Private Alterssicherung unter der Lupe – Chemnitzer Wissenschaftler untersucht Bankenversprechen
Die Angebote der Banken zur Alterssicherung halten nicht, was sie versprechen. Viele Kunden täuschen sich deshalb über die Vorteile. Das ist jedenfalls die Meinung des Banken-Experten Prof. Friedrich Thiessen von der Chemnitzer Uni. Der Wissenschaftler hat, so das Fachwort, die „Altersvorsorgeprodukte“ von 17 deutschen Banken untersucht. Sein ernüchterndes Fazit: „Damit die Leute tatsächlich so abgesichert sind, wie die Anbieter es in ihren Prospekten behaupten, müssten die Sparbeiträge doppelt bis dreimal so hoch sein.“ Nimmt man die jeweils besten Angaben aus den Verkaufsprospekten und kombiniert sie miteinander, so müsste aus nicht einmal 7000 Mark, die bei der Geburt eines Kindes eingezahlt werden, ab dem 65. Lebensjahr eine Rente von satten 114.000 Mark im Monat werden, bei Erhalt des zu diesem Zeitraum angesammelten Rentenvermögens von 11 Millionen Mark immerhin noch 87.000 Mark im Monat. „Ein absurder Gedanke“, wie Thiessen findet. Er wirft den Banken vor, in ihren schönen Prospekten die Inflationsrate, aber auch Steuern und Kosten außer acht zu lassen.
Mit 20 oder 30 Jahren denken viele Menschen noch nicht daran – an ihre spätere Rente. Doch spätestens, wenn „er“ nicht mehr so oft kann und „sie“ Hitzewallungen bekommt, wird die Alterssicherung zum Thema. Auch wenn uns Politiker immer wieder versichern, unsere Renten seien sicher – sie sind es nicht (außer vielleicht für die besagten Politiker). Die Beiträge für die Rentenversicherung, die den Arbeitnehmern heute abgezogen werden, wandern nämlich nicht auf die hohe Kante, sondern werden gleich an die Rentner ausgezahlt. Deren Anteil an der Bevölkerung steigt – weil die Lebenserwartung größer wird und weil die Deutschen immer weniger Kinder bekommen. Diese wenigen Kinder aber müssen in den kommenden Jahren mit ihren Beiträgen für die Rente der Arbeitnehmer von heute aufkommen: Eine Versorgungslücke tut sich auf.
In diese Bresche springen neben den Lebensversicherungen auch viele Banken. In bunten Prospekten versprechen sie ihren Kunden, dass die „im Alter auf nichts verzichten“ müssen, ihren „angenehmen Lebensstandard aufrecht erhalten“ und „verreisen“ können und sogar noch „Geld für die Reparatur des Hauses“ übrig bleibt.
Jetzt hat der Bankenexperte Prof. Friedrich Thiessen von der Chemnitzer Uni diese Versprechen unter die Lupe genommen. Er und seine Mitarbeiter untersuchten dazu die Verkaufsprospekte von insgesamt 17 Banken.
Alterssparpläne funktionieren alle nach dem gleichen Schema. In einer Ansparphase zahlen die Sparer Geld ein, entweder einmalig einen größeren Betrag oder fortlaufend (meist monatlich) eine bestimmte Summe. Dieses Geld wird bis zum Beginn der Entnahmephase verzinst und bildet das Rentenkapital, aus dem eine monatliche Rente ausgezahlt wird. Das jeweils verbleibende Restkapital wird ebenfalls verzinst.
Das Problem dabei: Alles gesparte Geld verliert durch die Inflation langsam an Wert. In den vergangenen vierzig Jahren schwankte diese schleichende Geldentwertung im Schnitt um die drei Prozent, mit abnehmender Tendenz. Im ersten Quartal 2000 lag sie noch unter einem Prozent, doch wurden im Dezember 1999, hochgerechnet aufs Jahr, immerhin 3,7 Prozent erreicht. Wie sich die gegenwärtig stark gestiegenen Benzin- und Heizölpreise auf die neuesten Zahlen auswirken werden, bleibt abzuwarten. Immerhin strebt die Europäische Zentralbank an, die Inflationsrate unter zwei Prozent zu halten – ein Wert, den Thiessen bei allen seinen Berechnungen benutzt.
