EU-Zulassung für Jülicher Neurostimulator gegen Tinnitus

Eine klinische Studie lieferte erste positive Ergebnisse, eine Auswahl von HNO-Fachärzten wird derzeit für die Anwendung geschult. Der Stimulator basiert auf Forschungsergebnissen aus dem Forschungszentrum Jülich. Entwickelt hat ihn die Jülicher Firma Adaptive Neuromodulation GmbH (ANM).

Prof. Sebastian Schmidt, Vorstandsmitglied des Forschungszentrums Jülich, freut sich über die Erteilung der CE-Marke: „Über zehn Jahre systematischer wissenschaftlicher Arbeit im Forschungszentrum münden nun in Hilfe für Patienten, und dies bei einer Volkskrankheit, von der sehr viele Menschen betroffen sind.“

Das bestätigen erste Ergebnisse einer Studie, die Prof. Peter Tass, Direktor des Instituts für Neurowissenschaften und Medizin im Forschungszentrum Jülich und Erfinder der Therapie, auf einem Fachkongress Ende Januar in Italien präsentierte: Die Lautstärke der Ohrgeräusche und die empfundene Belästigung durch den Tinnitus nahmen kontinuierlich ab – nach zwölf Behandlungswochen bereits um 40 und 33 Prozent -, in der Placebogruppe hingegen nur um

9 und 8 Prozent. Die Tinnitus-Frequenz wurde zudem tiefer und damit angenehmer. Tass ergänzt: „Bei einigen Patienten ist ein Tinnitus-Ton, der schon über viele Jahre bestand, bereits komplett verschwunden.“ Die bisherigen Ergebnisse basieren auf dem Zwischenstand einer klinischen Studie an 45 Patienten.

Eingesetzt wird der Stimulator derzeit für die Behandlung von chronischem, subjektivem, tonalen Tinnitus. Dabei verursachen Fehlsteuerungen im Gehirn das permanente Ohrgeräusch: Statt gezielt und nacheinander feuern Nervenzellen übermäßig und gleichzeitig Signale ab. Diesen Gleichtakt unterbricht der Neurostimulator. Durch gezielte akustische Reize stört er die krankhaft überaktiven, hochsynchronen Nervenzellverbände und führt sie so in ein „gesundes Chaos“ zurück. Basis der Therapie ist die sogenannte Coordinated Reset (CR) Technologie, die der Mediziner, Physiker und Mathematiker Tass am Forschungszentrum Jülich in den vergangenen Jahren entwickelt hat. CR steht für einen mathematisch-physikalischen Stimulationsalgorithmus, der schwache Impulse, individuell angepasst, zu verschiedenen Zeiten an die synchronen Nervenzellverbände schickt und sie so „aus dem Takt“ bringt. „Das Besondere an dem Verfahren ist: Durch diese Stimulation bauen sich die Nervennetzwerke im Hirn wieder um. Deshalb erreichen wir mit unserem Stimulator auch nicht nur eine maskierende Wirkung, sondern eine dauerhafte Linderung der Krankheit“, sagt Tass. „Die ehemals betroffenen Nervenzellverbände verlernen den krankhaften Gleichtakt.“

In der Praxis erfolgt die Therapie bei einem HNO-Facharzt, der bei einer ausführlichen Anamnese erst das individuelle akustische Tinnitus-Profil des Patienten aufnimmt. Dann programmiert er den streichholzschachtelgroßen Neurostimulator entsprechend mit einer koordinierten Tonfolge, deren Lautstärke knapp über der Hörschwelle liegt. Der Patient trägt den Neurostimulator mit seinen medizinischen Kopfhörern für mehrere Stunden pro Tag über einen Zeitraum von mehreren Monaten und danach nur noch nach Bedarf. Die Anwendung erfolgt zu Hause. Da der Tinnitus im Laufe der Therapie tiefer und leiser wird, ist eine mehrmalige Nachjustierung des Stimulators in der HNO-Praxis notwendig.

„Derzeit schulen wir erste HNO-Fachärzte spezifisch auf die Anwendung der neuen Therapie“, sagt Dr. Claus Martini, Geschäftsführer von ANM. „Patienten können sich über eine Liste auf unseren Internetseiten informieren, welche Fachärzte aktuell die Therapie anbieten – zunächst als Privatleistung. Die Kosten liegen bei rund 2500 Euro plus etwa 500 Euro Behandlungskosten durch den Arzt. Der Patient erhält dabei ein Rückgaberecht für den Neurostimulator für den Fall, dass die Therapie nicht anspricht.“

Weitere Informationen:
Adaptive Neuromodulation GmbH (ANM):
www.anm-medical.com/
Liste der bereits geschulten Ärzte:
www.anm-medical.com/presse/therapieanbieter/anm-therapieanbieter.pdf
Kontakt für Patienten und Mediziner:
Firma Adaptive Neuromodulation GmbH (ANM), Tel. 02461 – 690350,
E-Mail: tinnitus@anm-medical.com
Pressekontakt:
Dr. Barbara Schunk, Tel. 02461 61-8031, E-Mail: b.schunk@fz-juelich.de
Erhard Lachmann, Tel. 02461 61-1841, E-Mail: e.lachmann@fz-juelich.de

Media Contact

Peter Schäfer Forschungszentrum Jülich

Weitere Informationen:

http://www.fz-juelich.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Medizintechnik

Kennzeichnend für die Entwicklung medizintechnischer Geräte, Produkte und technischer Verfahren ist ein hoher Forschungsaufwand innerhalb einer Vielzahl von medizinischen Fachrichtungen aus dem Bereich der Humanmedizin.

Der innovations-report bietet Ihnen interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Bildgebende Verfahren, Zell- und Gewebetechnik, Optische Techniken in der Medizin, Implantate, Orthopädische Hilfen, Geräte für Kliniken und Praxen, Dialysegeräte, Röntgen- und Strahlentherapiegeräte, Endoskopie, Ultraschall, Chirurgische Technik, und zahnärztliche Materialien.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Lebensretter unter der Haut

Erstmals in der UMG Defibrillator mit Brustbein-Elektrode gegen den plötzlichen Herztod implantiert. Im Herzzentrum der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) wurde einem Patienten mit Herzrhythmusstörungen erstmals ein neuartiger Defibrillator mit Brustbein-Elektrode implantiert:…

Studie zeigt Zunahme der UV-Strahlung in Mitteleuropa

Langzeitanalyse zu Daten aus dem deutschen UV-Messnetz erschienen: Ausgabejahr 2024 Datum 28.11.2024 In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die UV–Strahlung in Teilen von Mitteleuropa unerwartet stark erhöht. Zwischen 1997 und…

Stundenlanges Fräsen von Umformwerkzeugen passé

Die Großserienfertigung von Bipolarplatten für Brennstoffzellen erfolgt im Sekundentakt. Um eingesetzte Umformwerkzeuge vor Verschleiß zu schützen, werden sie aus hochwertigen Metalllegierungen gefräst. Im Nationalen Aktionsplan Brennstoffzellen-Produktion (H2GO) geht das Fraunhofer-Institut…