Licht aus fernen Zeiten
Max-Planck-Wissenschaftler entwickeln neue Verfahren zur Altersdatierung / MaxPlanckForschung 2/2002 erschienen
Physikalische Methoden zur Altersbestimmung gehören zum Rüstzeug von Archäologen und Geologen. Jedes Verfahren hat seine eigene „zeitliche Reichweite“ und seine speziellen Einsatzgebiete. Ein Team um Prof. Günther Wagner vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg hat zwei Methoden entwickelt, mit denen sich völlig neue Anwendungsfelder erschließen lassen: Mit der optisch stimulierten Lumineszenz lässt sich beispielsweise rekonstruieren, wie der Mensch seine Kulturlandschaft in den vergangenen 10000 Jahren umgeformt hat. Und die Alpha-Rückstoß-Methode reicht mehrere Millionen Jahre in die Vergangenheit zurück. Über den Hintergrund dieser Verfahren berichtet die gerade erschienene MaxPlanckForschung, das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft.
Die optisch stimulierte Lumineszenz basiert auf einem schon seit längerem bekannten Phänomen. Im Innern von Mineralen und in deren Umgebung befinden sich natürliche radioaktive Elemente wie Thorium, Uran und Kalium. Bei deren Zerfall wird genügend Energie frei, um von umgebenden Atomen Elektronen abzulösen. Diese negativ geladenen Teilchen hinterlassen dabei an ihrem Herkunftsort ein „Loch“. So lange das Mineral dem Tageslicht ausgesetzt ist, bewegen sich die Elektronen frei und ohne nach außen sichtbare Wirkung. Sobald aber das Mineral vom Sonnenlicht abgeschirmt ist, fehlt den Elektronen die äußere Anregung, und sie setzen sich in bestimmten Kristallbereichen („Fallen“) fest. Wenn man das Mineral aus dem Dunkeln holt und anleuchtet, werden die Elektronen wieder aktiv. Sie befreien sich aus den Fallen und wandern in die Löcher zurück. Dabei senden sie eine charakteristische Lumineszenzstrahlung aus. Je länger das Mineral abgeschattet war, desto mehr Kerne sind bis heute radioaktiv zerfallen und haben freie Elektronen erzeugt – und um so heller ist das Lumineszenzsignal. Misst man zusätzlich den Gehalt an natürlichen radioaktiven Isotopen in der Probenumgebung und dem Mineral selbst, kann man bestimmen, wie lange der Kristall vom Sonnenlicht abgeschirmt war. In der Praxis müssen die Forscher das Mineral bei Dunkelheit bergen und in ihr Labor bringen. Dort beleuchten sie es mit Infrarotstrahlung und regen es zur Lumineszenz an, deren Intensität sie exakt messen. Dieses „kalte Leuchten“ senden winzige Körnchen aus, die oft nicht größer als einen hundertstel Millimeter sind.
Mit dieser Methode lassen sich eine Reihe interessanter Datierungsfragen lösen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Gebäuden. Beim Bau einer Burg oder eines Hauses werden Steine aufeinander gesetzt. Von dem Moment an dringt an die Berührungsflächen der Steine kein Lichtstrahl mehr, und die Lumineszenzuhr beginnt zu ticken. Dasselbe trifft auf die im Sand liegende Seite einer umgestürzten Säule oder Mauer zu. Die Tauglichkeit ihres Verfahrens versuchen die Heidelberger Forscher beispielsweise mit der Untersuchung antiker Säulen in einem Steinbruch südlich von Troja zu beweisen. Die Römer hatten die Säulen dort zurückgelassen. Ihr Rückzug ist historisch dokumentiert, und so dienen die damals durch das Erdreich abgedeckten Säulen dazu, die Methode zu testen (Abbildung 1).
„Abb. 1: Günther Wagner und seine Mitarbeiter datieren umgestürzte Säulen in einem römischen Steinbruch. “ „Foto: Max-Planck-Institut für Kernphysik „ |
In jüngster Zeit wandten Günther Wagner und seine Mitarbeiter ihre Verfahren auf die Rekonstruktion archäologischer Landschaften an. Vor etwa 7500 Jahren begann der Mensch in Mitteleuropa mit der intensiven Landnutzung. Die Vegetation wurde zunehmend gerodet. Bei starken Niederschlägen erodierten vegetationsarme Flächen auf Hügelkuppen, und der Boden rutschte den Hang hinab. Innerhalb von Jahrtausenden formte der Mensch die ursprüngliche Naturlandschaft in die heutige Kulturlandschaft um.
Im Kraichgau, einer hügeligen, lössbedeckten Landschaft in Südwestdeutschland, ließen sich unterschiedliche Phasen dieser Entwicklung rekonstruieren. Als der Boden den Hang hinab rutschte, war er dem Tageslicht ausgesetzt. In dem Augenblick, als eine weitere Sedimentschicht sich darüber ablagerte, befand sich die untere im Dunkeln, und in den Quarz- und Feldspatkörnchen begann die Lumineszenzuhr zu ticken. So ging es mit allen Schichten weiter. Damit bietet sich die Möglichkeit, das Alter der Schichten zu messen. Die Ergebnisse weisen auf mehrere Phasen starker Erosion und damit auch intensiver Landwirtschaft hin. Es treten häufig jeweils zwei Maxima im Mittelalter und in der vorrömischen Zeit und undeutlichere Maxima in der Bronzezeit sowie im frühen Neolithikum auf. Damit scheint sich eine unlängst aufgekommene Vermutung von zyklisch auftretenden Phasen intensiver Landnutzung zu bestätigen.
