Viel versprechender Prototyp für Krebstherapeutika entdeckt
Max-Planck-Wissenschaftler analysieren die Signalketten für Zellalterung und stoßen dabei auf einen neuen Ansatz für die Krebstherapie
Verschiedene zelluläre Mechanismen verhindern, dass Zellen, deren genetische Information (DNA) beschädigt wurde, sich weiter vermehren und den Organismus durch die Bildung von Tumoren schädigen. Die Zellen können sich durch den programmierten Zelltod (Apoptose) selbst zerstören oder durch vorzeitige Alterung (Seneszenz) ihre Zellteilungsaktivitäten einstellen. In der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Journal of Clinical Investigation präsentieren Dimitri Lodygin, Antje Menssen und Heiko Hermeking aus der Arbeitsgruppe Molekulare Onkologie des Max-Planck-Instituts für Biochemie eine Substanz, die Krebszellen quasi frühzeitig „altern“ lässt und so ihre Zellteilung hemmt. LY83583 könnte der Prototyp für eine neue Form von Tumortherapeutika sein, die gegenüber der herkömmlichen Chemotherapie den Vorteil hätten, dass sie die DNA gesunder Zellen des Organismus nicht schädigt.
Im Normalfall werden Zellen, deren genetische Information – beispielsweise durch UV-Bestrahlung – beschädigt wurde, daran gehindert, sich weiter zu teilen: Entweder zerstören sich die Zellen selbst durch programmierten Zelltod, auch Apoptose genannt, oder – und dieser Aspekt ist erst seit kurzem in das Blickfeld tumorbiologischer Forschung gerückt – sie durchlaufen einen vorzeitigen Alterungsprozess, die so genannte zelluläre Seneszenz. Hierbei ist die Zellteilung dauerhaft gehemmt; die Zellen befinden sich quasi in einer Art Ruhezustand. Der Organismus sichert damit letztendlich sein Überleben. Denn eine Anhäufung genetischer Defekte würde unweigerlich – wie bei einer umfangreichen Software, die mit „bugs“, also Programmierfehlern, behaftet ist – zum Absturz des Gesamtsystems führen.
Mit Ausnahme von Keim- und Stammzellen gehen die meisten Zellen des Körpers nach etwa 50 bis 80 Zellteilungszyklen in den Zustand der Seneszenz über. Ausgelöst wird dieser Ruhezustand dadurch, dass die Chromosomen während jeder Zellteilung an ihren Enden, den so genannten Telomerkappen, Stücke verlieren und somit immer kürzer werden. Das führt zur Aktivierung bestimmter Gene und zur Bildung von Proteinen, die ihrerseits eine weitere Vermehrung der Zellen verhindern.
Die momentan in der Krebstherapie eingesetzten Chemotherapeutika als auch Strahlenbehandlungen entfalten ihre Wirkung, indem sie die DNA von Tumorzellen angreifen und so, wie bereits erwähnt, den programmierten Zelltod oder die vorzeitige Alterung auslösen. Ein großer Nachteil dieser Chemotherapeutika ist jedoch, dass sie auch die DNA gesunder Zellen im Organismus schädigen und damit zur Bildung so genannter Sekundär-Tumore beitragen bzw. zum Absterben von sich schnell teilenden, normalen Zellen. Haarausfall und Blutarmut gehören deshalb zu den bei der Behandlung mit Chemotherapeutika auftretenden starken Nebenwirkungen.
In der Arbeitsgruppe Molekulare Onkologie unter Leitung von Heiko Hermeking am Max-Planck-Institut für Biochemie haben sich die Wissenschaftler nun auf die Suche nach Substanzen begeben, die den Zustand der Seneszenz in Tumorzellen auslösen ohne dabei DNA-Schädigungen hervorzurufen. Im Zentrum des Interesses standen für Hermeking und seine Mitarbeiter die Signalketten in alternden Zellen. Die Forscher kultivierten menschliche Bindegewebszellen über einen Zeitraum von etwa 75 Zellteilungszyklen, bis sie in den Zustand der Seneszenz übergingen. Mit Hilfe so genannter Microarrays analysierten die Martinsrieder Onkologen dann, welche Gene in diesem Zustand aktiv oder gehemmt sind. Dabei fanden sie unter den aktivierten Genen einige bereits bekannte Tumorsuppressor-Gene, also Gene, die die Entstehung von Tumoren hemmen.
