Forschung auf Schmugglerpfaden
Kleinhandel und Schmuggel gehören in vielen strukturschwachen Grenzregionen zur alltäglichen Praxis im Kampf gegen die Armut. Trotzdem liegen wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über die Bedeutung des informellen Warenverkehrs über Grenzen hinweg bisher kaum vor.
Das von der Volkswagenstiftung geförderte Projekt „Grenze als Ressource“ an der Universität Bielefeld soll dazu beitragen, diese Forschungslücke zu schließen. Bettina Bruns, die seit 2007 im Leibniz-Institut für Länderkunde arbeitet, beschäftigt sich im Rahmen des Projekts mit individuellen Bedeutungen und Motiven des Schmuggels in der polnisch-russisch Grenzregion. Zwischenergebnisse ihrer ungewöhnlichen Forschungsarbeit präsentierte die Kulturwissenschaftlerin jetzt im Rahmen eines Kolloquiums.
Nach den bisherigen Recherchen zu ihrer Dissertation gibt es drei Grundvoraussetzungen für „erfolgreichen“ Schmuggel: die Verfügbarkeit von sozialen Netzwerken, die Aneignung von spezifischem lokalem Wissen und das Pflegen selektiver Vertrauensbeziehungen.
Weitere Ergebnisse aus Interviews und Beobachtungen lassen den Schluss zu, dass der Schmuggel an der polnisch-russischen Grenze in besondere Rahmenbedingungen eingebettet ist: Der faktisch illegale Schmuggel erfährt durch lokale Autoritäten gewissermaßen eine moralische Legitimierung. Denn sie sehen in der Schmuggeltätigkeit vieler Einwohner letztlich auch eine Entlastung der Sozialsysteme. Dadurch erscheint die gesetzeswidrige Routine den Beteiligten als ganz normale Legalität.
Informationen zu bekommen, die solche Schlüsse erlauben, ist naturgemäß schwierig. Um dennoch etwas über die Funktionsweisen dieses Gewerbes zu erfahren, musste Bettina Bruns behutsam vorgehen: Fast ein Jahr verbrachte sie in einer Kleinstadt in der Woiwodschaft Warmi?sko-Mazurskie nahe der Grenze zu Russland. Dort versuchte sie durch Teilnahme am alltäglichen Leben Barrieren abzubauen und Kontakte zu den Akteuren des Schmuggelgewerbes aufzubauen: den Schmugglern selbst, aber auch zu lokalen Behörden und städtischen Einrichtungen, ortsansässigen Unternehmen und den Grenzautoritäten.
„Nur so konnte es gelingen, etwas über die Hintergründe des Schmuggels zu erfahren“, erklärt Bettina Bruns die zeitintensive und mitunter diffizile Strategie. Trotz anfänglicher Zweifel führte die Methode schließlich zum Erfolg: Der Wissenschaftlerin gelang es, Schmuggler auf Busfahrten über die Grenze zu begleiten und so die für ihre Arbeit entscheidenden Einblicke zu bekommen.
Grenzüberschreitende ökonomische Praktiken stehen auch in einem zweiten aktuellen IfL-Projekt im Mittelpunkt des Interesses. Unter der Überschrift „Geographie[n] an den Außengrenzen des europäischen Projekts“ führt derzeit ein Forscherteam um Judith Miggelbrink Fallstudien in finnisch-russischen, polnisch-belarussischen, polnisch-ukrainischen sowie ukrainisch-rumänischen Grenzregionen durch. Die Wissenschaftler wollen Erkenntnisse sowohl über die jeweiligen lokalen Bedeutungen der Grenze als auch über die Funktionsweise der EU-Außengrenze im Allgemeinen gewinnen. Dazu organisieren sie vor Ort Gruppendiskussionen mit Kleinhändlern und Unternehmern, beobachten systematisch Märkte und Grenzübergänge und führen Experteninterviews mit regionalen Entscheidungsträgern.
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Bettina Bruns, Tel. 0341 255-6531, b_bruns@ifl-leipzig.de, oder an Judith Miggelbrink, Tel. 0341 255-6509, j_miggelbrink@ifl-leipzig.de.
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