Wenn Zorn die Sprache bestimmt
Liebe, Lust, Trauer, Angst – wenn Emotionen in Texten mit solchen Begriffen geäußert werden, dann sind sie eindeutig zu verstehen. Doch in vielen Sätzen schwingt die Emotion zwischen den Zeilen durch, ist die Begrifflichkeit schwächer, das Gefühl jedoch nicht weniger stark. Ein Liebesgedicht von Goethe kommt meistens ohne den Begriff „Liebe“ aus und wird dennoch als solches empfunden – und Schreiber wie Empfänger handeln aus der empfundenen Emotion heraus.
Doch auch der Satz „mit dieser aussage haben sie ihren namen alle ehre gemacht“ aus einer E-Mail an Michael Wolfssohn verdeutlicht Emotionen – Hass und Antisemitismus. Ein solcher Satz greift eine typische antisemitische Strategie auf, bei der Namen von Juden verhöhnt und zur Stigmatisierung benutzt werden. Der Satz klingt oberflächlich betrachtet vielleicht harmlos. Aber er muss enttarnt werden, um die darunter verborgen liegenden Emotionen zu spüren und das Gemeinte einordnen zu können, denn die Worte verleiten zu Handlungen.
Sicher ist, – positive und negative – Emotionen beeinflussen Gedanken, Sprache und Handeln. Andererseits werden mit sprachlichen Äußerungen wiederum Emotionen ausgedrückt und benannt, geweckt und intensiviert. Wie Emotionen zu Sprache werden und Sprache zu Emotionen, welches (un-)bewusste Bewertungssystem hinter diesem Prozess steckt und dass geistige Aktivitäten entscheidend von emotionalen Prozessen gesteuert und begleitet werden, das analysiert Prof. Dr. Monika Schwarz-Friesel in ihrem aktuellen Buch.
In „Sprache und Emotion“ (UTB) verlässt die Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin von der Universität Jena die tradierten Denk- und Wissenschaftsschemata, die Geist und Gefühl trennten. „Will man den menschlichen Geist und seine Funktionsweise wirklich und umfassend verstehen, muss man sich aus den etablierten, althergebrachten Denkmustern lösen und neue Wege in der Kognitionswissenschaft beschreiten“, hat die Autorin während der langjährigen Erforschung des Problemfeldes erfahren und beschreibt diesen Prozess als einen, der zu ihren „inspirierendsten Erfahrungen gehört“.
Dass Emotionen einen maßgeblichen Einfluss auf die kognitiven Fähigkeiten und Leistungen des Menschen haben, beschreibt Schwarz-Friesel anhand eines starken Theorieteils genauso wie mit zahlreichen, gut lesbaren Beispielen aus der Alltagskommunikation sowie der Literatur. Diese decken Erkenntnisse zur Kategorisierung von Gefühlen ebenso ab wie den sprachlichen Umgang mit dem Tod oder eben die Sprache als Waffe von Antisemiten.
Am Ende der Lektüre wird deutlich, dass Emotionen mehr sind als irrelevante Störfaktoren des Verständigungs- und Wissenschaftsprozesses. Für das Verständnis menschlicher Aussageformen, wie Texte, muss die „Kognition-Emotion-Symbiose“ mitbedacht werden. Dann sind völlig neue Erfahrungen im Umgang mit Texten möglich – und erfassbar, wie Sprache zum Instrument von Hass und Vorurteilen werden kann.
Schwarz-Friesels Buch schlägt – akademisch gesprochen – eine Brücke zwischen kognitionswissenschaftlicher Emotionstheorie und sprachwissenschaftlicher Textanalyse. Dem Laien vermittelt es die Verknüpfung von Gefühlswelt mit Denk-, Sprach- und Handlungsprozessen.
Monika Schwarz-Friesel: Sprache und Emotion. UTB, A. Francke Verlag Tübingen und Basel, 24,90 Euro, ISBN 978-3-8252-2939-9
Kontakt:
Prof. Dr. Monika Schwarz-Friesel
Institut für Germanistische Literaturwissenschaft der Universität Jena
Fürstengraben 30, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944325
E-Mail: monika.schwarz[at]uni-jena.de
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