Nach Glasnost lichten sich die Wolken

Politische Wende beschert Klimaforschern ein „Großexperiment“

Seit dem Ende des Kalten Kriegs steigen die Temperaturen in Mitteleuropa noch rascher: So kann man zusammenfassen, was Prof. Hartmut Graßl, Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie, und Dr. Olaf Krüger vom Meteorologischen Institut der Universität Hamburg jüngst aus einer fast zwanzigjährigen Satelliten-Messreihe herausgefiltert und in der Zeitschrift Geophysical Research Letters (10. Oktober 2002) veröffentlicht haben.

Die Wissenschaftler selbst sprechen von einem „Gorbatschow-Effekt“ – den Graßl so umreißt: „Nach 1989 sind die Wolken über Mitteleuropa, vom Weltraum aus gesehen, dunkler geworden. Das bedeutet, sie streuen nicht mehr so viel Sonnenlicht wie früher in den Weltraum zurück, sondern lassen vermehrt Strahlung zum Erdboden durch. Und deshalb wird es jetzt unter den Wolken wärmer.“ Diese Änderung der Rückstreufähigkeit der Wolken ist Folge der umweltpolitischen Säuberungswelle, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in der DDR, in Tschechien und Polen anlief: In jener Region, vordem als „Schwarzes Dreieck“ berüchtigt, wurden nach der Wende unzählige Industrieanlagen und Kraftwerke stillgelegt oder saniert, die bis dahin als sprichwörtliche Dreckschleudern gewaltige Mengen an Schadstoffen in die untere Atmosphäre gepumpt hatten.

Dieses „Großreinemachen“ erweist sich nun, nach mehr als einem Jahrzehnt, als eine Art Großversuch zu einem bislang nur theoretisch fassbaren, dabei aber hochaktuellen Problem der Klimaforschung – und zwar zum so genannten indirekten Aerosol-Effekt. Als Aerosole bezeichnet man feine Tröpfchen oder feste Teilchen mit Durchmessern zwischen einem hundertstel und einem zehntausendstel Millimeter, die in der Luft schweben und sich so einige Stunden, aber auch bis zu mehreren Wochen in der Atmosphäre halten und verteilen. Diese Schwebeteilchen beeinflussen den Strahlungshaushalt und damit das Klima in Bodennähe auf zweierlei Weise: zum einen direkt, indem sie Licht, aber auch Wärmestrahlung streuen oder absorbieren, und zum anderen indirekt, indem sie auf die Bildung von Wolken, auf deren optische Eigenschaften und Lebensdauer einwirken.

Vor allem der zweite, also der indirekte Aerosol-Effekt, macht die winzigen Schwebeteilchen zu einem gewichtigen Faktor im Klimasystem – zugleich aber zu einem Unsicherheitsfaktor in Klimamodellen, da sich der Einfluss der Aerosole auf die Wolken bislang nur anhand theoretischer Berechnungen abschätzen lässt.

Das liegt zunächst daran, dass am indirekten Aerosol-Effekt zwei konkurrierende Mechanismen beteiligt sind. So wirken Aerosole oberhalb einer gewissen Größe einerseits als Kondensationskeime für Wasserdampf und bestimmen dabei sowohl die Zahl als auch die Größe der gebildeten Wassertröpfchen; je mehr Aerosole sie enthält, um so mehr und um so kleinere Tröpfchen entstehen in einer Wolke – was wiederum deren Rückstrahlvermögen erhöht: Die Wolke streut dann mehr Sonnenlicht zurück in den Weltraum, und am Erdboden wird es kühler. Andererseits wirken Aerosole – insbesondere solche, die aus dunklen Ruß- oder Aschepartikeln entstehen – auch als Strahlenfallen. Sie absorbieren Licht und heizen dadurch die Wolken auf. Das kann so weit gehen, dass rußgeschwängerte Wolken regelrecht weggekocht werden und sich auflösen.

Zu diesem schwer kalkulierbaren Doppelspiel kommt noch, dass sich der Aerosol-Mix der unteren Atmosphäre aus zahlreichen Quellen speist: sowohl aus natürlichen, wie etwa aus der Salzgischt der Ozeane, aus Vegetationsbränden oder Vulkanen, als auch aus anthropogenen Emissionen von Industrie, Hausbrand oder Verkehr. Dementsprechend schwanken Art und Konzentration der Aerosole räumlich wie zeitlich innerhalb weiter Bereiche – und auch deshalb lässt sich der indirekte Aerosol-Effekt in Klimamodellen bislang nur global und pauschal veranschlagen: So gehen die Wissenschaftler derzeit davon aus, dass er insgesamt kühlend wirkt und den Strahlungsfluss in die untere Atmosphäre global um bis zu zwei Watt pro Quadratmeter mindert. Damit würde er dem zusätzlichen, anthropogenen Treibhauseffekt – den man gegenwärtig mit einem um 2,5 bis 3 Watt pro Quadratmeter erhöhten Strahlungsfluss veranschlagt – entgegen wirken und ihn deutlich bremsen.

