Neue Akzente aus Würzburg für die Verhaltensforschung


Bis in die späten 60er Jahre war die Verhaltensbiologie eine Wissenschaft, die wesentlich von deutschen Forschern geprägt war. Heute ist dies jedoch nicht mehr der Fall. Vor diesem Hintergrund haben Wissenschaftler der Universität Würzburg einen Sonderforschungsbereich initiiert, der in Deutschland neue Akzente setzen und die Verhaltenswissenschaften hier wieder aufleben lassen soll.

Der Sonderforschungsbereich (SFB) 554 „Mechanismen und Evolution des Arthropodenverhaltens: Gehirn – Individuum – Soziale Gruppe“ hat seine Arbeit am 1. Juli 2000 aufgenommen. Sprecher ist der Verhaltensphysiologe Prof. Dr. Bert Hölldobler, sein Stellvertreter ist der Genetiker Prof. Dr. Martin Heisenberg. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert den SFB in den ersten drei Jahren seines Bestehens mit rund 5,6 Millionen Mark.

Warum sind die deutschen Beiträge zur Verhaltensbiologie in den vergangenen Jahrzehnten spärlicher geworden? Den Würzburger Wissenschaftlern zufolge liegt dies nicht etwa daran, dass die wesentlichen Fragen beantwortet wären und sich deshalb kein moderner Wissenschaftler mehr damit befassen wollte. Ganz im Gegenteil: Im selben Zeitraum habe die angloamerikanische Verhaltensforschung einen Aufbruch mit steigender Dynamik erlebt. Fruchtbare Perspektiven hätten sich dort durch das Zusammentreffen bislang getrennter Disziplinen – Evolutionsbiologie, Ökologie, Genetik und Neurobiologie – ergeben. Die deutsche Biologie habe dazu wenig beigetragen, ja sie habe viele Entwicklungen sogar verpasst.

An der Universität Würzburg sind die genannten Disziplinen in Form von international bekannten Forschergruppen vertreten. Im Rahmen des neuen SFB wird nun ihre Verbindung angestrebt. Im Mittelpunkt stehen Gliedertiere (Arthropoden) wie Fliegen, Zikaden, Ameisen oder Bienen. An ihnen soll das Verhalten auf individueller Ebene und in der sozialen Gruppe sowie die Steuerung des Verhaltens durch das Gehirn untersucht werden.

Beteiligt sind sechs Lehrstühle, wobei diejenigen für Genetik und Neurobiologie (Prof. Dr. Martin Heisenberg), Verhaltensphysiologie und Soziobiologie (Prof. Dr. Bert Hölldobler) sowie für Tierökologie und Tropenbiologie (Prof. Dr. Karl Eduard Linsenmair) die Teilprojekte wesentlich tragen. Mit im Boot sind zudem die Lehrstühle für Botanik II – Ökophysiologie und Vegetationsökologie (Prof. Dr. Markus Riederer), Informatik VI (Prof. Dr. Frank Puppe) und Lebensmittelchemie (Prof. Dr. Peter Schreier).
Im Themenblock „Neurogenetik“ analysieren die Wissenschaftler Gehirnstrukturen und ihre verhaltensrelevanten Funktionen. Sie kooperieren eng mit ihren Kollegen, die im Block „Gehirn und Verhalten“ drei große Bereiche bearbeiten: die Neuroethologie der Geruchswahrnehmung, die zentralnervöse Kontrolle des Laufverhaltens sowie Gehirnstrukturen, die für Lernen und Gedächtnis bei der räumlichen Orientierung verantwortlich sind.

Drei weitere Blöcke befassen sich mit den Themen „Sexualverhalten und sexuelle Selektion“, „Soziale Organisation und Kommunikation“ sowie „Furagieren und Kommunikation“. Sie alle sollen dazu beitragen, die Evolution und ökologische Anpassung komplexer Verhaltensweisen besser zu verstehen. Diese drei Ansätze sollen entscheidend von den Möglichkeiten der so genannten Multiagentensimulation profitieren: Mit ihr lassen sich zum Beispiel die Faktoren ergründen, die für die Evolution von der vereinzelten hin zur sozialen Lebensweise entscheidend sind. Das entsprechende Fachwissen wird eingebracht vom Lehrstuhl für Informatik VI.

Die am SFB beteiligten Botaniker befassen sich schwerpunktmäßig mit der Funktion von Wachsschichten als Barrieren und als Vermittler bei Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Tieren. Damit können sie ideal an die zoologischen Arbeiten anknüpfen, denn auch die Körperoberfläche der Insekten ist mit Wachsen beschichtet. In jüngerer Zeit hat sich herausgestellt, dass Insekten die Zusammensetzung dieser Wachsgemische verändern können und dass diese Schichten Signalfunktionen für die Tiere haben. Wachse, aus denen die Waben des Bienennestes gebaut sind, spielen auch bei der Kommunikation der Honigbienen eine Rolle.

Der Lehrstuhl für Lebensmittelchemie befasst sich mit der Chemie von aromatischen Verbindungen. Folglich interessiert sich diese Forschungsgruppe besonders stark für die Düfte und Duftsignale, die von Pflanzen und Insekten abgegeben werden. Auf chemischen Signalen gründet zudem auch ein großer Teil der Kommunikation beim Sexual- und Sozialverhalten.

Zum wissenschaftlichen Programm tragen außerdem zahlreiche weitere Kooperationen mit Einrichtungen bei, die nicht unmittelbar am SFB 554 beteiligt sind, etwa die Lehrstühle für Zoologie I (Zell- und Entwicklungsbiologie), Botanik I (Molekulare Pflanzenphysiologie und Biophysik), Pharmazeutische Biologie und Mikrobiologie sowie die Institute für Humangenetik und Biochemie ebenso wie die Abteilung für Biochemie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie.

Weitere Informationen: Prof. Dr. Bert Hölldobler, T (0931) 888-4308, Fax (0931) 888-4309, E-Mail: bert.hoelldobler@biozentrum.uni-wuerzburg.de

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Robert Emmerich

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