Laufband-Therapie hilft Gelähmten auf die Beine

Die Laufband-Therapie, Anfang der 90er Jahre von Professor Dr. Anton Wernig von der Universität Bonn entwickelt, ermöglicht vielen Querschnittgelähmten, wieder eigenständig kurze Distanzen zu gehen. Richtig therapiert, gelingt es den Patienten, im Rückenmark gespeicherte komplexe Bewegungsmuster abzurufen und diese zu trainieren – auch dann, wenn die Betroffenen nur wenig willkürliche Kontrolle über ihre Beinmuskeln ausüben können. Das zeigt eine Studie, die Professor Wernig und seine Mitarbeiter nun im angesehenen amerikanischen Journal of Neurotrauma veröffentlichen (im Druck).

„Im Rückenmark sind komplexe Bewegungsmuster gespeichert, die auch ohne Kontrolle durch die motorischen Zentren des Gehirns ablaufen können“, erklärt Professor Wernig. Ein wenige Tage alter Säugling vollführt beispielsweise automatisch Schreitbewegungen, wenn man seine Fußsohlen reizt. „Diese Beobachtung kennt man schon seit hunderten Jahren, lange Zeit hat aber niemand daraus Konsequenzen für die Therapie von Gelähmten gezogen.“

Vorbereitet werden die reflexartigen motorischen Programme durch eine entsprechende Stellung der Gliedmaßen. Das Rückenmark registriert durch Stellungs-Sensoren in den Muskeln die Position der Beine, allerdings sind am Erwachsenen auch stimulierende Signale aus höheren Zentren nötig, um die Bewegungsprogramme vollständig ablaufen zu lassen. Bei der Laufband-Therapie lernen Gelähmte, bei denen noch mehr oder weniger starke Nervenverbindungen zwischen Gehirn und Extremitäten bestehen, dieses gespeicherte Bewegungsmuster abzurufen. „Selbst einige Patienten, die nur wenig willkürliche Kontrolle über ihre Beinmuskulatur hatten, konnten so nach einigen Wochen wieder 50 oder 100 Meter mit Stützen laufen“, erklärt der Bonner Physiologe – ein enormer Zuwachs an Lebensqualität: Der Besuch der Toilette ist ohne Pfleger möglich, viele Wege können die Betroffenen wieder selbstständig bewältigen.

„Die Laufband-Therapie ist dazu nur ein Hilfsmittel“, so Wernig, „aber ein genial einfaches!“ Das wesentliche sei das richtige Training des aufrechten Ganges, wofür Wernig Prinzipien fand – die ’Regeln der spinalen Lokomotion’. Während ein Gurt die Patienten aufrecht hält, schreiten sie auf einem Laufband dahin. Ein oder zwei Physiotherapeuten behalten dabei das rechte und linke Bein im Auge und kontrollieren, ob der Bewegungsablauf korrekt ist. Wenn nötig, greifen sie korrigierend ein. Anfangs hält der Gurt den größten Teil des Patientengewichts; die Beobachter versuchen, durch die korrekte Fuß- und Beinstellung das Bewegungsprogramm abzurufen. Mit der Zeit muss der Betroffene einen immer größeren Teil seines Gewichts selbst tragen. Manchmal schon nach wenigen Tagen können Gelähmte, die jahrelang an den Rollstuhl gefesselt waren, mit Hilfe eines Laufwagens erste Schritte tun; nach drei Monaten ist das Training in der Regel abgeschlossen. „Es kommt aber darauf an, die Therapie korrekt durchzuführen: Die Patienten müssen gefordert werden, es selbst zu versuchen; die Therapeuten dürfen nicht zu häufig eingreifen. Auch sollte die Belastung der Gliedmaßen sukzessive gesteigert werden, der Gurt verhindert zuletzt nur, dass die Patienten stürzen können“, erklärt Professor Wernig. „Zwar steht inzwischen in den meisten deutschen Rehabilitationskliniken ein Laufband, aber die Therapeuten sind meist nur unzureichend geschult.“

In einer Studie hat der Physiologe mit seinen amerikanischen Kollegen, die zu diesem Zweck nach Deutschland kamen, an zehn Freiwilligen mit verschiedenen Graden von Querschnittlähmung die Effekte der Laufband-Therapie untersucht. Dazu wurden die Probanden umfassend verkabelt: Jeweils sechs Elektroden an beiden Beinen registrierten die Nerven und Muskelimpulse, die in den verschiedenen Muskelgruppen ankamen; elektronische Winkelmesser und Drucksensoren erfassten zusätzlich die Stellung und Belastung der Gelenke. Erstaunliches Ergebnis: Die meisten Patienten waren kaum dazu in der Lage, willentlich elektrische Impulse an einzelne Beinmuskeln zu senden. Bat man sie beispielsweise, mit den Fußspitzen zu wippen, bemühten sie sich vergebens. Während der Schreitversuche auf dem Laufband jedoch wurden viele dieser Muskeln aktiviert. Die motorischen Nerven und Muskeln zeigten viel „normalere“ Erregungsmuster – Anhaltspunkt dafür, dass die Information für die Gehbewegung tatsächlich als eine Art „Programm“ im Rückenmark abgespeichert ist, das bei entsprechender Beinstellung eher abgerufen wird als die isolierte Bewegung an einzelnen Gelenken. Dieser „Abruf“ wird am Laufband geübt.

Über 1.000 Patienten hat der Mediziner in Zusammenarbeit mit der Rehabilitationsklinik Langensteinbach bei Karlsruhe schon behandelt – meist mit durchschlagendem Erfolg. Er fordert daher, die Methode noch weit häufiger als bislang anzuwenden: „Schlaganfall-Patienten oder Unfallopfer mit Querschnittlähmung müssen möglichst rasch in die Hände erfahrener Laufband-Therapeuten!“


Weitere Informationen: Professor Dr. Anton Wernig, Institut für Physiologie der Universität Bonn, Tel.: 0228/287-2274, E-Mail: Wernig@physio.uni-bonn.de

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Dr. Andreas Archut idw

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