Neue Wirkmechanismen gegen Grippe- und andere Viren
Herbst und Winter stehen vor der Tür. Damit rücken auch die Erreger von Atemwegserkrankungen und ihre Bekämpfung wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.
„Neben unangenehmen Schnupfenviren sind es vor allem die aggressiveren viralen Erreger des Respirationstraktes wie das 2002 neu aufgetretene SARS-assoziierte Coronavirus oder die aktuellen H1N1-Influenza-Viren, die die Forschung in Trab halten“, berichtete der Koordinator des FluResearchNet Prof. Dr. Stephan Ludwig zum Auftakt des Internationalen Workshops „Neue Strategien zur Bekämpfung respiratorischer Viruserkrankungen“, der am 12. Oktober 2009 in Berlin begann. Ein großes Problem seien insbesondere zunehmende Resistenzen der Erreger auf die – ohnehin nicht sehr zahlreichen – verfügbaren Medikamente.
Die aktuelle Situation der Bedrohung durch die neuen H1N1-Grippeviren macht sehr deutlich, dass Impfungen als Maßnahme alleine nicht ausreichen können, da die Forschung mit der Impfstoffentwicklung immer nur zeitversetzt auf neue Erreger reagieren kann. Der Fokus des Internationalen Workshops liegt deshalb auf der Erkundung neuer Wirkmechanismen und der Entwicklung innovativer Wirkstoffe.
Neue Wirkstoffe, die im Rahmen des Workshops vorgestellt werden, zielen beispielsweise nicht auf das Virus selbst, sondern auf Faktoren in der infizierten Zelle. So befindet sich im Entwicklungsprogramm eines pharmazeutischen Unternehmens eine Substanz, die in der Zelle gezielt den NF-kappa B-Signalweg angreift, von dessen Aktivität Grippeviren abhängig sind. Mit diesem Wirkstoff kann die Ausbildung von Resistenzen eingedämmt werden, da das Virus die ausgeschaltete zelluläre Funktion nicht ersetzen kann. Präklinische Daten im Tiermodell sind sehr erfolgversprechend.
Die Wissenschaftler diskutieren auch die Verwendung von Naturprodukten als Behandlungsalternative. In randomisierten, Placebo-kontrollierten Studien prüfen Forscher derzeit die Wirksamkeit eines pflanzlichen Extraktes aus der Cistrose bei Infektionserkrankungen der Atemwege. Das antivirale Potenzial dieses Wirkstoffes geht einher mit einem sehr geringen Nebenwirkungsrisiko dieser seit Jahrhunderten in der traditionellen Medizin verwendeten Extrakte. Dieser Forschungsansatz könnte daher insbesondere eine erste Option zur Prophylaxe von respiratorischen Infektionskrankheiten darstellen.
Gastgeber des Internationalen Workshops ist die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen. Gemeinsam mit dem wissenschaftlichen Komitee, das aus Vertretern des bundesweiten Influenza-Forschungsverbundes FluResearchNet besteht, hat sie den Workshop als interdisziplinäres Diskussionsforum für Wissenschaftler, internationale Gremien und die Industrie konzipiert. Damit trägt die Veranstaltung zu einer Sensibilisierung für die Problematik der viralen respiratorischen Infektionskrankheiten bei.
Vorträge von Vertretern der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Europäischen Kommission machen die gesundheitspolitische Dimension dieser Erkrankungen deutlich. Beiträge von chinesischen Wissenschaftlern, die sich auf Einladung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Deutsch-Chinesischen Jahres der Wissenschaft und Bildung 2009/2010 in Deutschland aufhalten, unterstreichen den internationalen Charakter des Workshops und die Notwendigkeit der globalen Zusammenarbeit, da Infektionserreger an nationalen Grenzen nicht stoppen.
Kontakt:
Prof. Dr. Stephan Ludwig
Institut für Molekulare Virologie (IMV)
Westfälische-Wilhems-Universität Münster
Von-Esmarch-Straße 56
48149 Münster
Telefon: 0251 – 83 57 791
E-Mail: ludwigs@uni-muenster.de
Hintergrund: Influenza-Virus H1N1 und Resistenzen
Die Influenza ist nach wie vor eine weltweite Seuche mit pandemischem Potenzial. Dies ist durch das jüngste Auftauchen eines vollkommen neuen Influenza-Virus beim Menschen mit dem Subtyp H1N1 wieder besonders deutlich geworden. Das Virus der Neuen H1N1 Grippe (Swine-Origin Influenza virus, S-OIV) ist erstmals im März und April 2009 in Mexiko aufgetreten und hat dort zu einer großen Zahl an Erkrankungen und auch zu Todesfällen geführt. Am 11. Juni 2009 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO das Bedrohungsszenario auf die höchste Stufe des Pandemie-Warnplanes gesetzt und damit die Pandemiephase ausgelöst. Seither hat sich das Virus weltweit ausgebreitet. Aktuell sind mindestens 4.248 Todesfälle (Stand: 02.10.09) gemeldet. Bislang verliefen die Infektionen in Deutschland vergleichsweise mild. Allerdings ist in den Herbst- und Wintermonaten mit einer zweiten Welle von Infektionen mit aggressiveren Varianten in der nördlichen Hemisphäre zu rechnen.
Das verfügbare Arsenal an antiviralen Medikamenten ist gering. Beispielsweise sind die neuen H1N1-Grippeviren bereits vollständig resistent gegen Amantadin, eines der beiden Medikamente, die derzeit klinisch zugelassen sind. Glücklicherweise kann man gegen diese Viren noch mit Neurminidase-Inhibitoren wie Tamiflu vorgehen, allerdings zeichnen sich auch hier bereits Resistenzrisiken ab. So sind die saisonalen H1N1-Grippeviren in der nördliche Hemisphäre gegen Tamiflu bereits flächendeckend resistent. Insbesondere eine prophylaktische Einnahme des Medikaments leistet der Resistenzbildung Vorschub, sodass die WHO empfiehlt, das Mittel nur bei schweren Fällen therapeutisch einzusetzen.
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