Parallel wurden Untersuchungen zur Seneszenz-spezifischen Genaktivität an Prostata-Epithelzellen durchgeführt. Diese Ergebnisse veröffentlichten die Max-Planck-Forscher bereits vor vier Wochen in der Zeitschrift Cancer Research. Auch hier waren die Wissenschaftler auf Tumorsuppressor-Gene und weitere, die Zellteilung unterdrückende Gene gestoßen, die spezifisch im Zuge des Alterungsprozesses aktiviert werden. Gene, die zellteilungsfördernd wirken, wurden dagegen während der Seneszenz nur vermindert abgelesen. Einige dieser Gene enthalten die Information zur Bildung von Enzymen.
Genau darin aber sahen die Forscher attraktive Zielstrukturen für neue Krebstherapeutika: Sollte es nämlich möglich sein, genau diese Enzyme, die während der Seneszenz vermindert gebildet werden, durch spezifische Wirkstoffe vollkommen auszuschalten, so könnte es unter Umständen gelingen, die vorzeitige Alterung in Tumorzellen gezielt auszulösen. Zu den während der Seneszenz vermindert gebildeten Enzymen gehört die Guanylat-Zyklase. Ein Hemmstoff für dieses Enzym ist die Substanz LY83583 – und hinter ihr verbarg sich, wie Dimitri Lodygin herausfand, tatsächlich ein die Seneszenz auslösender Wirkstoff (Abbildung 1). Die Wissenschaftler konnten zudem zeigen, dass nach Zugabe von LY83583 das Gen p21 aktiviert wird. Dieses wiederum kodiert für einen Hemmstoff, der Zyklin-abhängige Kinasen blockiert. Interessanterweise wird das p21 Gen zusammen mit etwa 100 anderen LY83583-induzierten Genen auch in jenen Zellen angeschaltet, die durch Kultivierung über mehrere Monate in den Zustand der Seneszenz gebracht wurden.
Der Test an Zellkulturen von verschiedenen Tumortypen brachte die Ergebnisse auf den Punkt: LY83583 hemmt nicht nur die Zellteilung von Brust- und Dickdarmkrebszellen, sondern auch von Zellen des gefürchteten, weil schnell zum Tode führenden malignen Melanoms (schwarzer Hautkrebs). Dabei ist das p21 Gen ein notwendiger Vermittler der Effekte, die durch die Seneszenz-auslösende Substanz LY83583 hervorgerufen werden. p21 wird auch nach DNA-Schädigung, z.B. durch die Gabe von Chemotherapeutika aktiviert. In diesem Zusammenhang benötigt das Gen für seine Aktivierung jedoch ein weiteres Protein, das p53 Gen-Produkt. Genau dieses liegt aber in mehr als 50 Prozent aller Tumore inaktiv vor und macht somit zahlreiche Chemotherapien wirkungslos. Im Gegensatz dazu ist der zellteilungshemmende Effekt von LY83583 unabhängig von einer Aktivierung von p53.
Darüber hinaus fanden die Krebsforscher, dass durch LY83583 in Abwesenheit eines bestimmten Signalmoleküls, des Retinoblastom-Tumorsuppressor-Proteins (pRB), in den Tumorzellen keine Seneszenz, sondern der programmierte Zelltod ausgelöst wird (Abbildung 2). Dieser Effekt macht LY83583 zu einer attraktiven Ausgangssubstanz für die Entwicklung eines tumorspezifischen Therapeutikums; denn in einem Großteil aller Tumore ist genau diese pRb-Signalkaskade defekt. Alles in allem liefern die Studien somit äußerst vielversprechende Ansätze zur Identifizierung neuer Krebstherapeutika.
Originalpublikationen:
Lodygin, D., Menssen, A. and Hermeking, H. (2002): Induction of the Cdk inhibitor p21 by LY83583 inhibits tumor cell proliferation in a p53-independent manner. The Journal of Clinical Investigation 110 (11): 1717 – 1727.
Untergasser, G., Koch, H.B., Menssen, A. and Hermeking, H. (2002): Characterization of Epithelial Senescence by Serial Analysis of Gene Expression: Identification
Weitere Informationen erhalten Sie von:
Dr. Heiko Hermeking
Max-Planck-Institut für Biochemie
Molekulare Onkologie
Am Klopferspitz 18a
82152 Martinsried
Tel.: 089/8578-2875
herme@biochem.mpg.de
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