Sind Tampons geeignete Verhütungsmittel?

Studie über das sexuelle Aufklärungsverhalten von Jugendlichen.

Die vom Münchener Institut für Jugendforschung veröffentlichte Studie zur sexuellen Aufklärung Jugendlicher brachte Erschreckendes hervor: Knapp zwanzig Prozent der befragten 536 Jugendlichen zwischen 12 und 16 Jahren nahmen an, dass Tampons ein geeignetes Verhütungsmittel seien. In den Zeiten von „Bravo“, Aids-Kampagnen und einem – wie man denken sollte – offenen Umgang mit Sexualität überrascht es, dass die Jugendlichen derart mangelhaft aufgeklärt sind. Da stellt sich die Frage, wie heutzutage eigentlich Aufklärung erfolgt? Wer übernimmt diesen Teil der Erziehung und inwieweit spielt das Internet als „anonymer Berater“ eine Rolle? Die Erziehungswissenschaftlerin Alexandra Klein von der Freien Universität Berlin hat sich im Rahmen einer Studie mit diesen Fragen beschäftigt. Sie kam zu dem Ergebnis, dass sich Jugendliche im Kontext ihrer sexuellen Entwicklung gezielt mediale Ressourcen erschließen, um Selbstvertrauen, Orientierung und Sicherheit – also sexuelle Kompetenz – zu erlangen.

Je älter (jugendliche) Kinder werden, desto weniger richten sie sich mit Problemen und sexuellen Fragen an ihre Eltern. Oft wird der Gesprächs- und Orientierungsbedarf, den Mädchen und Jungen bei sexuellen Themen haben, vom Elternhaus nicht hinreichend abgedeckt oder sie sind tabu. Jugendliche ziehen deshalb andere Informationsquellen zu Rate. „Neben Familie, Schule und Peers gibt es verschiedene Medienangebote, wie zum Beispiel „Bravo“ und „Sextra“, das Internetangebot von Pro Familia, die Jugendliche für ihre Auseinandersetzung mit sexuellen Themen nutzen“, sagt Alexandra Klein, die die Studie am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin durchführte.

Mädchen und Jungen haben unterschiedliche Erwartungen, wenn sie sich sexuell entwickeln, und nutzen verschiedene Unterstützungsleistungen ihres Umfeldes, etwa Aufklärungsgespräche in der Familie oder mit Freunden, Sexualkunde in der Schule, Auseinandersetzung mit sexuellen und partnerschaftlichen Vorbildern und Vorstellungen. Die Hindernisse in der familiären Kommunikation sexueller Themen lassen sich idealtypisch und geschlechtsspezifisch kennzeichnen: durch „Intrusion“ (z.B. Einmischung bzw. versuchte familiäre soziale Kontrolle) bei den Mädchen und „Sprachlosigkeit“ bei den Jungen.

Auch in der schulischen Sexualerziehung finden die Jugendlichen aufgrund der gemischtgeschlechtlichen Klassenöffentlichkeit und dem fehlenden Vertrauen in Lehrer und Mitschüler kaum Möglichkeiten, ihre Bedürfnisse nach Information und Austausch zu befriedigen. Statt den Schülern Informations- und Diskussionsanlässe zu bieten, die es ihnen – ohne Angst vor Gesichtsverlust – ermöglichen, sich mit sexuellen Standards auseinanderzusetzen, wird Sexualkunde in der Schule in der Regel auf biologische Aspekte der Sexualität reduziert. Sexuelles Erfahrungslernen wird noch immer bei Mädchen weitaus häufiger sanktioniert als bei Jungen. Auch nach der „sexuellen Revolution“ scheinen Zuschreibungen wie „Schlampe“ oder „Flittchen“ ausschließlich auf Mädchen bezogen zu sein. Aber auch Jungs haben mit spezifischen Normen zu kämpfen: Von ihnen wird verlangt, dass sie „erfahren“ sind. Kaum verwunderlich, dass in diesen Zusammenhängen sexualitätsbezogene Unsicherheiten bleiben.

Jungen und Mädchen befriedigen mit medialen Angeboten wie „Bravo“ und „Sextra“ ihr sexualitätsbezogenes Informationsbedürfnis und erwerben durch sie ein gesteigertes Maß an (Selbst-)Vertrauen, Orientierung und Sicherheit. „Erst dann sind die Jugendlichen dazu bereit, mit intimen Vertrauten zu sprechen, um weiterführende kommunikative und sexuelle Kompetenzen zu erwerben“, so Klein. Die Fragen, mit denen sich Jugendliche an das Dr. Sommer-Team der „Bravo“ wenden, handeln hauptsächlich von Schwierigkeiten in Partnerschaften, mit Eltern und Peers und von dem Umgang mit der eigenen Körperlichkeit. „Es ist verblüffend, wie wenig Jungen und Mädchen über verschiedene Vorgänge in ihren eigenen Körpern wissen.“ Mit der Lektüre der Leserbriefe informieren sich auch diejenigen Jugendlichen, die sich selbst nicht aktiv an das „Bravo“-Beratungsteam wenden. „Sie nutzen die Fragen und Antworten als Möglichkeit zum Abgleich mit den eigenen Erfahrungen und Kenntnissen und als Kommunikationsanlass innerhalb der Peers“, berichtet die Pädagogin. Die Auseinandersetzung mit der „Bravo“ nimmt bei jungen Menschen eine herausragende Bedeutung als „vorbereitende Lebenshilfe“ ein. Allerdings unterliegt das Magazin aus der Sicht der jungen Menschen einer Altersnormierung, so dass sie spätestens mit 15/16 das Informationsbedürfnis der Jugendlichen nicht mehr deckt. Es besteht also die Notwendigkeit, eine ähnliche Informationsquelle für das fortgeschrittene Jugendalter als „Bürgerservice“ zu etablieren.

Das Internet kann dabei als eine informative Ressource dienen. Es bietet die Möglichkeit, anonym zu kommunizieren und erleichtert ein freieres „Sprechen“ über persönliche und sexuelle Themen. Mit den kommunikativen Bedingungen des Internet können die Jugendlichen nicht nur Einblick in schambesetzte Themenfelder erhalten, sondern sie verwirklichen mit der Hinwendung zu dieser internetbasierten Ressource ein Maß an Kontrolle und Selbstbestimmung, das ihnen bei ihren sexuellen Erfahrungen und bei der Bearbeitung sexueller Themen oftmals vorenthalten wird.

Die Studie „Medien der Sexualaufklärung einschließlich des Internet. Eine qualitative Studie mit Jugendlichen“ ist als Diplomarbeit entstanden und wurde mit dem 1.500 Euro dotierten Medien-WAL 2002 (Preis für Wissenschaftlich Außergewöhnliche Leistungen) ausgezeichnet. Dieser medienpädagogische Preis für den wissenschaftlichen Nachwuchs wurde 1997 von der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) ins Leben gerufen. Mit dem WAL-Preis werden herausragende Diplom-, Magister- und Staatsexamensarbeiten aus dem deutschsprachigen Raum prämiert, die sich mit Themen auseinander setzen, die für die Theorie und Praxis der Medienpädagogik sowie für Fragen des Jugendmedienschutzes relevant sind.

Dipl.-Päd. Alexandra Klein, Urbanstr. 137, 10967 Berlin, Tel.: 030 / 6921671, E-Mail: aaklein@web.de

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