Beschichtete Werkzeuge erhöhen Produktivität und Standzeit
Begonnen hat alles bereits vor etwas mehr als 40 Jahren, doch der Durchbruch der keramischen CVD-Schichten im Werkzeugbereich kam erst Mitte der siebziger Jahre. TiN, TiCN und Al2O3 eroberten in einem atemberaubendenden Tempo den Markt. Mit dem Aufkommen der Multilayer- und PVD-Schichten wurde das Einsatzspektrum der harten Helfer noch einmal erweitert. Die Folge: Ohne Schicht lief fast nichts mehr. Heute sind über 90% aller Wendeschneidplatten beschichtet.
Immer mit vorne dabei, wenn es um die Entwicklung neuer Schichten ging: die europäischen Werkzeughersteller und Beschichtungsspezialisten. Einem davon, der Walter AG, gelingt mit den Tigertec-Beschichtungen 2001 der große Wurf. Heute, sieben Jahre nach der Einführung, sind die verschiedenen Varianten des „Tigers“ nach wie vor Benchmark im Bereich Al2O3-Schichten. Erstaunlich, wenn man die hohe Innovationsrate in diesem Bereich in Betracht zieht – oder vielleicht doch nicht?
Auswahl an Verbindungen ist beschränkt
Die Auswahl an geeigneten Stoffen und Verbindungen für eine leistungsfähige Werkzeugbeschichtung ist begrenzt. Die Grundvoraussetzungen, die sie erfüllen müssen, sind vor allem:
-hohe Warmhärte,
-Verschleißfestigkeit,
-niedrige Wärmeleitfähigkeit,
-hohe Diffusions- und Oxidations-Beständigkeit,
-niedrige Adhäsionsneigung.
Insgesamt sind es nur wenige Verbindungen, die als Carbide, Boride, Nitride, Oxide oder ihre Mischung verwendet werden können. Für viele Bearbeitungsfälle hat sich Al2O3 als der ideale Schichtwerkstoff herauskristallisiert. Das hat seinen Grund: Mit einer Härte von 2600 HV bei 20 °C und immerhin noch 900 bis 1200 HV bei einer Temperatur von 800 °C hat Aluminiumoxid nicht nur die höchste Warmhärte, sondern bietet auch eine hervorragende chemische Stabilität.
Allerdings kann Al2O3 seine Stärken nur in Verbindung mit MT-TiCN (MT: Mitteltemperatur) ausspielen. Dieses ist notwendig als Schutz gegen den Freiflächenverschleiß. Wie gut das Werkzeug letztendlich geschützt ist, hängt dabei entscheidend von der Mikrostruktur des TiCN ab: Gelingt es, durch die Prozessführung die für das MT-TiCN typische kolumnare Struktur sehr feinkörnig auszubilden, kann eine signifikante Verbesserung der Abrasionsfestigkeit erreicht werden.
Zurück zum Aluminiumoxid. Diese Verbindung hat noch eine weitere wichtige Eigenschaft: Sie leitet Wärme nur schlecht. Das heißt, bei der Bearbeitung wird das Substrat-Hartmetall besser vor Temperatureintrag geschützt. Dies ist sowohl im glatten als auch unterbrochenen Schnitt entscheidend. Während im glatten Schnitt der Widerstand gegen plastische Verformung erhöht wird, können im unterbrochenen Schnitt hohe Temperaturschwankungen im Substrat-Hartmetall reduziert werden. Dies führt zu einer hohen Prozesssicherheit.
Bindungsschicht ist entscheidend
Grundsätzlich sind beim Beschichten drei verschiedene Al2O3-Phasen – α, κ und γ – im Einsatz, die sich von ihren Eigenschaften und damit auch vom Anwendungsgebiet her unterscheiden. Am gebräuchlichsten im CVD-Bereich ist die α-Phase des Aluminiumoxids. In dieser Modifikation ist der Stoff thermisch und chemisch am stabilsten.
Damit das Al2O3 seine Stärken voll ausspielen kann, ist eine exzellente Schichthaftung auf dem TiCN unabdingbar. Dies wird durch die Bindungsschicht erreicht, die sich mit dem Al2O3 mechanisch verzahnt. Doch dieser Schicht kommen noch weitere wichtige Aufgaben zu: Sie ist außer für die Haftung auch für die Modifikation und die Textur, das heißt die geometrische Ausprägung der Kristalle — auch bekannt als Vorzugsorientierung — des Al2O3 zuständig.
Um reines α-Al2O3 herzustellen, wird eine isomorphe Kristallstruktur als Unterlage benötigt. Konkret bedeutet dies, dass die Bindungsschicht eine ähnliche Struktur wie das α-Al2O3 besitzen muss. In der Regel werden im CVD-Bereich mit seinen hohen Temperaturen deshalb Titanoxide als Bindungsschicht verwendet. Bei Walter setzt man jedoch auf eine Bindungsschicht bestehend aus einer Mischphase aus TiCN und Al2TiO5. Vorteil dieser Lösung: Diese Mischphase führt zu einem reinen α-Al2O3-Wachstum und ermöglicht eine sehr hohe 001-Textur.
