Integration und Identitätsbewahrung sind kein Widerspruch

Wir erinnern uns – Ende 2007 organisierten sich innerhalb weniger Tage 20.000 Aleviten aus ganz Europa auf der Kölner Domplatte zum Protest gegen einen ARD-Tatort. Wie konnte das einer ethnischen Gruppe mit eher schwachen dezentralen Organisationsstrukturen gelingen?

Die „Verbreitung und Kontextbedingungen transnationaler Migrantenorganisationen in Europa (TRAMO)“ erforscht ein internationales Projekt unter Leitung von Prof. Dr. Ludger Pries (Organisations- und Mitbestimmungsforschung) und stellt dabei fest, Integration und Bewahrung der eigenen kulturellen Identität müssen kein Widerspruch sein.

Spätes Interesse der Forschung an Migrantenorganisationen

Die Selbstorganisation der Migranten in Deutschland ist noch relativ unerforscht. Erst Jahrzehnte nach der Einwanderung der ersten Gastarbeiter wurde diese Fragestellung zum Forschungsthema. Dabei gab es längst Hinweise dafür, dass viele Gruppen nicht nur in Deutschland aktiv sind, sondern auch in den Heimatländern ihrer Mitglieder. Sie arbeiten transnational. Ihre Strukturen und ihr Vorkommen werden derzeit in dem internationalen Projekt (Laufzeit 2007 bis 2010) untersucht. Gefördert von der VolkswagenStiftung nehmen unter Federführung des Bochumer Teams drei weitere Universitäten an dem Projekt teil, um einen internationalen Vergleich zu ermöglichen: die Universitäten Warschau, Oxford und Granada.

Heimatverbundenheit hemmt nicht die Integration

Dabei können die Migrationsforscher gleich mit einem Vorurteil aufräumen: „In Deutschland galt es bislang eher als integrationshemmend, wenn Migranten noch Verbindungen zu ihrem Herkunftsland haben“, sagt Dr. Zeynep Sezgin, Koordinatorin des Projekts in Bochum. Migranten sollen sich entscheiden – für das Land, in das sie einwandern, und damit gegen ihre türkischen, polnischen oder griechischen Wurzeln. Dabei zeigt sich nun, dass transnationale Migrantenorganisationen der Integration durchaus dienen und beiden Seiten Vorteile bringen können. So können etwa deutsche Unternehmen mit Hilfe von Migrantenorganisationen gute Kontakte ins Ausland knüpfen. Und wie das Beispiel der Aleviten zeigt, können die Organisationen auch aus der Ferne etwas für ihre Heimat tun, zum Beispiel im Hinblick auf Demokratisierungsprozesse.

Über 3.000 Migrantenorganisationen in deutschen Großstädten

Das Team startete zunächst mit einer Bestandsaufnahme in Deutschland. Mit Hilfe verschiedener Vereinsregister, Nachfragen bei Ausländerbeiräten, Behörden und Integrationsbeauftragten erstellten die Forscher die derzeit umfangreichste Liste von Migrantenorganisationen in 75 kreisfreien Großstädten. Allein dort registrierten sie 3.480 Gruppen, rund ein Drittel von ihnen in Nordrhein-Westfalen. Mehr als ein Viertel (28%) der Gruppen sind türkisch, gefolgt von anderen europäischen Ländern wie Spanien oder Portugal (22%) und Afrika (11%). Doch diese „Liste“ war für das Bochumer Team nur der erste Schritt; für eine genauere Analyse begrenzten die TRAMO-Forscher ihre Auswahl auf je vier polnische und türkische Migrantenorganisationen mit religiösen und/oder politischen Motiven. Die acht Organisationen werden derzeit hinsichtlich ihrer Transnationalität analysiert. Dafür untersuchen sie Schriften, Pressemitteilungen und Satzungen der Organisationen, interviewen Experten auf diesem Forschungsfeld, nehmen an offiziellen Veranstaltungen und Aktionen teil. Die Ergebnisse sollen Herbst dieses Jahres vorliegen.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Ludger Pries, Dr. Zeynep Sezgin, Lehrstuhl Organisations- und Mitbestimmungsforschung der Ruhr-Universität, 44780 Bochum, Tel.: 0234/32-25429 bzw. – 22796, E-Mail: ludger.pries@ruhr-uni-bochum.de, zeynep.sezgin@ruhr-uni-bochum.de, Internet: http://www.rub.de/tramo, Ausführlicher Beitrag in RUBIN, dem Wissenschaftsmagazin der RUB: http://www.rub.de/rubin

Redaktion: Dr. Barbara Kruse

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Dr. Josef König idw

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