society, die George Washington Universität und die National Science Foundation zu Verfügung. Wir danken den Behörden der Elfenbeinküste für ihre fortdauernde Unterstützung des Taï-Schimpansen-Projekts und besonders der Verwaltung des Taï National Parks und dem Schweizer Forschungszentrum. |
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