Blaue Blitze aus dem Kosmos

In Namibia wird am 3. September das Gamma-Experiment HESS eingeweiht / Vier Tscherenkow-Teleskope sollen mit bisher unerreichter Empfindlichkeit Strahlung von fernen Galaxien oder explodierten Sternen aufspüren

Ein neues Fenster zum Weltall öffnet sich in Namibia: Dort, auf der 1800 Meter hoch gelegenen Farm Göllschau, wird am 3. September 2002 das erste von vier Teleskopen des HESS-Experiments offiziell eingeweiht. Dieses „High Energy Stereoscopic System“ soll in zwei Jahren komplett sein und die energiereiche Strahlung von Galaxien oder Supernova-Überresten ergründen. Dabei registrieren die wabenförmig aufgebauten Spiegel schwache Lichtblitze, die beim Eindringen der kosmischen Gammaquanten innerhalb der Erdatmosphäre entstehen. An HESS beteiligen sich mehr als 70 Wissenschaftler aus Deutschland, Frankreich, England, Irland, Tschechien, Armenien, Namibia und Südafrika. Die Bundesrepublik ist vertreten durch das Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg, die Humboldt-Universität Berlin, die Ruhr-Universität Bochum, die Universitäten Hamburg und Kiel sowie die Landessternwarte Heidelberg. Max-Planck-Gesellschaft und Bundesforschungsministerium haben für das Projekt zusammen sechs Millionen Euro aufgewendet und tragen damit rund drei Viertel der Gesamtkosten von 7,6 Millionen Euro.

Angesichts der Jahrtausende langen Geschichte der Astronomie zählen Beobachtungen im „Gammafenster“ des Spektrums zu den jüngsten Zweigen der Himmelsforschung. Denn dieses extrem energiereiche Licht wird einerseits von der Erdatmosphäre verschluckt, andererseits lässt es sich mit konventionellen Linsen oder Spiegeln nicht bündeln. Spezielle Detektoren in Satelliten und Höhenforschungsraketen registrieren Gammastrahlen mit Energien bis zu einigen zehn Milliarden Elektronenvolt. Für die Erfassung von Strahlung mit noch höheren Energien – bis zu einer Billion Elektronenvolt – aus den Herzen aktiver Galaxien oder von den Resten explodierter Sterne sind diese Instrumente ungeeignet.

Um diesen interessanten und bisher wenig erforschten Spektralbereich dennoch zu studieren, bedienen sich die Astronomen eines Tricks, der ihnen sogar gestattet, „auf dem Boden“ zu bleiben: Ein Gammateilchen aus dem Universum dringt zwar – zum Glück für das Leben – nicht bis zur Erdoberfläche vor; aber fliegt es innerhalb der irdischen Atmosphäre an einem Atomkern vorbei, kann es sich spontan in ein Elektron und in dessen Antiteilchen Positron verwandeln. Auf seiner Reise durch die Luft gelangt das Paar in die Felder weiterer Atomkerne, wobei wieder ein Gammaquant entsteht, das dann erneut auf Atomkerne trifft. Auf diese Weise erzeugt ein einziges kosmisches Gammateilchen quasi im „Schneeballsystem“ ein Kaskade von etwa tausend Sekundärpartikeln.

Abb. 1: Dem Geheimnis des blauen Leuchtens auf der Spur sind die vier Teleskope des HESS-Experiments. Von der 1800 Meter hoch gelegenen Farm Göllschau in Namibia aus beobachten sie energiereiche Gammastrahlen aus dem Universum. Das erste Fernrohr wurde am 3. September offiziell in Betrieb genommen.
Foto: HESS-Kollaboration

Innerhalb dieser Luftschauer entsteht Tscherenkow-Strahlung: Weil sich das Teilchen schneller bewegt, als es der Lichtgeschwindigkeit in Luft entspricht, kommt es zu einem „optischen Überschallknall“ – einer Stoßwelle, die für einige milliardstel Sekunden blaues Licht in Flugrichtung aussendet. Das geschieht in rund zehn Kilometer Höhe. Auf dem Boden beleuchtet ein solcher „Tscherenkow-Scheinwerfer“ eine Fläche von ungefähr 250 Meter Durchmesser. Das blaue Licht ähnelt einer Meteorspur, ist für die Beobachtung mit bloßem Auge allerdings viel zu schwach; dazu müsste die Netzhaut eine Million Mal empfindlicher sein.

