Bonner Wissenschaftler basteln an Stauprognose-Systemen

Aus der Verkehrs-Fieberkurve möchten Wissenschaftler aus Bonn und Duisburg (im Bild: Dr. Volker Jentsch) Voraussagen über künftige Staus treffen.


„Hier eine Warnung an alle Autofahrer: Auf der A565 in Höhe der Ausfahrt Bonn-Nord wird in 45 Minuten ein Stau erwartet, der sich gegen 10 Uhr 15 auflösen wird. Bitte beachten Sie die Ausweichbeschilderung….“ Noch wäre die Treffergenauigkeit derartiger Prognosen gering. Wissenschaftler der Universitäten Bonn und Duisburg arbeiten aber an mathematischen Modellen, mit denen sie genauer vorhersagen wollen, wann und wo der Verkehr stockt. Sie durchsuchen dazu die NRW-Verkehrsmesswerte der letzten zwei Jahre nach Gesetzmäßigkeiten, die sie in ein Prognose-Programm ummünzen können.

Manchmal behalten die Stauforscher Recht. Verkehrs-Experten hatten Frankreichs Autofahrern für den ersten Samstag im August den „schwärzesten Tag des Jahres“ prognostiziert. Und tatsächlich: Die heranbrandende Reisewelle bescherte unseren Nachbarn in diesem Jahr einen neuen Rekord. Auf Autobahnen und Nationalstraßen ging nichts mehr; die Länge der Blechkarawane summierte sich zu über 700 Kilometern. „Doch wann und wo genau der Verkehr stocken wird, kann heute noch niemand vorhersehen“, sagt Dr. Volker Jentsch vom Bonner Institut für Angewandte Mathematik. „Selbst die ernsthafteren Modelle versprechen da mehr, als sie halten können.“

Eine Stauprognose funktioniert nämlich nicht wie eine einfache Rechengleichung – so nach dem Motto: Wenn viele Fahrzeuge unterwegs sind, die Straße naß ist und weiter vorne eine Baustelle, heißt es zwangsläufig „Stop and Go“, und wenn nicht, fließt der Verkehr ohne Probleme. Ein Stau kann auch aus dem Nichts entstehen: Wenn auf der Autobahn ohnehin schon viel los ist und dann noch irgendein Fahrer zu kräftig in die Eisen steigt, zum Beispiel.

Dennoch hoffen die Bonner Mathematiker, Staus zukünftig besser vorhersagen zu können. „Ob es klappt, ist nicht sicher“, erklärt Dr. Jentsch, „aber die Datenlage ist gut, und damit haben wir zumindest eine Chance.“ Seit Jahren registrieren nämlich die Straßenbau-Behörden an zahllosen automatisierten Messpunkten das Verkehrsaufkommen auf deutschen Wegen. Die – mit öffentlichen Geldern finanzierten – Ergebnisse hüten sie normalerweise wie einen Schatz. Die Stauforscher um den Bonner Mathematiker Professor Dr. Sergio Albeverio und den Duisburger Verkehrsexperten Professor Dr. Michael Schreckenberg dürfen nun mit den nordrhein-westfälischen Daten der letzten zwei Jahre arbeiten. „Dadurch wurde unser Projekt überhaupt erst möglich“, erklärt Dr. Jentsch.

Auf meterlangen Diagrammen hat er die Fahrzeugdichte für verschiedene Zählpunkte ausgedruckt. Sie sehen aus wie die Fieberkurve eines Malariakranken: Phasen mit dichtem Verkehr – zum Beispiel zur Rush Hour – wechseln ziemlich regelmäßig mit Zeiten, zu denen weniger los ist. Manchmal jedoch schlägt die Kurve plötzlich nach oben aus: das Signal für einen Stau. Diese Peaks sind viel unregelmäßiger verteilt: „Manchmal stockte an diesem Messpunkt der Verkehr an drei aufeinanderfolgenden Tagen“, erklärt der Wissenschaftler. „Dann blieb es wieder ein paar Tage ruhig.“

Ziel der Projektpartner: Auf Grundlage der Informationen von den verschiedenen Messpunkten zu folgern, wo in Kürze – in einer halben Stunde oder einer Stunde – der Stillstand droht. Einige Gesetzmäßigkeiten kennen Verkehrsforscher schon: Beispielsweise, dass sich Staus mit etwa 15 Stundenkilometern entgegen der Fahrtrichtung fortpflanzen – mitunter über Dutzende von Kilometern. Manchmal löst sich das Blechgerinsel aber schon nach einigen Minuten auf, warum, ist unbekannt. Seit einem knappen halben Jahr versuchen die Projektpartner, aus den Unregelmäßigkeiten im Datenwust Regelmäßigkeiten herauszufiltern, um sie dann in ein Vorhersagemodell umzumünzen. Ließe sich der automobile Stillstand treffsicher prognostizieren, könnte man ihn vielleicht im Vorfeld durch eine Geschwindigkeitsbegrenzung oder eine automatische Ausweichbeschilderung verhindern.

„Es geht uns aber auch noch um ganz andere Dinge“, betont Dr. Jentsch. „Mit den mathematischen Methoden, die wir hier entwickeln, sollten wir auch andere Extremereignisse vorhersagen können.“ Zum Beispiel Turbulenzen auf den Aktienmärkten. „Oder auch Hochwasser-Katastrophen wie die Elbe-Flut.“


Ansprechpartner:
Dr. Volker Jentsch
Interdisziplinäres Zentrum für Komplexe Systeme der Universität Bonn
Telefon: 0228/73-4304
E-Mail: jentsch@uni-bonn.de

Media Contact

Frank Luerweg idw

Weitere Informationen:

http://www.izks.uni-bonn.de/

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