Internationales Forscherteam entdeckt mehr als 130 neue Froscharten auf Madagaskar
Ein Team von Zoologen unter Federführung der Technischen Universität Braunschweig hat nun umfassende Ergebnisse zur Artenvielfalt der madagassischen Amphibien vorgestellt.
Das spektakuläre Ergebnis: Die Entdeckung von mindestens 130, vielleicht sogar mehr als 200 vollkommen neuen Froscharten (PNAS 4.5.09*). Die Erkenntnisse sind für den Natur- und Artenschutz von Bedeutung.
Die Amphibienfauna von Madagaskar, mit heute etwa 250 bekannten und beschriebenen Arten, steht bereits seit 1992 im Mittelpunkt des Interesses deutscher Forscher. „In den letzten 15 Jahren haben wir über 100 neue Froscharten aus Madagaskar entdeckt und wissenschaftlich beschrieben“, erläutert Dr. Frank Glaw, Amphibienspezialist an der Zoologischen Staatssammlung München. „Wir dachten, dass wir damit die meisten Arten kennen. Doch die neue Inventur zeigt, dass dort noch viel mehr Arten leben, als wir bisher vermutet hatten.“ Zum Vergleich: In Deutschland leben gerade einmal 20 bis 22 Arten von Fröschen und Schwanzlurchen.
In einem bislang beispiellos vollständigen Inventarisierungsprojekt sammelten die Forscher in verschiedensten Regionen Madagaskars beinahe 3000 Frösche und deren Kaulquappen und untersuchten diese zunächst mit molekulargenetischen Methoden bezüglich ihrer Erbinformation.
„Die Ergebnisse der genetischen Screenings zeigten uns sehr schnell, welche Tiere sich deutlich von beschriebenen Arten unterscheiden. So konnten wir sehr effizient 'Kandidaten-Arten' für weiterführende Untersuchungen identifizieren“, erklärt Dr. Katharina Wollenberg, die die Laboruntersuchungen an der Technischen Universität Braunschweig leitete.
Als Ergebnis fanden die Forscher eine so große Anzahl neuer Arten, dass sie es selbst zunächst kaum glauben konnten: mindestens 130 neue Arten madagassischer Frösche, die bislang völlig unbekannt waren, und die sowohl genetisch als auch in anderen Merkmalen gut unterscheidbar sind. Dazu kommen noch 90 weitere Kandidaten, die wahrscheinlich auch neue Arten sind, von denen es aber außer ihrer abweichenden DNA-Sequenz bislang keine weiteren Daten gibt. Solch hohe Zahlen auf einen Schlag mag der Experte bei Insekten oder anderen niederen Tieren vermuten – jedoch nicht bei Land lebenden Wirbeltieren wie den Fröschen, auch wenn weltweit jedes Jahr etwa 100 bis 150 neue Amphibienarten hauptsächlich aus tropischen Regionen beschrieben werden.
Prof. Dr. Miguel Vences, in dessen Arbeitsgruppe an der TU Braunschweig die Untersuchungen durchgeführt wurden: „Viele Menschen glauben, dass wir schon längst wissen, welche Tier- und Pflanzenarten auf unserer Erde leben. Dabei hat das Jahrhundert der Entdeckungen gerade erst begonnen – die meisten Arten warten noch darauf, beschrieben und wissenschaftlich benannt zu werden.“
Die Ergebnisse aus Madagaskar, die in der Woche vom 4. Mai in der renommierten Zeitschrift PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA) veröffentlicht werden, sind auch für den Naturschutz von hoher Bedeutung. Viele der neuen Arten sind nur aus sehr kleinen Waldgebieten in Madagaskar bekannt, die bislang nicht unter Schutz stehen, wie das Forscherteam-Mitglied Dr. David Vieites vom naturhistorischen Museum in Madrid durch geographische Analysen fest gestellt hat.
In den letzten Jahren hatte Madagaskar, eines der ärmsten Länder der Welt, vorbildliche Anstrengungen unternommen, seine einzigartige Natur zu schützen. Anfang dieses Jahres jedoch wurde der gewählte Präsident Madagaskars, Marc Ravalomanana, durch einen Militärputsch aus dem Amt vertrieben. Im dadurch entstandenen Machtvakuum ist der Schutz der letzten Regenwälder Madagaskars derzeit nicht gewährleistet – selbst aus Nationalparks wie dem Marojejy-Gebirge im Norden Madagaskars werden großflächige Abholzungen vermeldet. Zudem ist der Ökotourismus, eine wichtige Einnahmequelle für das Land, auf Grund der Unruhen weitgehend eingebrochen, und geschützte Gebiete sind nun wieder steigendem Druck durch Tierschmuggel und Brandrodung ausgesetzt.
Ohne einen strikten Schutz ihrer Lebensräume werden viele der gerade erst entdeckten Froscharten ausgestorben sein, noch bevor sie überhaupt einen wissenschaftlichen Namen bekommen haben. „Es bleibt zu hoffen, dass eine baldige Lösung der gegenwärtigen politischen Konflikte gefunden werden kann, um eine ökonomische und ökologische Katastrophe in Madagaskar zu verhindern“, meint Dr. Jörn Köhler vom Hessischen Landesmuseum Darmstadt.
Vor 150 Jahren veröffentlichte Charles Darwin seine Bahn brechende Theorie zur Entstehung der Arten. Inspiriert hatte ihn seine fünfjährige Weltreise, die ihn in einige der artenreichsten Regionen der Erde führte. Während die Evolutionstheorie seitdem von immer weiteren Befunden untermauert wurde, kam die wissenschaftliche Erfassung der Artenvielfalt jedoch nur langsam in Gang. Etwa zwei Millionen Tierarten sind von Zoologen mittlerweile entdeckt und mit wissenschaftlichen Namen versehen worden. Vermutet wird jedoch, dass noch eine weit größere Zahl von Arten bislang vollkommen unbekannt ist.
o Vieites, D.R., Wollenberg, K. C., Andreone, F., Köhler, J., Glaw, F. & Vences, M.: Vast underestimation of Madagascar's biodiversity evidenced by an integrative amphibian inventory. Proceedings of the National Academy of Science of the USA / PNAS Early Edition. To be published in the week of 4 May 2009.
Kontakt:
Prof. Dr. Miguel Vences
Zoologisches Institut, Evolutionsbiologie
Technische Universität Braunschweig
Spielmannstr. 8, 38106 Braunschweig
Tel.: +49 (0) 531 391 3237
E-Mail: m.vences@tu-braunschweig.de
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