Hier kommt HESS ins Spiel: Jedes Teleskop besitzt einen Durchmesser von 12 Metern, wobei jeweils 380 runde Einzelspiegel eine Licht sammelnde Fläche von 108 Quadratmetern bilden. Im Brennpunkt des Teleskops sitzt eine elektronische Kamera mit 960 Fotoröhren, die in einem Rahmen von 1,4 Meter Durchmesser montiert sind. Die Kamera, deren Elektronik in Frankreich gebaut wurde, erlaubt Belichtungszeiten von nur einer hundertmillionstel (!) Sekunde. Das Akronym HESS spielt auf den österreichischen Physiker Viktor Franz Hess (1883 bis 1964) an, der in zehn Ballon-Aufstiegen zwischen 1911 und 1913 die Kosmische Strahlung entdeckte und dafür im Jahr 1936 den Nobelpreis für Physik erhielt.

Im Gegensatz zu einem konventionellen Fernrohr liefert ein Tscherenkow-Teleskop keine direkten Bilder eines Himmelsobjekts, sondern zeichnet nur die Luftschauer in der Erdatmosphäre auf. Um daraus das Abbild einer Gammaquelle zu erzeugen, kombiniert bei der HESS-Anlage ein Computer bis zu vier Aufnahmen und bestimmt die Position sowie die Energie des Luftschauers. Ergebnis ist ein Punkt auf einer Himmelskarte. Aber erst viele auf diese Weise produzierten Punkte ergeben schließlich das Bild einer Galaxie oder eines Supernovaüberrests. Gammastrahlung ist nicht thermisch, das heißt, sie wird – anders als sichtbares Licht – nicht in heißen Himmelskörpern wie der Sonne erzeugt. Vielmehr entsteht sie unter außergewöhnlichen physikalischen Bedingungen, wie sie bei Sternexplosionen, in der Nachbarschaft von Schwarzen Löchern oder im Zentrum aktiver Milchstraßensysteme herrschen.

Abb. 2: Als „Lichtfalle“ wirken die 380 runden Einzelspiegel des Teleskops. Im Fokus – am Ende der Metallstruktur rechts – sitzt eine spezielle elektronische Kamera, die Belichtungszeiten von einer hundertmillionstel Sekunde erlaubt.
Foto: HESS-Kollaboration

Das Fischen nach Gammaquanten ist langwierig, weil sie in einer wesentlich niedrigeren Rate auf die Erde prasseln als zum Beispiel optische Photonen. Daher müssen die Teleskope für mehrere Stunden auf ein und denselben Ort am Firmament gerichtet sein – mitunter betragen die Beobachtungszeiten einige tausend Stunden. Um das schwache blaue Leuchten aufzeichnen zu können, wird HESS in mondlosen Nächten betrieben. Pro Nacht können die Astronomen bis zu einem Dutzend unterschiedlicher Objekte anvisieren. Erfassen alle vier Teleskope einen Blitz gleichzeitig, ist eine stereoskopische Beobachtung („Stereoscopic System“) möglich. Dazu bilden die Instrumente – die übrigens wetterfest und durch keinerlei Kuppel oder Gebäude geschützt sind – die Ecken eines Quadrats mit 120 Meter Kantenlänge.

HESS soll die Empfindlichkeit der bisher existierenden Tscherenkow-Teleskope verzehnfachen. Dabei steht die Anlage „im friedlichen Wettbewerb mit anderen ähnlichen Einrichtungen in Australien, in den USA und auf den Kanarischen Inseln“, wie Peter Gruss, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, betont. HESS sei ein schönes Beispiel „effizienter internationaler wissenschaftlicher Arbeit“. Das Konzept für das Projekt entstand im Jahr 1996 am Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik. Die internationale Kooperation wurde im Januar 1998 begründet. Eineinhalb Jahre später stand die Farm Göllschau im Khomas-Hochland von Namibia als Standort fest. Dort begannen im August 2000 die Bauarbeiten. Im Mai 2002 war das erste der vier Teleskope fertig gestellt, das jetzt offiziell eingeweiht wurde. Die übrigen drei befinden sich derzeit noch im „Rohbau“.

Abb. 3: Die namibische Post hat dem HESS-Projekt eine Briefmarke gewidmet.
Foto: HESS-Kollaboration

Auf dem zehn Quadratkilometer großen Gelände, das die Max-Planck-Gesellschaft von einem Farmer gepachtet hat, entstanden neben den Teleskopen ein Kontrollzentrum, Werkstätten sowie ein Wohngebäude für Wissenschaftler und technisches Personal. HESS ist für die Region außerordentlich wichtig: Partner sind unter anderem die Universität Namibia in Windhuk und die Potchefstroom-Universität in Südafrika. Und die namibische Regierung hat sogar eine Briefmarke mit dem Motiv des HESS-Experiments herausgegeben.

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Michael Panter
Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
Tel.: 06221 – 516 – 273
Fax: 06221 – 516 – 603
E-Mail: michael.panter@mpi-hd.mpg.de

Prof. Heinrich J. Völk
Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
Tel.: 06221 – 516 – 295
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E-Mail: heinrich.voelk@mpi-hd.mpg.de

Prof. Werner Hofmann
Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
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