Wirklich sicher sind sich die Forscher über das Ausmaß dieser Bremswirkung allerdings nicht. Deshalb weisen Klimamodelle, was den Anstieg der mittleren Temperatur auf der Erde in den nächsten Jahrzehnten angeht, noch immer einen erheblichen Spielraum auf. Und deshalb kamen Graßl und Krüger auf den Gedanken, die Auswirkungen der Wende auf die Wolken über Mitteleuropa anhand eines Vorher/Nachher-Vergleichs zu untersuchen – in der Hoffnung, auf diese Weise erstmals konkrete, das heißt auf Messungen basierende Zahlen über den Einfluss des indirekten Aerosol-Effekts auf den Strahlungshaushalt am Erdboden zu gewinnen.

Diese Hoffnung gründete auf der Tatsache, dass mit den massiven Industrie-Emissionen, die bis 1989 aus dem „Schwarzen Dreieck“ in den Himmel quollen, auch erhebliche Mengen an so genannten Vorläufergasen in die Atmosphäre gelangten: an Schwefeldioxid und Stickoxiden, aus denen über chemische Reaktionen in der Luft Aerosole entstehen. Dazu kam als weitere ergiebige Aerosolquelle noch ein beträchtlicher Ausstoß an kohlenstoffhaltigen Ruß- oder Ascheteilchen. Die Menge dieser „Aerosolsaaten“ sank nach der Wende binnen weniger Jahre drastisch ab – allen voran die Emission von Schwefeldioxid, dem mengenmäßig bedeutendsten Vorläufergas: Sie fiel zwischen 1988 und 1998 – bezogen auf Gesamteuropa – fast auf die Hälfte.

Diese sprunghafte Drosselung anthropogener Aerosolquellen, so vermuteten Graßl und Krüger, sollte sich über den indirekten Aerosol-Effekt auch auf die Wolken über Mitteleuropa ausgewirkt haben. Um das festzustellen, zogen die Hamburger Klimaforscher Messdaten mehrerer amerikanischer Satelliten heran, die mittels empfindlicher Spektrometer das Reflexionsvermögen der Wolken auch über Mitteleuropa über Jahre hinweg erfasst hatten. Diese Daten lieferten zwei Langzeit-Messreihen, von denen die eine den Zeitraum von 1985 bis 1989, die andere die Jahre 1996 bis 1999 überdeckte. Und diese beiden Messreihen wurden dann – jeweils gesondert für winterliche und sommerliche Perioden – hinsichtlich der Rückstrahlkraft der Wolken analysiert und verglichen.

Der Blick aus dem Weltraum, vermittelt über die Satelliten, lieferte erstmals differenzierte Einblicke in das komplizierte Wechselspiel zwischen Aerosolen und Wolken. Er offenbarte ein in Bezug auf die von oben gemessene „Strahlkraft“ der Wolken sowohl räumlich als auch zeitlich hoch variables Muster. So zeichneten sich Emissionszentren wie städtische Ballungsräume oder Industrieregionen während der Wintermonate generell durch ein deutlich vermindertes Rückstrahlvermögen aus – eine Folge der vermehrten Ruß- und Aschepartikel, die das einfallende Licht in Wolken absorbieren. Im Sommer hingegen traten Emissionszentren durch verstärkte Rückstrahlung hervor, bedingt durch den dann überwiegenden „Tröpfcheneffekt“, das heißt durch die Bildung von immer mehr und immer kleineren Wassertröpfchen innerhalb der Wolken.

Diese und andere Detailbefunde belegten zunächst grundsätzlich, dass in den Wolken über Mitteleuropa der indirekte Aerosol-Effekt tatsächlich wirksam ist. Außerdem aber offenbarte sich im Vorher-/Nachher-Vergleich der beiden Messreihen, was Graßl und Krüger vermutet hatten – der „Gorbatschow-Effekt“: Im Mittel ist das Rückstrahlvermögen der Wolken über Mitteleuropa in den Jahren nach 1989 um 2,8 Prozent gesunken, und dementsprechend hat sich der Strahlungsfluss auf diese Region um etwa 1,5 Watt pro Quadratmeter verstärkt.

Das heißt, dass der ehedem durch die Aerosole aus den Industrie-Emissionen des „Schwarzen Dreiecks“ gebremste, anthropogene Treibhauseffekt jetzt stärker auf Mitteleuropa durchschlägt. Oder anders ausgedrückt: dass der politische Klimawandel dem anthropogen bedingten Klimawandel freie Bahn geschaffen hat.

Für Graßl bedeutete dieser Befund keine Überraschung. Denn als Spezialist für Aerosole hat er schon vor gut zwei Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass Maßnahmen zur Luftreinhaltung derart „perverse“ Folge haben können. Damit war er damals auf erhebliche Vorbehalte und auch Kritik gestoßen. Nun, da er sich bestätigt sieht, meint er: „Nur wer alle Ursachen der Klimaänderungen gemeinsam anpackt, nämlich Emissionsminderungen durchsetzt, beim langlebigen Kohlendioxid und den kurzlebigen Gasen wie Schwefeldioxid sowie beim Ruß, dämpft den raschen Klimawandel ohne erneute Schräglage.“

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Weitere Informationen erhalten Sie von:

Prof. Hartmut Graßl
Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg
Tel.: 040 – 41173 – 226
Fax: 040 – 41173 – 350
E-Mail: office.grassl@dkrz.de
Dr. Olaf Krüger
Meteorlogisches Institut der Universität Hamburg
Tel.: 040 – 41173 – 348
Fax: 040 – 41173 – 350
E-Mail: olaf.krueger@dkrz.de

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