Doch diese auf den ersten Blick gering erscheinende Zahl hat es in sich. Wer zum Beispiel 30 Jahre lang jeden Monat 100 Mark für sein Alter zurücklegt, bekommt für seine letzte Rate nur noch etwa halb soviel Waren, wie er mit der Anfangsrate kaufen konnte – durch den Verlust an Kaufkraft sind seine 100 Mark in Wirklichkeit nur noch 55 Mark wert. Bei der Auszahlung, beim Rentenkapital und bei den Zinsen sieht es genau so aus: Wer etwa eine gleichbleibende Rente von 1000 Mark bekommt, kann damit nach 20 Jahren nur noch für 667 Mark einkaufen.
Bei den Zinssätzen muss die Geldentwertungsrate natürlich ebenfalls abgezogen werden. Die Wirtschaftswissenschaftler sprechen deshalb vom Nominal- und vom Realzins. Beispiel: Das eingezahlte Geld wird zwar mit sieben Prozent verzinst, nach Abzug einer Inflationsrate von zwei Prozent bleibt aber nur eine Realverzinsung von fünf Prozent übrig – und von der gehen oft noch Kosten ab, denn die Bank möchte natürlich auch noch für ihre Arbeit bezahlt werden. „Alle Prospekte, die wir untersucht haben, rechnen aber ausschließlich mit Nominalzinsen“, wundert sich Thiessen.
Thiessen macht das an einem Beispiel deutlich: Ein 30-Jähriger, der jeden Monat 150 Mark auf die hohe Kante legt, bekommt zwar vom 65. bis zum 90. Lebensjahr (danach ist das Kapital verbraucht) eine zusätzliche Rente von 2000 Mark im Monat, doch die sind dann nach heutiger Kaufkraft nur noch 1000 Mark wert – zu wenig für eine ordentliche Altersabsicherung. Um bei Beginn der Rente tatsächlich über 2000 Mark an heutiger Kaufkraft zu verfügen, müsste er mithin rund 300 Mark im Monat sparen. Und auch das ist noch nicht die ganze Wahrheit, geht die Rechnung doch davon aus, dass das eingezahlte Kapital in der Ansparphase mit acht Prozent und in der Entnahmephase mit sechs Prozent verzinst wird. Ob die durchgängig erreichbar sind, steht in den Sternen. Steuern und Kosten sind ebenfalls nicht berücksichtigt. Dazu kommt, dass die Berechnungen auf den Sterbetafeln von heute beruhen. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass die durchschnittliche Lebenserwartung für die heutigen Sparer noch einmal um fünf bis sieben Jahre steigt.
Und noch ein Problem ergibt sich: Ein Rentnerhaushalt hat ganz andere Bedürfnisse und kauft daher ganz andere Produkte als etwa ein Haushalt mit jungen Leuten. Die aber – etwa eine private Krankenversicherung oder Kosten für Medikamente – haben womöglich Preissteigerungsraten, die von den normalen ganz erheblich abweichen. Genau weiß man das nicht, weil hierzu bisher kaum verlässliche Daten vorliegen. Wie auch immer – jemand, der mit 30 Jahren fünftausend Mark im Monat verdient und im Alter vierzig Prozent seines Einkommens über eine Zusatzrente abdecken will, die zudem noch real, also ohne Kaufkraftverluste, um ein Prozent pro Jahr steigen soll, der muss jeden Monat 450 Mark zurücklegen, und nicht 150 Mark, wie es manche Bankprospekte vorgaukeln – immer vorausgesetzt, sein Geld wird tatsächlich mit acht Prozent verzinst und die Inflationsrate verharrt bei 2 Prozent. Sinkt der Ansparzins auf sechs Prozent – was so unrealistisch nicht ist -, muss der 30-Jährige gar 671 Mark im Monat sparen.
