Städte rund um die Uhr aktiv. Folge: enorme gesellschaftliche Kosten
Alles zu jeder Zeit?
Difu-Studie: Städte zunehmend rund um die Uhr aktiv.
Folge: enorme gesellschaftliche Kosten
Die Rastlosigkeit heutiger Gesellschaften und die Nutzung neuer „Zeit-Areale“, die bisher eher als Ruhephasen galten, bringen nicht nur Vorteile, sie fordern auch einen hohen gesellschaftlichen Preis. Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu), Berlin, stellt in einer soeben veröffentlichten Studie am Beispiel der drei Fallstudienstädte Berlin, Frankfurt/Main und Wien mögliche Folgen einer Nonstop-Aktivität dar.
Die Eroberung der Nacht ist nicht neu, sie begann bereits mit der Einführung von Kunstlicht. Durch die Difu-Studie werden nun neue Entwicklungstendenzen deutlich. Sie legen nahe, bei künftigen Entscheidungen, die zur zeitlichen Ausdehnung führen und damit zur Aufgabe bisheriger „sozialer Rhythmen“ zwingen, vor allem die sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgen zu berücksichtigen.
Besonders alarmierend sind hierbei die Erkenntnisse aus der Schlaf- und Unfallforschung: Weltweit passiert ein erheblicher Anteil von Unfällen durch Übermüdung – verursacht durch zu lange Arbeitszeiten und Nachtarbeit. Diese Unfälle – z.B. Umweltschäden durch Fabrik- oder Atomkraftwerkhavarien, Verkehrsunfälle, Flugzeugabstürze oder Gesundheitsschäden, die durch ständige Nachtarbeit hervorgerufen wurden – verursachen enorme gesellschaftliche Kosten, die bisher überwiegend von der Allgemeinheit bezahlt werden.
Sollte sich dieser Trend zur Ausdehnung von Arbeitszeiten in ehemalige Ruhephasen noch weiter verstärken, so wird auch die Anzahl solcher Schäden weiter steigen. Eine wichtige Herausforderung an Politik und Gesetzgeber besteht daher darin, diese Schäden nicht nur zu reduzieren – vielmehr kommt es darauf an, die Kosten auch dem jeweiligen Verursacher anzulasten.
Hintergrundinformationen:
Ursachen:
Für die zeitliche Ausdehnung von Aktivitäten in die Nacht gibt es verschiedene Gründe: der wirtschaftliche Strukturwandel, der zu einer generellen Beschleunigung in der Wirtschaft und zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten und neuen Arbeitsformen führt; die internationale Vernetzung, die viele Angebote rund um die Uhr verfügbar macht (Medien, Internet) sowie Wertewandel und Individualisierung führen dazu, dass Menschen die Nacht zum Tage machen.
Zonen und Branchen:
Durch die Ausdehnung wirtschaftlicher und sonstiger Aktivitäten bilden sich in den Städten Zonen kontinuierlicher Aktivität. Dies sind meist Zonen, die an Verkehrsknoten liegen und für die eine Mischung zeitlich ausgedehnter Funktionen typisch ist – Firmen der New Economy mit ausgedehnten Betriebs- und Arbeitszeiten, Handel, Gastronomie bis hin zu kulturellen Dienstleistungen, häufig auch Wohnen.
Zeitliche Ausdehnungstendenzen lassen sich empirisch in vielen Bereichen feststellen: Insgesamt gibt es eine Gewichtsverschiebung hin zum Dienstleistungssektor, so wird im Zuge der Ausdehnung der Börsen- und Bankenzeiten in dieser Branche erstmals Schichtbetrieb eingeführt. Die Ausdehnung findet gegenwärtig vorrangig am Rande des so genannten Normalarbeitstages, also vor allem in den Abend hinein, statt. Gerade neue Wirtschaftsbereiche (New Economy) sind aber häufig durch sehr ausgedehnte individuelle Arbeitszeiten und ausgedehnte Betriebszeiten gekennzeichnet. Typisch für solche Bereiche des Dienstleistungssektors ist, dass die Arbeitszeiten immer weniger erfasst werden, so dass das Ausmaß der Arbeit (Dauer und Lage im Tag) immer weniger empirisch überprüfbar ist.
Steuerungsmöglichkeiten:
Kontinuierliche Aktivität bringt Probleme der Verträglichkeit mit sich, wie man sie etwa an den Auseinandersetzungen zwischen Anwohnern und Besuchern des Gebietes am Hackeschen Markt in Berlin sehr gut beobachten kann. Damit werden neue Formen der Steuerung erforderlich. Beispiele hierfür sind die Parkraumbewirtschaftung bis in die Nacht, enge Zeitfenster für den Lieferverkehr oder technische Lösungen der Lärmminderung.
Die Fallstudienstädte:
Da es sich bei der zeitlichen Ausdehnung – schon traditionell – vor allem um ein großstädtisches Phänomen handelt, wurden für ausgewählte Branchen (Finanzdienstleistungen, Kultur, New Economy) die Entwicklungstendenzen in drei großen Städten – Berlin, Frankfurt/Main und Wien – vergleichend untersucht und die Besonderheiten in diesen Städten herausgearbeitet. Fazit: Diese Städte sind zwar auf dem Weg in die zeitliche Ausdehnung, aber bis auf wenige Zonen, die sich vor allem in Berlin befinden, von einer Rund-um-die-Uhr Aktivität noch entfernt. Ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass andere Städte auf diesem Weg bereits weiter vorangeschritten sind, sind die „Zeit-Porträts“ der hochvernetzten Städte New York, Las Vegas, Tokio und Shanghai mit ihren Nonstop-Gesellschaften.
Die ausführlichen Ergebnisse der Studie sind veröffentlicht in:
Alles zu jeder Zeit?
Die Städte auf dem Weg zur kontinuierlichen Aktivität
Von Matthias Eberling und Dietrich Henckel
Berlin 2002, 396 S., 28 Abb., 14 Tab., 14 Übers., 13 Karten
ISBN 3-88118-326-4 36,- Euro
Difu-Beiträge zur Stadtforschung Band 36
Bestellung: verlag@difu.de oder Telefax: 030/39001-275
Weitere Informationen:
Professor Dr. Dietrich Henckel
Telefon: 030/39001-292 oder -202
Telefax: 030/39001-116
E-Mail: henckel@difu.de
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