Wenn das Immunsystem Gewichtsprobleme macht
Forscher vom Biozentrum der Universität Basel haben nun Antikörper identifiziert, die bei der Entstehung von Übergewicht eine Rolle spielen könnten.
Damit wäre bei einer bestimmten Gruppe von Adipositas-Patienten zum ersten Mal eine individualisierte medizinische Beratung möglich. Die Forschungsergebnisse werden in der Märzausgabe des „Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism“ publiziert.
Übergewicht und Fettleibigkeit, auch Adipositas genannt, sind in den letzten Jahrzehnten weltweit zu einem medizinischen Problem geworden. So ist in den USA inzwischen mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung übergewichtig oder adipös, ohne dass bei den meisten Patienten spezifische Ursachen dafür verantwortlich gemacht werden könnten.
Aus Untersuchungen am Tier und aufgrund seltener Fälle von Einzelgenmutationen am Menschen sind verschiedene Schaltstellen im Gehirn bekannt, die bei der Regulation der Nahrungsaufnahme eine wesentliche Rolle spielen. Ein Beispiel dafür ist der so genannte Melanocortin-4 (MC4) Rezeptor im Hypothalamus, einer Hirnregion, die für die Koordination des Energiehaushalts wichtig ist. Wird der MC4-Rezeptor, der normalerweise den Appetit und damit die Nahrungsaufnahme senkt, über längere Zeit blockiert, führt das zu Adipositas.
Ist bei Adipositas das Immunsystem beteiligt?
Prof. Karl G. Hofbauer und Dr. Jean-Christophe Peter vom Biozentrum der Universität Basel konnten bereits vor zwei Jahren in experimentellen Studien an Nagern nachweisen, dass die aktive Immunisierung gegen diesen Rezeptor die Produktion von hemmenden Antikörpern auslöst.
Diese Antikörper führen an den immunisierten Tieren zu einer Gewichtszunahme und zu Stoffwechselstörungen, wie sie auch an adipösen Patienten beobachtet werden. Ausgehend von diesem Befund formulierten die Wissenschaftler die Hypothese, dass auch beim Menschen Adipositas entstehen könnte, wenn der Appetit durch solche Antikörper gesteigert würde.
Antikörper, die sich gegen körpereigene Proteine richten, werden Autoantikörper genannt, und man kennt verschiedene Krankheitszustände, sogenannte Autoimmunerkrankungen, an denen sie ursächlich beteiligt sind.
Klinischer Nachweis von Autoantikörpern erbracht
Zur Überprüfung ihrer Hypothese untersuchten Hofbauer und sein Team Blutproben von über 200 Patienten mit Normalgewicht, Übergewicht oder Adipositas. Bei etwa 4% der Patienten mit Gewichtsproblemen fanden sich tatsächlich spezifisch gegen den MC4-Rezeptor gerichtete, pharmakologisch aktive Autoantikörper, während bei normalgewichtigen Probanden keine Autoantikörper festgestellt wurden.
Die Tatsache, dass solche hemmenden Autoantikörper nur bei Patienten mit erhöhtem Körpergewicht gefunden wurden, könnte, so Hofbauer, „auf einen Zusammenhang zwischen Autoantikörpern gegen den MC4-Rezeptor und der Entstehung von Übergewicht und Adipositas hinweisen“.
Translational Research – individualisierte Medizin
Die Arbeit von Hofbauer und seiner Gruppe lässt sich als so genannter „translational research“ bezeichnen. Dabei werden experimentelle Resultate auf den Menschen übertragen, um neue Ansatzpunkte für die klinische Diagnostik und Therapie zu erarbeiten.
Die Forscher haben bereits mithilfe der Stelle für Wissens- und Technologietransfer der Universität Basel (WTT) ein Patent für die Entwicklung von entsprechenden Diagnostika angemeldet. Zurzeit laufen weitere klinische Studien, in denen Hofbauer und seine Gruppe untersuchen, wie Patienten mit Autoantikörpern gegen den MC4-Rezeptor auf Diät oder operative Eingriffe ansprechen.
Diese Ergebnisse sollten Hinweise auf die klinische Bedeutung solcher Autoantikörper erbringen und eine individuelle Beratung und Betreuung der betroffenen Patienten ermöglichen.
Originalbeitrag
Jean-Christophe Peter, Akkiz Bekel, Anne-Catherine Lecourt, Géraldine Zipfel, Pierre Eftekhari, Maya Nesslinger, Matthias Breidert, Sylviane Muller, Laurence Kessler, and Karl G. Hofbauer
Anti-melanocortin-4 receptor autoantibodies in obesity
Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, First published ahead of print December 2, 2008 | doi: 10.1210/jc.2008-1749
Weitere Auskünfte
Prof. Dr. Karl G. Hofbauer, Universität Basel
Biozentrum, Angewandte Pharmakologie
Klingelbergstrasse 50/70, CH-4056 Basel
E-Mail: karl.hofbauer@unibas.ch
Tel. +41 61 267 16 45
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