Eine weitere Schwäche der Bankenprospekte: Sie sind untereinander nicht vergleichbar. Die Ansparzinsen schwanken zwischen 7 und 12 Prozent, die Entsparzinsen zwischen 5 und 10. Auch der Rentenbeginn, die Anspardauer und die Entnahmedauer unterscheiden sich stark. Zudem gibt es Rentenpläne, bei denen das Kapital im Laufe der Jahre verzehrt wird, bei anderen dagegen bleibt es für die Erben erhalten. Wegen all dieser Punkte ist es für den Laien noch schwieriger, die Vor- und Nachteile einzelner Lösungen zu erkennen.
Thiessen macht aber eine interessante Modellrechnung auf: Ließen sich die jeweils besten Bedingungen aller Banken tatsächlich erreichen (als 12 Prozent Zins in der Anspar-, 10 Prozent in der Entsparphase, Anspardauer 65 Jahre, Rentendauer 15 Jahre mit Kapitalverzehr, keine Steuern, keine Kosten), so könnten die Eltern bei der Geburt eines Kindes einmalig rund 7000 Mark einzahlen. Das bekäme dann mit 65 Jahren eine solide Monatsrente von sage und schreibe 114.000 Mark. Gibt es sich mit – auch nicht gerade üblen – 87.000 Mark im Monat zufrieden, bliebe sogar das Rentenvermögen erhalten: Die Erben könnten sich über rund 11 Millionen Mark freuen. „Das Beispiel macht deutlich, wie absurd die Prospekte sind“, so Thiessen.
Doch warum informieren die Banken ihre Kundschaft derart unzureichend über die Schwächen ihrer Alterssicherungsprogramme? Thiessen nimmt an, dass sie das Inflationsproblem gezielt benutzen, um ihre Alterssicherungspläne zu schönen. Als Grund vermutet er den scharfen Wettbewerb zwischen den einzelnen Banken. Dieses Verhalten werde ihnen besonders leicht gemacht, da der durchschnittliche Sparer nicht in der Lage sei, die Feinheiten einer Inflation zu durchschauen, zumal die jüngere Generation mit diesem keinerlei Erfahrung habe. Unseren Altvorderen ging es da anders, und Schuld daran waren zwei Weltkriege. Musste man 1914 für einen US-Dollar noch 4,20 Reichsmark zahlen, waren es zu Kriegsende bereits 8,90 Reichsmark und auf dem Höhepunkt der Inflation am 15. November 1923 sage und schreibe 4.200.000.000 000 Mark (4,2 Billionen) je Dollar. Dann gelang es der damaligen Regierung, den Spuk einzudämmen, indem sie die Rentenmark einführte – für eine Billion Reichsmark gab es eine Rentenmark. Auch der zweite Weltkrieg führte zu einer Geldentwertung. 1948 wurde das alte Geld für ungültig erklärt und die Deutsche Mark eingeführt. Für 100 Reichsmark Bankguthaben gab es 6,50 DM. Und auch das Geld der ehemaligen DDR wurde nach der Wende – bei Freibeträgen von 2000 bis 6000 Mark, je nach Familienstand – zum Kurs von 2 : 1 umgetauscht. Das freilich war ein Schnäppchenpreis: Der Wert einer DDR-Mark lag, an der Kaufkraft gemessen, nur bei etwa 20 West-Pfennig.
Welche Lösungen gibt es nun aus dem Prospekt-Dilemma? Thiessen setzt sich dafür ein, dass sich die Banken bei ihren Vorsorgeprogrammen wenigstens auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen und mit inflationsbereinigten Zinssätzen sowie gleichen Anspar- und Entnahmezeiten rechnen. So könne wenigstens verhindert werden, dass sich einzelne Anbieter ungerechtfertigte Vorteile verschafften und die Verbraucher weiter in die Irre geführt werden.
(Autor: Hubert J. Gieß)
Weitere Informationen: Technische Universität Chemnitz, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Professur Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Reichenhainer Str. 39, 09107 Chemnitz, Prof. Dr. Friedrich Thießen, Telefon 03 71/531-41 74, Fax 03 71/5 31-39 65, E-Mail:f.thiessen@wirtschaft.tu-chemnitz.de
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