Kanonenkugeln hatten hohe Durchschlagskraft

Selbst besonders stark gebaute Schiffsrümpfe schützten kaum vor dem Beschuss mit Kanonenkugeln. Zu diesem Schluss kommen israelische Archäologen der Universität Haifa und Rüstungsingenieure, die ein 1799 versunkenes Schiff im Maßstab 1:2 nachbauten und versuchshalber mit Kanonen beschossen. Dadurch erhielten die Forscher nähere Einblicke in die Kriegsführung zur See.

„Die Geschichte der Seefahrt, des Segelns, der Meeresschlachten wie auch der Schiffskonstruktion sind wesentliche Forschungsgebiete der Unterwasser-Archäologie. Diese Erkenntnisse sind für Bildungszwecke relevant und gehören auch zum Erbe einer Weltkultur“, so der Forschungsleiter Ya'acov Kahanov im pressetext-Interview.

Die Schiffsmodelle gehen auf ein Schiff zurück, das bei der 61-tägigen, vergeblichen Belagerung der befestigten Hafenstadt Akko durch Napoleon versenkt wurde. Das Wrack wurde 1966 wiederentdeckt und stellte wahrscheinlich ein Blockschiff dar, das englische und osmanische Verteidiger in der Hafeneinfahrt versenkt hatten, um somit den Zugang für eindringende französische Schiffen zu sperren. Angesichts des besonders stark gebauten Eichenholz-Rumpfes fragten sich die Archäologen, ob das Schiff den Kanonen jener Zeit gewachsen war. Zur Klärung bauten sie gemeinsam mit der Rüstungsfirma Rafael Advanced Defense Systems fünf Modellrümpfe des Schiffes sowie eine Kanone und Metallkugeln nach und machte die Probe aufs Exempel.

Die Holzrümpfe widerstanden den Kugeln nicht, egal ob der Beschuss mit Geschwindigkeiten von 500 oder bloß mit 100 Meter pro Sekunde erfolgte. Langsamere Kugelgeschwindigkeiten produzierten beim Einschlag besonders viele für die damalige Besatzung gefährliche rasende Holzsplitter, demnach musste der Rumpf bei langsamen Beschuss besonders viel Energie absorbieren.

Die beste Form der Verteidigung eines Holzschiffes in einer Seeschlacht war, stärker als der Feind zu sein. Die hölzernen Kriegsschiffe des 18. und frühen 19. Jahrhunderts waren schwimmende, robuste Plattformen für Geschütze, deshalb waren sie in Sachen Design und Konstruktion speziell auf diesen Zweck hin ausgerichtet. „Man wollte kaum Stärke für Geschwindigkeit oder besondere Manövrierbarkeit opfern“, so Kahanov. Seitlichen Schutz vor Beschuss erhielt ein Schiff durch doppelte Holzverschalungen außen und innen, die selbst direkten Treffern standhalten konnten. „Trotz der Wucht der Kanonenkugeln war es sehr schwer, so ein Schiff zu versenken. Das Risiko einer Zerstörung durch Feuer oder durch eine Explosion im Magazin war viel größer.“

Kanonenkugeln glichen einander zwar in der Form, ihr Gewicht variierte jedoch stark, laut Kahanov von 4 bis 36 Pfund pro Stück. „Kleine Fregatte mit 28 Kanonen verfügten etwa über 100 Kanonenkugeln pro Geschütz. Die noch heute Existierende HMS Victory hatte 104 Kanonen und führte insgesamt 80 Tonnen Munition in den Ladevorrichtungen mit.“ Erzeugt wurden diese relativ unkompliziert hergestellten Kugeln aus Gusseisen in den zahlreichen Schmiedewerkstätten der kriegsführenden Länder. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen Geschosse mit explosiver Mantelung auf, die auch Änderungen im Schiffsbau erforderten. „Mit der Weiterentwicklung der Kanonenkugeln mussten auch die Schiffe mit schmiedeeisernen Platten getäfelt werden“, so der israelische Unterwasser-Archäologe.

Kahanov erkennt einen wesentlichen Unterschied der Kriegstaktik zwischen einander angreifenden Schiffen und der Bombardierung eines befestigten Ortes von See aus. „Wurde eine befestigte Stadt wie etwa Akkon bombardiert, so sollte dies eher die nicht-verteidigende Bevölkerung und ihre Häuser vernichten als die eigentlichen militärischen Verteidiger der Festungen, die sich stets in geschützten Baracken verschanzten. Die Todesfälle und die damit verbundene Verzweiflung sollte die Besatzung zur Kapitulation zwingen.“ Bei Schiffsangriffen seien die Taktik grundlegend anders gewesen. Anhand der Spuren bei den gefundenen Wracks glaubt man heute an verschiedene Strategien bei den einzelnen kriegsführenden Nationen. „Französische Schiffe haben wahrscheinlich hoch geschossen, um Mast und Takelung der Feinde zu zerstören, während britische Schiffe durch tiefe Treffer den Schiffskörper durchschlagen wollten, um die Kanoniere des Feindes zu töten.“

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Johannes Pernsteiner pressetext.austria

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