Herzklappenimplantation durch innovative Kathetertechnik bietet neue Chancen für Hochrisikopatienten
„Es dauerte keine zwei Wochen, dann konnte ich schon wieder meinen täglichen Spaziergang machen.“ Irmgard Hlawatsch wundert sich auch heute noch, wie schnell sie wieder auf den Beinen war: Im vergangenen Mai wurde ihr eine künstliche Herzklappe über ein neues Verfahren mittels Herzkathetertechnik eingesetzt.
Die 75-jährige Münsteranerin war eine der ersten Patientinnen am Universitätsklinikum Münster (UKM), der eine neue Herzklappe per Katheter implantiert wurde. Ein Verfahren, von dem speziell „Hochrisikopatienten“ profitieren, denn ein herzchirurgischer Eingriff kann so vermieden werden. Ein spezialisiertes Versorgungsangebot am UKM und Fortschritte in der Medizintechnik ermöglichen dieses neue Behandlungsangebot.
Durchgeführt hat den Eingriff Prof. Dr. Helmut Baumgartner, Leiter des Kardiologischen Zentrums für Erwachsene mit angeborenen und erworbenen Herzfehlern (EMAH), mit einem Team aus Kardiologen (Prof. Dr. Holger Reinecke), Herzchirurgen (Dr. Andreas Rukosujew und Dr. Farshad Ghezelbash) sowie Anästhesisten. Im vergangenen Jahr wurde bei 30 Patienten am UKM ein solcher Eingriff vorgenommen, in diesem Jahr soll die Anzahl mehr als verdoppelt werden. Prof. Baumgartner weist auf die Vorteile für die Hochrisikopatienten hin: „Das Verfahren ist speziell für ältere Patienten mit Verengung der Herzklappe zwischen linker Herzkammer und Hauptschlagader (Aortenstenose), die durch Zusatzerkrankungen für die konventionelle Operation ein hohes Risiko hätten, eine viel versprechende neue Behandlungsmöglichkeit.“ Auch Irmgard Hlawatsch zählte zu dieser Patientengruppe, neben ihrer Herzklappenerkrankung leidet sie seit vielen Jahren an schwerem Asthma.
Zwei Zugangswege
Für die Implantation gibt es zwei Zugangswege: Im Fachbegriff wird die Implantation über die Schlagader (Arterie) in der Leiste als „Transfemorale Aortenklappenimplantation“ bezeichnet, ein zweiter Zugangsweg ist nach einem kleinen Einschnitt in den Brustkorb direkt über die Herzspitze möglich („Transapikale Aortenklappenimplantation“). Da die Herzspitze selbst nicht zur Pumpleistung der linken Herzkammer beiträgt, kann in diesem Bereich problemlos ein Katheter eingeführt und die Punktionsstelle später mittels einer Naht wieder verschlossen werden. Der Zugang über die Herzspitze wird dann gewählt, wenn die Beckenschlagadern zu klein, zu stark gewunden oder durch Gefäßerkrankung verengt sind, so dass die Katheter auf diesem Weg nicht eingeführt und zum Herzen vorgeschoben werden können.
Bei Irmgard Hlawatsch wurde die neue Herzklappe über die Leistenarterie eingebracht, ohne dass der Brustkorb und das Herz geöffnet werden mussten. Die biologische Klappe („Edwards SAPIEN Transkatheter Herzklappe“) ist in ein Drahtgeflecht (Stent) eingenäht, das auf einem Ballonkatheter aufgebracht ist. Nach der exakten Platzierung im Herzen wird der Ballon gefüllt und dadurch der Stent entfaltet, die alte Klappe an die umgebende Wand gedrückt und der Stent mit der neuen Klappe auf diese Weise fixiert. Die neue biologische Herzklappe übernimmt dann direkt die Funktion. Baumgartner: „Enorm wichtig ist dabei die richtige Platzierung der neuen Herzklappe. Alle Schritte werden daher exakt mit Röntgendurchleuchtung und Herzultraschall überwacht.“ Mit der Vorbereitungszeit beträgt die Dauer eines solchen Eingriffes rund zwei Stunden, das Platzieren der Klappe dauert dabei nur wenige Minuten. „Zur Sicherheit ist immer eine Herz-Lungen-Maschine im Raum, sollte es zu Komplikationen kommen. Der Eingriff erfolgt am schlagenden Herzen“, betont Kardiologe Baumgartner.