Eines ihrer nächsten Forschungsprojekte wird die Heidelberger Wissenschaftler nach Peru führen. Dort wollen sie versuchen, das Alter der sagenumwobenen Scharrbilder von Nazca zu ermitteln.
„Abb. 2: Die Alpha-Rückstoß-Methode basiert auf dem Zerfall radioaktiver Kerne. Aus dem Kern schießt ein Alpha-Teilchen (Helium-Kern) heraus und versetzt dem Mutterkern einen Rückstoß. Dabei bewegt sich dieser im Kristallgitter und zerstört es in seiner Umgebung. “ |
Wesentlich weiter in die Vergangenheit zurück reicht die Alpha-Rückstoß-Methode. Schwere Isotope – etwa Uran und Thorium – zerfallen stufenweise, bis am Schluss ein stabiler Blei-Atomkern übrig bleibt. Bei fast jedem Zerfall fliegt aus dem Kern ein so genanntes Alpha-Teilchen (Helium-Atomkern) heraus. Dieses übt dabei auf den Kern einen Rückstoß aus, der so groß ist, dass sich der Kern ein kleines Stück im Kristallgitter bewegt und seine Umgebung zerstört (Abbildung 2). Am Ende der Zerfallskette ist um den ursprünglichen Uran- oder Thorium-Kern herum ein geschädigter Kristallbereich mit etwa einem Zehntausendstel Millimeter Durchmesser entstanden.
Wenn man die Oberfläche eines solchen Kristalls mit einer Säure anätzt, vergrößern sich diese Strahlenschäden um das Hundertfache zu so genannten Ätzgruben und werden in einem speziellen optischen Mikroskop sichtbar. Damit eignet sich dieser Effekt zur archäologischen und geologischen Datierung von Mineralen. In diesem Fall läuft die Uhr in dem Augenblick los, in dem sich ein Material zu einem Kristall verfestigt. Dann setzen die Strahlenschäden ein – und je älter das Mineral ist, desto größer ist die Dichte der Ätzgruben.
Die ersten erfolgreichen Tests dieses Verfahrens gelangen an Vulkangesteinen in der Eifel, in Böhmen und im Indischen Ozean. Hier bestimmten die Forscher die Zeitspanne seit dem Erkalten der Magma. Die Ergebnisse von 12 900 bis 350 000 Jahren für die Eifel und von zehn Millionen Jahren für Vulkangesteine im Indischen Ozean stimmen sehr gut mit denen konventioneller geologischer Altersbestimmung überein, sind aber einfacher zu erzielen.
Ein neues Forschungsprojekt ist bereits genehmigt. Im ostafrikanischen Graben sollen Vulkangesteine datiert werden, die sich zu Lebzeiten unserer frühesten Vorfahren, vor zwei bis vier Millionen Jahren, gebildet haben. Dort wandelt das Heidelberger Team also auf Lucys Spuren.
Originalarbeiten: Gögen, K. & Wagner, G.A. (2000): Alpha-recoil track dating of Quaternary volcanics. Chemical Geology 166, 127-137. Greilich, S., Glasmacher, U.A. & Wagner, G.A. (2002): Spatially resolved detection of luminescence – a unique tool for archaeochrometry. Naturwissenschaften (im Druck) Wagner, G.A.: Age determination of Young Rocks and Artifacts – Physical and Chemical Clocks in Quaternary Geology and Archaeology. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 1998, 466 p.
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Die MaxPlanckForschung 2/2002 ist jetzt erschienen. Das 92 Seiten umfassende Heft berichtet spannend und verständlich über aktuelle Arbeiten aus den Instituten der Max-Planck-Gesellschaft. Wie hat ein Augenleiden das künstlerische Werk von Claude Monet beeinflusst? Antwort auf diese Frage gibt der Beitrag „Die Welt mit anderen Augen malen“. Wie der ausführliche Bericht zum Thema dieser Presseinformation gehört er ebenso zum Schwerpunkt „Wissenschaft im Wechselspiel“ wie Artikel über Demografie („Forschen am Zahn der Zeit“) und die Rolle der Mathematik in der Biologie („Zahlen statt Zellen“). Ferner lesen Sie den Essay „Krücken für den hinkenden Verstand“ und verstehen, was Wissenschaftler mit „Schwarzkehlchen im Dummy-Test“ vorhaben. Außerdem berichten wir über „Sibirien zwischen Kollaps und Kontinuität“ und beleuchten das Thema „Monogamie – eine „Beziehungskiste“ mit Zwischenböden“.
Die MaxPlanckForschung erscheint viermal pro Jahr. Das Wissenschaftsmagazin kann schriftlich bei der Pressestelle der Max-Planck-Gesellschaft oder über unser Web-Formular abonniert werden. Der Bezug des Hefts ist kostenlos.
Weitere Informationen erhalten Sie von:
Prof. Dr. Günther Wagner
Max-Planck-Institut für Kernphysik
Postfach 10 39 80
69029 Heidelberg
Tel.: +49-6221-516-289
Fax: +49-6221-516-633
E-Mail: g.wagner@mpi-hd.mpg.de
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Weitere Informationen:
http://www.mpg.de/deutsch/aktuell/forschungAlle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie
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