Strukturwandel im ländlichen China
Das untersuchen Prof. Dr. Thomas Heberer und René Trappel vom Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Duisburg-Essen (UDE) in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt.
Am Beispiel der Landkreise Laixi (Provinz Shandong) und Suining (Provinz Sichuan) gehen sie den sozialen und politischen Veränderungen nach. Gerade sind die beiden Wissenschaftler von einer mehrwöchigen Forschungsreise aus Nord- und Südwestchina zurückgekehrt.
„Von der Mao-Ära bis in die 1990er Jahre, als die Volksrepublik primär agrarwirtschaftlich geprägt war, haben die Bauern für die Städte die notwendigen Ressourcen erwirtschaften müssen“, sagt Prof. Heberer. „Nun soll es umgekehrt sein: Die leistungsstarken Städte finanzieren die Entwicklung des armen ländlichen China mit. Allerdings geht es nicht ohne umfassende staatliche Eingriffe und sozialstaatliche Begleitung, wenn man den ländlichen Raum modernisieren will.“
Die Regierung rüttelt hierfür an alten Strukturen, konnten die Wissenschaftler der UDE feststellen: Sie schwächt traditionelle Dorfgemeinschaften bzw. löst sie auf, indem sie diese zum Beispiel in neue Dorfprojekte umsiedelt oder stadtnahe in den urbanen Raum eingemeindet; Clan- und Sippenverbände wiederum verlieren an Einfluss, weil ländliche Arbeitskräfte in die prosperierenden Küstenregionen abwandern; Landbewohner, die ihren Boden verloren haben, dürfen sich in Gemeinde- und Kreisstädten ansiedeln. Zugleich wird die ländliche Flächennutzung neu organisiert und damit kommerzialisiert und industrialisiert. Bodenrechte werden verkauft oder langfristig verpachtet, es entstehen Wirtschaftsparks und Gewerbegebiete. Die kleinteilige, familienbasierte Landwirtschaft verliert an Bedeutung, während Landverluste und abhängige Lohnbeschäftigung zunehmen. Gleichzeitig versucht die Zentralregierung politische Impulse zu setzen und baut ein Sozialwesen im ländlichen Raum auf in Form eines kooperativen Krankenversicherungssystems.
In Laixi wird vor allem die Infrastruktur verbessert, traditionelle Bauernhäuser sind städtischen Reihenhäusern oder großen Wohnblocks gewichen. Um die Bauern für den Verlust von Boden zu entschädigen, werden ihnen Sozialleistungen, das heißt medizinische Versorgung und Rente, gewährt. In Suining, das bis zu 90 Prozent seiner Arbeitskräfte durch Abwanderung in die Küstengebiete verloren hat, bilden Rückkehrerprogramme einen Schwerpunkt. Mit entsprechenden Anreizen sollen fähige Kräfte als Investoren und Dorffunktionäre zurückgeholt werden. Da spezielle Ressourcen für eine Wirtschaftsentwicklung, zum Beispiel Bodenschätze, fehlen, setzt man in Suining auf den Tourismus und eine „grüne Landwirtschaft“. Außerdem möchte man Modellstadt für Begrünung werden.
Zwei interessante Entwicklungen haben Heberer und Trappel bei ihrer Feldforschung in China ausgemacht: „Anders als in früheren Zeiten der Volksrepublik geht es der Führung nicht um eine kollektivitätsorientierte Transformation. Vielmehr sieht sie die alten Dorfstrukturen und deren traditionelle Gemeinschaften als Hemmnis an. Zudem sucht die Regierung einen Ausgleich zwischen ländlicher und städtischer Bevölkerung – unter anderem dadurch, dass sie ein einheitliches Beschäftigungssystem sowie ein berufliches Ausbildungssystem für die Landbewohner schafft und ländliche Arbeitskräfte künftig genauso entlohnen will wie städtische.“
Wie gut die Umgestaltung tatsächlich gelingen wird, wird auch davon abhängen, ob der Zentralstaat die Korruption im ländlichen Raum in den Griff bekommt: Stimmenkauf bei Dorfwahlen, Bestechung von Dorfkadern, um z.B. an Boden für Industriezwecke heranzukommen, oder das Unterschlagen der ohnehin sehr geringen Bodenabfindungen durch lokale Funktionäre sind weit verbreitete Phänomene und gehören zum System.
Weitere Informationen: Prof. Dr. Thomas Heberer,
Tel. 0203/379-3727, thomas.heberer@uni-due.de
René Trappel, Tel. 0203/379-1072, rene.trappel@uni-due.de
Redaktion: Ulrike Bohnsack, Tel. 0203/379-2429
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