„Fortschritte der Medizin realisieren“
Die neu entwickelte Klappentechnik der Firma Edwards und das hoch spezialisierte Behandlungsangebot am UKM stellen gerade für Patienten wie Irmgard Hlawatsch eine zukunftsweisende Therapie dar, betont Prof. Dr. Norbert Roeder, Ärztlicher Direktor des UKM: „Der Ersatz der Herzklappe durch eine Operation am offenen Herzen ist seit vielen Jahren ein standardisierter Eingriff mit sehr guten Ergebnissen. Unsere Aufgabe als Universitätsklinik ist es natürlich auch, Fortschritte in der Medizin zu entwickeln und zusammen mit anderen Akteuren zu realisieren. Diese neue Behandlungsmethode für eine spezielle Patientengruppe ist dafür ein gutes Beispiel. Das UKM wird dieses Behandlungsangebot weiter ausbauen.“
Weitere Verbesserungen des Verfahrens sind in der Entwicklung. Vor allem arbeitet man an einer weiteren Verkleinerung des Kathetersystems. Auch sind weitere Fortschritte in diesem Bereich zu erwarten, erklärt Prof. Baumgartner. „Aktuell ist das neue Verfahren eine Option für ältere Risikopatienten. Aufgabe der nächsten Jahre wird es nun sein, zu erforschen, ob diese Behandlungsmöglichkeit auch für andere Patienten mit dieser Herzklappenerkrankung eingesetzt werden kann. Dazu sind unter anderem Langzeituntersuchungen über die Funktionsdauer dieser Klappen erforderlich.“ Baumgartner rechnet damit, dass diese Entwicklungsarbeit sicher noch fünf bis zehn Jahre dauern wird.
Während sich Mediziner und Forscher dieser Aufgabe widmen, um die Patientenversorgung weiter zu verbessern, genießt Irmgard Hlawatsch ihre neu gewonnene Lebensqualität. Früher litt sie oft unter Atemnot beim Treppensteigen, diese Probleme sind deutlich zurückgegangen. Eigentlich hätte die 75-jährige nach der Implantation auch eine Rehabilitationsmaßnahme antreten können. Doch sie hat abgelehnt: „Wieso hätte ich das machen sollen? Mir geht es gut und die Ärzte sind mit mir zufrieden. Viel lieber drehe ich gemeinsam mit meinem Yorkshireterrier „Nele“ meine tägliche Runde hier in Münster. Und zwar bei Wind und Wetter.“
Auf einen Blick: Aortenstenose
Krankheitsbild
– Die Aortenklappe ist das Ventil zwischen der großen linken Herzkammer und der Körperschlagader, der Aorta. Im Laufe eines 80-jährigen Lebens öffnet und schließt sich die Aortenklappe mehr als drei Milliarden Mal.
– Aortenstenose umschreibt die Verengung der Aortenklappe. Mit zunehmender Verengung wird der Blutfluss gehemmt.
– Es gibt angeborene und erworbene Formen. Unter den erworbenen Formen ist die rheumatische Aortenstenose heute selten und die „degenerative“ Form am weitaus häufigsten. Dieser Krankheitsprozess hat große Ähnlichkeiten mit der Arteriosklerose und führt durch Verdickung und Verkalkung der Klappe letztlich zu ihrer Verengung.
– Die Öffnung einer normalen Aortenklappe hat eine Fläche von 2 bis 4 cm².
– Drei Schweregrade werden unterschieden: Geringe Aortenstenose bei einer Aortenklappenfläche größer als 1,5 cm², mittelgradige Aortenstenose mit einer Öffnungsfläche zwischen 1 und 1,5 cm² und hochgradige Aortenstenose (Öffnung geringer als 1 cm²).
– Die Verengung („Stenosierung“) entwickelt sich über viele Jahre, so dass das Herz Zeit hat, sich an die erhöhte Belastung anzupassen. Die Patienten sind daher lange symptomfrei. Wird die Anpassungskapazität überschritten, setzen Symptome ein.
– Symptome, die von einer Verengung der Aortenklappe bedingt sein können, sind zunehmende Atemnot bei körperlicher Anstrengung, das Gefühl der Brustenge oder Schwindel und Ohnmachtsanfälle bei Anstrengung.
Krankheitshäufigkeit („Prävalenz“)
Die Aortenstenose ist die häufigste Herzklappenerkrankung in den industrialisierten Ländern. Bei Menschen über 65 Jahren liegt dort die Prävalenz bei vier Prozent.
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Weitere Informationen:
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