Forschender Blick in die Gerüchteküche
Menschen sind in Bewegung. Sie fahren zur Arbeit, in den Urlaub, zum Sport. Sie besuchen Freunde und Verwandte, reisen zu Tagungen und Kongressen, fahren zum Spaß einfach nur so umher oder suchen an den Wochenenden Erholung außerhalb der Ballungszentren. Sie benutzen Fahrräder und Motorräder, Autos und Busse, Bahnen, Schiffe und Flugzeuge.
„In den vergangenen 20 Jahren haben sich die Verkehrsströme grundlegend verändert“, sagt Prof. Dr. Kai Nagel, Leiter des Fachgebietes Verkehrssystemplanung und Verkehrstelematik am Institut für Land- und Seeverkehr der TU Berlin.
Um die Folgen dieser Veränderungen abschätzen zu können, koordiniert Nagel derzeit ein von der VW-Stiftung finanziertes Forschungsprojekt, das soziale Netzwerke hinsichtlich ihrer räumlichen Verbindungen untersucht. Der TU-Experte kooperiert für dieses Projekt mit Prof. Dr. Kay W. Axhausen, Leiter des Instituts für Verkehrsplanung und Transportsysteme der ETH Zürich.
„Der Anteil der Arbeitszeit an der Lebenszeit wird immer geringer“, erläutert der Berliner Verkehrsforscher. Inzwischen habe der Freizeitverkehr innerhalb des Personenverkehrs einen höheren Anteil (31 Prozent aller Wege) als der Pendlerverkehr zum Arbeits- oder Ausbildungsplatz (21 Prozent aller Wege). Der übrige Teil sind Wege, die sich aus Einkauf, privaten Erledigungen sowie Hol- und Bringverkehr ergeben. Und mit nur noch acht Prozent schlagen Dienstreisen zu Buche.
Bislang wurde für den bis vor etwa 20 Jahren dominanten Pendlerverkehr geplant, indem Industriestandorte und Wohnorte entsprechend miteinander verbunden wurden. „Inzwischen haben wir aber nicht mehr vorrangig radialen, sondern zunehmend tangentialen Verkehr, der in der aktuellen Verkehrsplanung kaum berücksichtigt wird“, beschreibt Nagel das Problem, das dem 2007 begonnenen und auf drei Jahre angelegten Forschungsprojekt zugrunde liegt. Ausgehend von der These, dass soziale Netzwerke in hohem Maße Freizeitverkehr hervorbringen, untersuchen die Wissenschaftler diese Netze und deren Auswirkungen auf den Verkehr, um verlässliche Aussagen für die Verkehrsplanung der Zukunft treffen zu können.
Wie häufig treten Menschen zueinander in Kontakt? Wann haben sie sich zuletzt gesehen oder miteinander telefoniert? Ist der gegenseitige Besuch durch regelmäßigen E-Mail-Verkehr ersetzbar? Welche Verkehrsmittel werden benutzt, um Freunde und Verwandte zu besuchen? Wie groß sind in Zeiten der Globalisierung die Strecken, die zurückgelegt werden, um gute Freunde zu besuchen? Um diese Fragen zu beantworten, haben die Verkehrsforscher methodisch ein innovatives Prinzip gewählt: Ausgehend von zirka 100 zufällig ausgewählten Personen soll ein „Schneeballsystem“ interessante Erkenntnisse bringen. „Wir befragen die einzelnen Studienteilnehmer und bitten sie, uns an ihre guten Freunde weiterzuempfehlen, denen wir dann die gleichen Fragen stellen und die uns weitere Freunde zur Befragung vermitteln“, erläutert Nagel.
Die Gesetzte sozialer Netzwerke verstehen
So wollen die Wissenschaftler Strukturen und Gesetzmäßigkeiten finden und auch erste Erkenntnisse darüber erhalten, wie sich die steigenden Energiepreise auf das Mobilitätsverhalten der Verkehrsteilnehmer auswirken. Ist Verkehr vorhersagbar, der durch gegenseitige Besuche von Freunden entsteht? In welchem Maß muss die künftige Planung neue Gewohnheiten der Reisenden berücksichtigen? „Gleichzeitig können wir im Anschluss mit unseren Ergebnissen auch übergeordnete Probleme analysieren, zum Beispiel Aussagen darüber treffen, wie sich zum Beispiel Viren oder Gerüchte ausbreiten“, sagt Projektkoordinator Nagel.
Die Arbeit zwischen den beiden Universitäten ist klar aufgeteilt: Während sich die Züricher um die Datenerhebung kümmern, analysieren die Berliner diese Daten und untersuchen, ob und wie man sie in eine geeignete Verkehrssoftware integrieren kann, um letztlich anhand von Computerprogrammen verlässliche Verkehrsprognosen etwa zu bestimmten Jahreszeiten oder Feiertagen wie Weihnachten treffen zu können. „Freizeitverkehr ist inzwischen das wichtigste Segment im Verkehr, und bessere Modelle sind für ihn dringend notwendig“, sagt Kai Nagel.
Mit dem Projekt werde gleichzeitig eine Brücke zwischen der realen Welt und den Modellen der Netzwerke geschlagen. „Letztlich hoffen wir, über die Auswirkungen von Netzwerken auf den Verkehr auch die Gesetzmäßigkeiten moderner sozialer Netzwerke besser zu verstehen“, resümiert der Verkehrsforscher.
Andrea Puppe
Weitere Informationen erteilt Ihnen gern: Prof. Dr. Kai Nagel, Institut für Land- und Seeverkehr, Fachgebiet Verkehrssystemplanung und Verkehrstelematik, Salzufer 17-19, 10587 Berlin, Telefon: 030/314-2308, Fax: -26269, E-Mail: nagel@vsp.tu-berlin.de
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