Suche nach umweltfreundlichen Piezokeramiken
Piezokeramiken werden heute in einer Vielzahl von technischen Anwendungen auch im Alltag eingesetzt und enthalten bisher einen hohen Blei-Anteil. Richtlinien der EU fordern eine Vermeidung der Verwendung des giftigen Schwermetalls nach dem Stand der Technik.
Mit traditionellen Keramiken aus Tonmineralien, aus denen Menschen seit der Jungsteinzeit durch Brennen formbeständige Gefäße hergestellt haben, haben die heute weit verbreiteten und leistungsfähigen High-Tech-Keramiken kaum noch etwas zu tun. Bei den vor einem halben Jahrhundert erfundenen Piezokeramiken, bei denen der keramische Rohstoff mit metallischen Schichten verbunden wird, fungieren diese Schichten als elektrische Leiter. Die Verwendung dieser Keramiken verzeichnet seither immense Wachstumsraten durch immer neue Anwendungen in praktisch allen Industriezweigen.
„Ein wesentliches Problem bei der Nutzung Piezokeramiken ist ihre Bleihaltigkeit“, konstatiert Prof. Jürgen Rödel vom Fachbereich Material- und Geowissenschaften der TU Darmstadt. „Doch nun haben wir ein Rezept geschrieben, mit dem die weltweite Suche nach neuen bleilosen Piezo-Werkstoffen deutlich schneller vorankommen wird.“
Vielfältige Verwendung der modernen Keramiken
„Piezokeramiken sind intelligente Materialien, die in Mikrosekunden sehr zuverlässig und mit großer Kraftwirkung ihre Größe beziehungsweise Form verändern können“, erläutert Rödel. Im März hat er für seine Forschungen an keramischen Hochleistungswerkstoffen den Wilhelm-Leibniz-Preis überreicht bekommen und erhält damit 1,25 Millionen Euro für den höchstdotierten Wissenschaftspreis in Deutschland.
Piezoelektrische Werkstoffe erzeugen unter mechanischer Belastung ein elektrisches Feld. Umgekehrt kann das Anlegen von elektrischer Spannung diese Materialien verformen. Diese Eigenschaften machen sie so geeignet für zahllose technische Anwendungen als Sensoren oder auch Aktoren. Eine alltägliche Anwendung ist die Verwendung in Piezofeuerzeugen, in denen durch Tastendruck ein Funke erzeugt wird. Der Großteil aller piezoelektrischen Keramiken wird jedoch im Automobilbau (Treibstoffeinspritzung, Sonar für Einparkhilfen), in der Medizin (Ultraschallgeräte) sowie in Mikrophonen, Lautsprechern, U-Bootsonaren und Drucksensoren in Industrie und Forschung verwendet. Piezokeramiken sind auch in den Schwingern von Quarzuhren oder in Ultraschallbädern zu finden, wie sie Optiker zur Reinigung von Brillen benutzen. Ultraschallgetriebene Werkzeuge etwa für die Zahnsteinentfernung oder für feinste Schnitte in der Augenchirurgie sind aus der Medizin nicht mehr wegzudenken.
Kleinste Motoren aus Piezokeramiken wurden ursprünglich in der Spielzeugindustrie verwendet, werden künftig aber auch in der Autoindustrie vermehrt zum Einsatz kommen. „In der Autoindustrie haben Piezoinjektoren seit ihrer Einführung im Jahr 2000 die Kraftstoff-Einspritzung in Dieselmotoren um sieben Prozent effektiver gemacht“, berichtet Rödel. „Bis heute wurden rund 20 Millionen solcher Injektoren in Dieselmotoren eingebaut.“
Ein Rezept für Erfinder
Die Suche nach Ersatzwerkstoffen für das Schwermetall Blei ist spätestens seit den strengeren Blei-Regelungen der EU in vollem Gang, denn durch ihre rasante Verbreitung ist „schon heute ein Recycling der bleihaltigen Piezokeramiken praktisch nicht mehr möglich“, warnt Rödel. „Rund 50 Forschergruppen weltweit suchen deswegen intensiv nach neuen Lösungen. Viele von ihnen sind technologisch sehr versiert, entwickeln aber keine neuen Konzepte für Piezokeramiken.
Rödel und seine Mitarbeiter haben deswegen nun eine Grundlage geschaffen, wie die Suche nach bleifreien Werkstoffen deutlich beschleunigt werden kann. „Wir haben den Forschergruppen quasi ein Rezept an die Hand gegeben, einen Handlungsleitfaden, um neue Materialkombinationen auszuprobieren.“ Denn je nachdem, welche Kombinationen gewählt werden, sind die piezoelektrischen Reaktionen sehr unterschiedlich. „Die Kunst besteht darin, die für eine spezifische Anwendung geeignete Materialmischung zu finden“, gibt Rödel zu bedenken. „Wir zeigen Materialwissenschaftlern, welche chemischen Elemente, Kristallstrukturen und welche chemischen Zusammensetzungen die besten sind. Es ist überraschend, aber bislang gab es so etwas noch nicht.“
Eine Zukunft ohne Blei
Ein Bleiersatz könnte Bismut, auch Wismut genannt, sein, ein vor Jahrhunderten im Erzgebirge nachgewiesenes metallisches Element, das beispielsweise in Gneis und Granit zu finden ist. „Rund 40 Prozent aller Forschergruppen arbeiten an diesem Ersatzstoff, die anderen forschen mit einem Gemisch aus Kalium, Natrium und Niob. Bismut ist ebenfalls ein Schwermetall und manche vermuten, dass es ebenfalls giftig sein könnte. Die Literatur hierzu sagt aber etwas anderes“, betont Rödel.
Erste bleifreie Produkte gibt es bereits unter den Biowerkstoffen. „Sie werden als Sensoren in der Medizin im menschlichen Körper eingesetzt. Aber das bedeutet noch nicht den Durchbruch, weil die Eigenschaften dieser Materialien bislang nur für ein ganz bestimmtes Marktsegment ausreichen. Den Durchbruch werden die Forscher „in bis zu sechs Jahren geschafft haben, oder sie werden es nie schaffen“, glaubt Rödel. Doch pessimistisch ist er nicht: „Es gibt noch eine ganze Reihe erfolgversprechender Materialkombinationen.“
Ansprechpartner:
Prof. Jürgen Rödel, Tel. 06151/16-6315,
E-Mail: roedel_at_ceramics.tu-darmstadt.de
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