Artenvielfalt in der Tiefsee vor Westafrika


In einer Meerestiefe von mehr als fünf Kilometern kommen vor der westafrikanischen Küste bestimmte Arten von Geißeltierchen vor, die auch den Rhein sowie den Naturstein des Kölner Doms besiedeln. Dieses Ergebnis hat Professor Dr. Hartmut Arndt und Markus Weitere vom Zoologischen Institut der Universität zu Köln selbst überrascht. Die beiden Kölner Forscher haben im Juli an der internationalen und interdisziplinären Expedition „DIVA 1“ teilgenommen. Die Expedition hatte das Ziel, die Vielfalt der Organismen der Tiefsee des Angola-Beckens vor der Küste Westafrikas zu beschreiben.

Zwar sehen die Geißeltierchen nicht so spektakulär aus wie einige Tiefseefische, aber nach den Erkenntnissen der beiden Forscher sind sie die häufigsten Tiere der Tiefsee. Bisher war ihr Vorkommen in solchen Tiefen nicht bekannt. Besonders häufig sind sie an solchen Stellen, wo sich auf hartem Grund nährstoffreiche Substanzen im ansonsten weichen und nährstoffarmen Tiefseeboden angereichert haben. Ein solches Nährsubstrat bilden die abgefallenen Schuppen von Seeigeln der Tiefsee sowie die Röhren von vielborstigen Würmern, aber auch Kohleschlacken, die aus der Zeit der Dampfschifffahrt stammen: Das untersuchte Gebiet liegt auf der Route einer Dampfschifffahrtsgesellschaft, die vor knapp 100 Jahren regelmäßig Westafrika und Kapstadt anlief. Diese Spuren der Zivilisation beeinflussen die Tierwelt des Meeresbodens. Im Rahmen der Expedition werden sie erstmals als Oasen mikrobieller Aktivität beschrieben. Neben den Geißeltierchen leben hier unter anderem einige Wurmarten, Schwämme sowie Polypen, die sich auf die Schlacke heften oder dort in selbst gebauten Röhren leben.

Nach zweijähriger Vorbereitung der Forschungspläne durch ein interdisziplinäres Team war das Forschungsschiff „Meteor“ am 6. Juli 2000 aus dem Hafen Walfisbay in Namibia gestartet und hatte fast drei Tage später das Angola-Becken erreicht. Mit Bodengreifern, Schleppnetzen und einem Tiefseeschlitten wurden Bodenproben aus einer Tiefe von bis zu 5.500 Metern gewonnen. Die Expedition war sehr erfolgreich. Bisher war das Angola-Becken ein weißer Fleck auf der biologischen Landkarte. Viele der jetzt gefangenen Tierarten sind noch nie von Menschen erblickt, also bisher auch nicht wissenschaftlich beschrieben worden. Neben typischen Tiefseefischen (aalartige Fische, Beilbauchfische, auf Flossen stolzierende Fische) wurden vor allem Tiefseegarnelen, Schlangensterne, Muscheln und Schwämme gefunden. Die Zahl der Tiere ist allerdings aufgrund der spärlichen verfügbaren Nahrungsmenge sehr gering.

Der größte Anteil der gefundenen Organismen ist jedoch so klein, dass sie nur unter dem Mikroskop identifiziert werden können. Zu ihnen gehören winzige Ruderfußkrebse, die in einer großen Formenvielfalt auftreten, kleine Meeresborstenwürmer, bizarre, sehr fragile, bedornte Tiefseeasseln mit langen Stelzbeinen und andere Mikrokrebse. Die an der Expedition beteiligten Forscher rechnen damit, dass in den gewonnenen Proben über 100 neue Tierarten enthalten sind. Sie sollen nun in den Labors der verschiedenen Universitäten und Forschungseinrichtungen weiter untersucht werden.

Die Geißeltierchen interessieren die Kölner Zoologen besonders wegen ihrer großen Anpassungsfähigkeit: Die fast ausschließlich aus Wasser bestehenden Einzeller können nicht nur den in der Tiefe von 5.500 Metern herrschenden Druck von etwa 550 Atmosphären aushalten (250 Mal mehr als in einem Autoreifen), sondern sie sind auch in der Lage, innerhalb von wenigen Minuten aus Ruhestadien zu schlüpfen und sich bei Nahrungsmangel sofort wieder in ein solches Stadium umzuformen. Dieses Phänomen hat eine große Bedeutung für die Tiefseeökologie und wird weitere umfangreiche Untersuchungen nach sich ziehen. Mit den Ruhestadien scheint auch die weite Verbreitung einiger Geißeltierchenarten in Zusammenhang zu stehen. Im molekularbiologischen Labor in Köln will Professor Arndt mit seiner Arbeitsgruppe nach der Rückkehr im August die Beziehung zwischen den entfernten Populationen mit ihrem Vorkommen in der Tiefsee, auf dem Kölner Dom und im Rhein klären.

Ein Bild des Forschungsschiffs Meteor ist unter URL http://www.uni-koeln.de/organe/presse/pi/08_2000/116_00.htm herunterladbar.

Verantwortlich: Antje Schütt M.A.

Für Rückfragen steht Ihnen Professor Dr. Hartmut Arndt unter der Telefonnummer 0221/470-3100 und der Fax-Nummer 0221/470-5932 sowie der E-Mail Adresse Hartmut.Arndt@uni-koeln.de zur Verfügung.
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Gabriele Rutzen

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