Ritt auf der Plasmawelle
Mit der Teilchenphysik verhält es sich ein bisschen wie mit der Altersvorsorge: Man muss sich heute schon um das kümmern, was in einigen Jahrzehnten geschehen soll. Denn der Bau von Teilchenbeschleunigern ist sehr aufwändig und muss langfristig geplant werden.
Daher haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Physik jetzt schon eine Idee vorgestellt, wie die übernächste Generation von Teilchenbeschleunigern arbeiten könnte – noch ehe der LHC, der derzeit jüngste und größte Beschleuniger weltweit, richtig Fahrt aufgenommen hat. Während im LHC Protonen zusammenprallen, haben die Max-Planck-Wissenschaftler mit Kollegen der Universitäten in Düsseldorf und Novosibirsk ein Konzept vorgeschlagen, um Elektronen zu beschleunigen.
Die Teilchen sollen auf der Sogwelle surfen, die ein Protonenstrahl in einem Plasma erzeugt. Ein solcher Beschleuniger könnte die Erkenntnisse am LHC ergänzen. Wird er nach dem Vorschlag der Max-Planck-Physiker konstruiert, dürfte er deutlich preiswerter sein als ein ähnlich leistungsfähiger Elektronen-Beschleuniger, der mit der gängigen Technik arbeitet. (Nature Physics, Mai 2009; DOI: 10.1038/NPHYS1248)
Wenn Teilchenphysiker vom LHC sprechen, nennen sie ihn manchmal Entdeckungsmaschine. Den International Linear Collider (ILC), einen Elektronen-Positronen-Beschleuniger, den Physiker gerne als nächsten Beschleuniger nach dem LHC bauen möchten, apostrophieren sie dagegen gerne als Präzisionsmaschine. „Diese Einteilung vereinfacht vielleicht ein bisschen, aber ganz falsch ist sie nicht“, sagt Frank Simon, einer der Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Physik in München, die nun den Vorschlag für den neuen Typ eines Elektronen-Positronen-Beschleunigers ausgearbeitet haben.
So setzen die Physiker zwar darauf, dass sie mit den Protonenkollisionen am LHC das Higgs-Teilchen entdecken. Genau beschreiben können sie es aber erst mit einem Beschleuniger, der Elektronen und Positronen mit ähnlicher Energie gegeneinanderjagt. Bei Stößen der punktförmigen Elektronen und Positronen wissen sie genau, wie diese Elementarteilchen aufeinandertreffen. Bei Kollisionen der Protonen ist das anders, weil Protonen viele Elementarteilchen enthalten. „Bei deren Stößen passiert neben der eigentlich interessanten Reaktion noch viel, was die Analyse erschwert“, sagt Allen Caldwell, der die Arbeiten leitete.
Eine Präzisionsmaschine für Elektronen-Positronen-Stöße wäre vermutlich preiswerter zu bauen, wenn sie die Elektronen im Plasmasog eines Protonenstrahls beschleunigen würde. Energien von einigen Teraelektronenvolt möchten die Teilchenphysiker auf diese Weise erreichen. Auf ein Teraelektronenvolt kinetischer Energie bringt es zwar auch ein fliegender Moskito. In einem Proton konzentriert sich diese Energie jedoch auf einem billionenfach kleineren Raum.
Die Forscher um Allen Caldwell schlagen vor, Elektronen hinter einem Protonenstrahl durch ein Plasma zu schießen. Der Protonenstrahl erzeugt in dem Plasma nämlich ein etwa 100 Mal stärkeres elektrisches Feld, als es sich mit der bislang angewendeten Technik erzielen lässt. Daher passieren die Elektronen etwa im ILC sehr viele Segmente, in denen sie auf einem Meter einem Feld von 30 Millionen Volt ausgesetzt sind. An Elektronen, die auf der Plasmawelle eines Protonenstrahls surfen, könnte dagegen ein Feld von einigen Milliarden Volt pro Meter zerren. „Mit unserem Ansatz könnten wir Elektronen auf einigen 100 Metern auf ähnlich hohe Energien beschleunigen, für die der ILC fast 30 Kilometer braucht“, sagt Caldwell.
