Untersuchungen am Mausmodell liefern erstmals konkrete Hinweise auf menschliche Sprachentwicklung
Mit einem umfangreichen Screening-Programm untersuchten sie ein Mausmodell, das ein humanes Schlüsselgen für die menschliche Sprache trägt. Im Gehirn der Mäuse fanden sich Veränderungen, die in engem Zusammenhang mit der Sprachentwicklung stehen könnten.
Die Untersuchungen sind Bestandteil einer internationalen Studie unter Federführung des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe des renommierten Fachjournals Cell veröffentlicht.
Wissenschaftler der German Mouse Clinic am Helmholtz Zentrum München haben ein Mausmodell untersucht, in welchem Teile des menschlichen Foxp2-Gens eingebaut wurden. Foxp2 ist als Schlüsselgen für die Sprache bekannt und hat sich seit der Trennung der Linien von Mensch und Affe aber auch in Bezug auf die Maus nur minimal verändert: Die Veränderungen, so vermutete man, sind eng mit der Fähigkeit zum Sprechen assoziiert. Ein Beweis auf funktioneller Ebene stand dazu bislang aus.
Die Helmholtz-Wissenschaftler in der German Mouse Clinic untersuchten umfassend, welche Organe ein Gen – in diesem Fall das Foxp2-Gen – beeinflusst. „Selten hat ein Gen wirklich nur eine Funktion“, begründet Prof. Martin Hrabé de Angelis, Leiter der German Mouse Clinic, das Vorgehen. Daher sei ein breiter Untersuchungsansatz, wie ihn die Mausklinik verfolgt, entscheidend. Nur so sei sichergestellt, dass man die relevanten Funktionen, die ein Gen hat, im Phänotyp der Maus auch findet.
In der im Rahmen des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) geförderten Studie prüften die Helmholtz-Wissenschaftler an den Foxp2-Mäusen – wie an jeder Mauslinie, die in der Mausklinik untersucht wird – über 300 Parameter, darunter das Seh- und Hörvermögen, die Knochendichte, wichtige Stoffwechselfunktionen sowie eine Reihe neurologischer Funktionen. Die Mäuse, die das humane Foxp2-Gen tragen, zeigten physiologisch keinerlei Auffälligkeiten. Erst Verhaltenstests erbrachten ein verändertes Erkundungsverhalten sowie eine reduzierte Bewegungsaktivität – beides weist auf veränderte Gehirnfunktionen hin. Weitere Untersuchungen der Leipziger Kollegen bestätigten und verdeutlichten die Funde.
Um die These zu untermauern, betrachteten die Helmholtz-Wissenschaftler in einem zweiten Schritt das heterozygote Knock-out-Mausmodell, dem eine der normalerweise zwei vorhandenen Kopien des Foxp2-Gens fehlt. Dieser Verlust führt zu gravierenden Veränderungen: Die Mäuse hören und lernen schlechter als ihre gesunden Artgenossen, weisen mehr Fett und weniger Muskulatur auf, fressen mehr und verbrauchen mehr Energie. Zudem haben sie veränderte Blutparameter.
„Wir konnten zeigen, dass das Foxp2-Gen signifikante Einflüsse auf verschiedene Organsysteme hat“, erklärt Hrabé de Angelis. Dies stützt zugleich die Vermutung der Leipziger Kollegen, dass gerade die Veränderungen im Gehirn der evolutionäre Schritt waren, die dem Menschen den Vorteil der Sprache gebracht haben. Zugleich zeigt die Beteiligung der Gruppe um Hrabé de Angelis an der Leipziger Studie den Nutzen der Münchner Mausklinik: Nur durch die umfassende und breite Untersuchung können auch die unerwarteten Auswirkungen von Gendefekten erkannt und auf diesem Wege zusätzliche Funktionen bekannter Gene identifiziert werden.
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