Hilf mir, ich bin niedlich – und was Frauen gerne spielen
„Computerspiele nehmen einen großen Zeitrahmen in der Freizeitgestaltung ein und die Spieleindustrie ist enorm umsatzstark – deshalb sind Computerspiele seit einigen Jahren zurecht ein bedeutungsvoller Forschungsgegenstand“, schätzt Prof. Dr. Peter Ohler, Inhaber der Professur Mediennutzung an der TU Chemnitz, ein. Seine Professur beschäftigt sich in einem von mehreren Forschungsschwerpunkten mit Fragen rund um Computerspiele: „Wir nehmen uns der virtuellen Welten an“, deutet Ohler die Komplexität des Forschungsgegenstands an.
Verhalten in der Virtualität
Wie verhalten sich Spieler, wenn sie sich in virtuellen Umgebungen begegnen? So lautete eine Frage, der Georg Valtin und Daniel Pietschmann, Mitarbeiter der Professur, in Projekten gemeinsam mit Studenten nachgingen. Die Untersuchungen basieren auf „World of WarCraft“, das mit mehr als elf Millionen Spielern weltweit derzeit den Markt der Online-Rollenspiele beherrscht. Dabei wurde deutlich, dass aus der Psychologie bekannte Verhaltensweisen in realen Situationen auch in der virtuellen Spielwelt stattfinden. Bei Untersuchungen zum Hilfeverhalten zeigte sich beispielsweise, dass der attraktiven weiblichen Figur signifikant mehr Spieler halfen als der unattraktiven weiblichen Figur und den männlichen Charakteren. Auch das so genannte Kindchenschema konnten die Wissenschaftler für die virtuelle Welt bestätigen: Großer Kopf, runde Augen und Stupsnase wecken einen Beschützerinstinkt. Die untersuchte Figur – eine kindliche Gnomin mit großen Augen und rosa Zöpfen – erhielt in 57 Prozent der gestellten Anfragen Unterstützung, die Vergleichsfigur – ein Nachtelf – dagegen nur bei fünf Prozent.
Wie entscheiden sich Neulinge für ihren Avatar, wenn sie die virtuelle Umgebung noch gar nicht kennen? Mit dieser Frage beschäftigte sich Georg Valtin in seiner Masterarbeit im Studiengang Medienkommunikation. Er fand heraus, dass vor allem die drei Faktoren Spielmechanik, Hintergrundgeschichte und Aussehen des Avatars wichtig sind. In Seminarstudien zeigten die Chemnitzer, dass dem letzten Faktor die größte Bedeutung zukommt. Unter anderem sollten Spieler, die keine Erfahrung mit World of WarCraft hatten, einen Avatar erstellen – und zwar unter der Maßgabe, mit ihm für einen längeren Zeitraum zu spielen. Das in virtuellen Umgebungen oft vermutete Gender-Swapping – also das Erstellen von gegengeschlechtlichen Avataren – konnten die Wissenschaftler bei den Probanden nicht beobachten. Im Gegenteil: Es ergab sich der statistisch bedeutsame Effekt, dass Frauen weibliche und Männer männliche Avatare bevorzugen. „Vor allem Anfänger erstellen sich sehr menschliche Charaktere. Sie achten hauptsächlich auf das Aussehen des Avatars und nicht auf seine Fähigkeiten“, resümiert Valtin. Diese Beobachtung machten die TU-Forscher auch in dem Spiel Die Sims 2: „Die meisten Anfänger erstellen einen Charakter, der ihnen selbst sehr ähnlich ist. Wer Spielerfahrung hat, experimentiert eher und gestaltet auch schon mal etwas ganz Verrücktes“, so Valtin.
Neue Zielgruppen: Frauen und „Silver Gamer“
Woher kommt der Spaß beim Spiel? Diese Frage ist nicht nur für Wissenschaftler interessant, sondern auch für Spieleentwickler von großer Bedeutung. Ihr ging unter anderem Daniel Pietschmann in seiner Masterarbeit, ebenfalls im Studiengang Medienkommunikation, nach. Ein Ergebnis: Vor allem die Spielkonsole Nintendo Wii profitiert von der Authentizität des Eingabegerätes; die realistische Steuerung ist ein entscheidender Grund, weshalb die Konsole auf dem Markt so gut angenommen wird. Hierdurch lassen sich auch neue Zielgruppen erschließen, wie es Nintendos aktuelle mobile Spielkonsole vormacht: „Unter den Spielern des Nintendo DS liegt der Frauenanteil – im Gegensatz zu den meisten anderen Spielkonsolen oder bei PC-Spielen – bei 56 Prozent“, berichtet Pietschmann und ergänzt: „Eine zweite neue Zielgruppe sind die so genannten Silver Gamer, also die ältere Generation ab circa 50 Jahren. Sie nutzen die Wii oder den Nintendo DS vor allem, um motorisch und gedanklich fit zu bleiben.“ Frauen und ältere Nutzer sind auch die Hauptzielgruppe für die so genannten Casual Games – kleine und preisgünstige Spiele, die online innerhalb von wenigen Minuten gespielt werden können und keine lange Anleitung benötigen. „Casual Games sind das umsatzstärkste Genre der Computerspiele“, betont Ohler. Frauen begeistern sich für diese Spiele nach Erkenntnis der Chemnitzer Medienpsychologen auch deswegen, weil sie nicht die volle Aufmerksamkeit fordern und damit auch nebenher, etwa beim Chatten, gespielt werden können. Außerdem sind sie einfach zu erlernen, bieten schnelle Erfolgserlebnisse und laufen selbst auf älteren Rechnern. Aber: „Heute spielen auch Mädchen sehr extensiv mit Handhelds. Es ist zu erwarten, dass diese Generation zukünftig neben Casual Games verstärkt mit komplexeren, zeitintensiveren Spielen umgehen wird, wobei diese inhaltlich auf ihre Bedürfnisse und Erwartungen abgestimmt werden“, schaut Ohler in die Zukunft.
„Computerspiele fungieren auch als Trendsetter. Sie erfüllen eine Vorreiterrolle für technische Entwicklungen – so sind beispielsweise viele der heutigen Grafikanwendungen aus der Spieletechnik entstanden“, erklärt Valtin. Auch deshalb sind die Wissenschaftler der Professur Mediennutzung immer an Kooperationen mit anderen Fachgebieten interessiert, beispielsweise mit dem Maschinenbau, der sich auch mit Simulationen in virtuellen Welten beschäftigt.
Weitere Informationen erteilen Prof. Dr. Peter Ohler, Telefon 0371 531-34592, E-Mail peter.ohler@phil.tu-chemnitz.de, Daniel Pietschmann, Telefon 0371 531-37693, E-Mail daniel.pietschmann@phil.tu-chemnitz.de, sowie Georg Valtin, Telefon 0371 531-37694, E-Mail georg.valtin@phil.tu-chemnitz.de
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