Warum ist dies entscheidend? Die Antwort ist nicht einfach: Die Wärmeleitfähigkeit und die Härte zeigen eine Richtungsabhängigkeit im Kristallgitter und erreichen ihre besten Werte bei einer ausgeprägten 001-Vorzugsorientierung. Damit können durch dieses eine Detail in bestimmten Anwendungsfällen, zum Beispiel beim Stahldrehen mit hohen Schnittgeschwindigkeiten, durchaus Standzeitvorteile von 30% erzielt werden.
Genau an diesem Punkt ist ein Grund für den Erfolg des Tigers zu finden. Ein spezielles Verfahren sorgt bei der Vermessung der Texturen für ungewöhnlich genaue Ergebnisse und so auch für die Möglichkeit einer weiteren Optimierung. Während andere Verfahren nur eindimensional messen, geht Walter auch in die dritte Dimension und erhält so wesentlich genauere Werte. Dieses Messverfahren ist also eine entscheidende Voraussetzung für die exakte Einstellung der gewünschten Textur.
Hohe Abscheidungstemperaturen führen zu Zähigkeitsverlust im Substrat-Hartmetall
Neben allen genannten Vorteilen hat das CVD-Verfahren auch einen gravierenden Nachteil: Die hohen Abscheidungstemperaturen (800 bis 1050 °C) führen zu einem Zähigkeitsverlust im Substrat-Hartmetall und zu Zugeigenspannungen in der Beschichtung, die sich negativ auf den Risswiderstand des Schneidstoffes auswirken. Hier jedoch beißt der Tiger: Dieses ursprünglich für die Gussbearbeitung entwickelte Verfahren entfernt das in dieser Anwendung tribologisch negative TiN per Strahlprozess von der Spanfläche. Durch das Verbleiben des TiN auf der Freifläche bleibt die Verschleißerkennung erhalten. Dieser Prozeß erzielt jedoch auch einen weiteren signifikanten Vorteil.
Durch das Einbringen mechanischer Energie werden, neben einer Erhöhung der Oberflächenhärte der Beschichtung, die negativen Zugeigenspannungen in der Beschichtung in Druckeigenspannungen umgewandelt. Eine erstaunliche Zähigkeitssteigerung ist die Folge. Seither waren Maßnahmen zur Steigerung der Hochtemperatur-Verschleißfestigkeit, wie der Einsatz eines Substrates mit geringerem Kobaltgehalt oder die Anhebung der Schichtdicke, stets mit einem Zähigkeitsverlust verbunden, der die Prozesssicherheit im Einsatz verringerte.
Strahlprozess steigert Prozesssicherheit
Durch das Tiger-Strahlen ist es nun möglich, diesen Zähigkeitsverlust zu unterbinden und die Prozesssicherheit zu steigern. Der Traum des Schneidstoffentwicklers, Verschleißfestigkeit und Zähigkeit gleichzeitig steigern zu können, wurde dadurch Wirklichkeit, der Anwendungsbereich der CVD-Beschichtungen wurde deutlich größer. So konnte sich der Tiger als allgemeiner Standard sowohl im Guss- als auch im Stahlbereich durchsetzen.
Im Übrigen gibt es auf dem Gebiet der PVD-Beschichtungen ebenfalls eine revolutionäre Entwicklung mit ähnlichen Auswirkungen. PVD-beschichtete Wendeschneidplatten zeichnen sich bekanntermaßen durch ihre exzellente Zähigkeit aus, haben aber, da seither keine oxidischen Schichten abgeschieden werden konnten, im Vergleich zum CVD eingeschränkte Hochtemperatur-Verschleißeigenschaften.
Mit neuen Verbindungen wird experimentiert
2005 stellte die Walter AG den „PVD-Tiger“ vor, die weltweit ersten PVD-Al2O3-beschichteten Wendeschneidplatten. Damit ist es gelungen, auch den Anwendungsbereich der PVD-Beschichtungen zu steigern, in diesem Fall in Richtung höhere Schnittgeschwindigkeiten bei gleicher Zähigkeit. Noch immer bilden α-Al2O3-Schichten in vielen Bereichen das Maß aller Dinge. Das wird vorerst auch so bleiben.
Zwar wird auch mit anderen Verbindungen experimentiert, doch bislang sind die Ergebnisse noch nicht serienreif. Eines steht aber fest: Die gezielte Einstellung der Eigenspannung auf den jeweiligen Anwendungsfall wird in Zukunft ein entscheidender Vorteil sein, da sie die Einsatzgebiete der CVD-Beschichtungen deutlich erhöht.
Dr. Helga Holzschuh ist Leiterin R&D CVD-Beschichtungstechnologie und Jörg Drobniewski, Leiter Schneidstoffe und Versuch bei der Walter AG, 72072 Tübingen.
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