Das starke Feld erzeugt der Protonenstrahl, weil er fast mit Lichtgeschwindigkeit durch das Plasma rast und auf seinem Weg eine positiv geladene Blase hinter sich her zieht. Ein Plasma besteht aus einer Suppe positiv geladener Atomrümpfe und frei umherfliegender Elektronen. Saust ein Protonenpaket durch es hindurch, saugt es die Elektronen wie ein Staubsauger an. Da sich die Protonen aber fast mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, sind sie schon lange enteilt, wenn die Elektronen ihre Bahn erreichen. Die Elektronen schießen dann über ihr Ziel hinaus, eine positiv geladene Blase öffnet sich, an deren Ende die Elektronen zurückschwappen und dort eine starke negative Ladung erzeugen.
Genau am stark negativ geladenen Ende der Blase möchten die Wissenschaftler ein kleines Paket Elektronen platzieren. Die Elektronen würden dann vor sich die positiv geladene Blase sehen und hinter sich die negativ geladenen Elektronen und wegen des kurzen Abstandes ein sehr starkes elektrisches Feld spüren. Die Kraft dieses Feldes würde die Elektronen dann beschleunigen. Beschleunigung heißt aber nicht, dass die Teilchen schneller würden – ein Paradox, das Frank Simon aber auflösen kann. „Beschleunigung bedeutet hier, dass die Teilchen Energie aufnehmen“, erklärt der Forscher: „Schneller werden sie dabei nicht, weil sie fast schon mit Lichtgeschwindigkeit fliegen.“ Die Energie setzen die Elektronen dann nicht in ein höheres Tempo, sondern in eine größere relativistische Masse um. So erklärt es die spezielle Relativitätstheorie. Demnach trägt die Ruhemasse eines Teilchens nahe der Lichtgeschwindigkeit nur noch einen winzigen Teil zu seiner gesamten Masse bei, den weitaus größten Teil macht die Masse aus, die sie dank ihrer Bewegung mit beinahe Lichtgeschwindigkeit gewinnen.
Doch was ist gewonnen, wenn man erst einmal Protonen so hoch beschleunigen muss, dass sie Elektronen antreiben können? Viel, davon sind Frank Simon und seine Kollegen überzeugt. Zum einen gibt es mit dem LHC schon einen Protonen-Beschleuniger, der die gewünschte Energie schafft, nämlich sieben Teraelektronenvolt. „Wir führen dort auch schon Gespräche, um unser Konzept zu testen“, sagt Allen Caldwell. Zum anderen lassen sich Protonen leichter mit Energie aufladen als Elektronen. Protonen fliegen etwa im LHC so lange auf einer Kreisbahn, bis sie genügend Energie gesammelt haben.
Mit Elektronen geht das nicht, weil sie im Kreisverkehr Strahlung abgeben und so einen großen Teil der gewonnen Energie gleich wieder verlieren. Deshalb sollen Elektronen im ILC auch auf einer 15 Kilometer langen geraden Strecke fliegen, erreichen dabei aber nicht einmal ein 20stel der Energie, mit der Protonen am Ende ihrer Fahrt über die Kreisbahn des LHC jagen. „Elektronen in einem Linearbeschleuniger der gängigen Funktionsweise auf Energien zu bringen, wie sie am LHC erreicht werden, würde mehrere Milliarden Euro kosten“, erklärt Simon. Der Preis eines Beschleunigers hängt nämlich vor allem von seiner Länge ab.
In der Praxis wird das Konzept der Münchner Physik aber auch nicht leicht umzusetzen sein. „Das größte Problem ist, dass sich der Protonenstrahl im LHC über einige Zentimeter ausdehnt“, erklärt Caldwell. Das Paket darf aber nicht länger sein als die Blase, die es erzeugt, also nur einige hundert Mikrometer. „Daher denken wir jetzt über eine Möglichkeit nach, das in die Länge gezogene Protonenpaket zu komprimieren“, sagt Allen Caldwell. Ein Problem, das die Forscher schon bald lösen wollen. Denn schließlich müssen sie schon heute die Probleme angehen, die ein Beschleuniger der übernächsten Generation haben könnte.
[PH]
Originalveröffentlichung:
Allen Caldwell, Konstantin Lotov, Alexander Pukhov und Frank Simon
Proton-driven plasma-wakefield acceleration
Nature Physics, Mai 2009; DOI: 10.1038/NPHYS1248
Weitere Informationen erhalten Sie von:
Prof. Allen Caldwell
Max-Planck-Institut für Physik, München
Tel.: +49 89 32354-529
E-Mail: caldwell@mppmu.mpg.de
Dr. Frank Simon
Max-Planck-Institut für Physik, München
Tel.: +49 89 32354-535
E-Mail: fsimon@mppmu.mpg.de
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