Deutschland in moderatem Aufschwung
Das RWI prognostiziert einen Zuwachs des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 3,4% für 2010. In der gegenüber dem Juni 2010 um 1,5 Prozentpunkte erhöhten Prognose spiegelt sich vor allem das unerwartet kräftige Wachstum im zweiten Quartal wider. In der Grundtendenz bleibt die Expansion moderat. Für 2011 erwartet das RWI ein Wachstum von 2,2%. Zudem rechnet das Institut mit sinkenden Arbeitslosenquoten und einer vorübergehend stärker ansteigenden Staatsverschuldung. […]
Alles in allem befindet sich Deutschland zwar in einem Aufschwung, jedoch ist die Lage bei weitem nicht so günstig, wie dies die überraschend starke Zunahme des BIP vermuten lässt. Die deutsche Wirtschaft expandierte im ersten Halbjahr 2010 unerwartet kräftig, das reale BIP lag saisonbereinigt um 1,7% höher als im Halbjahr zuvor. Dazu trugen die stärkere Auslands- und Inlandsnachfrage, hier insbesondere ausgeweitete Anlage- und Bauinvestitionen sowie ein gestiegener Staatsverbrauch, bei. Außerdem füllten wohl viele Unternehmen ihre Lager wieder auf. Verbessert hat sich auch der private Konsum, der zuletzt vom Arbeitsmarkt Impulse erhielt. Die Ausfuhren belebten sich deutlich, weil der Welthandel den tiefen Einbruch des vergangenen Jahres inzwischen wieder wettgemacht hat. Zum BIP-Wachstum trugen jedoch auch zahlreiche Sonderfaktoren wie Konjunkturprogramme und Witterung bei. Weder die Produktion noch die Auftragseingänge haben aber bisher das vor der Finanzkrise beobachtete Niveau erreicht. In den Sommermonaten stagnierte die Industrieproduktion nahezu.
Vor diesem Hintergrund erhöht das RWI seine BIP-Prognose für dieses Jahr auf 3,4%, nachdem es im Juni noch von 1,9% ausgegangen war. Dies spiegelt insbesondere den unerwartet starken Anstieg des BIP im zweiten Quartal 2010 wider. Für das nächste Jahr erwartet das RWI eine BIP-Zunahme um 2,2%, nachdem es im Juni 1,7% prognostiziert hatte. Dabei dürfte die Inlandsnachfrage moderat, allerdings stetig ausgeweitet werden. Bei allmählich steigender Kapazitätsauslastung und anhaltend niedrigen Zinsen ist mit weiter zunehmenden Ausrüstungsinvestitionen zu rechnen. Auch die Konsumnachfrage dürfte leicht zum Wachstum beitragen. Die Baukonjunktur hingegen wird wohl durch das auslaufende Investitionsprogramm und die schlechte Finanzlage der Kommunen gedämpft werden. Von der Außenwirtschaft wird ein geringerer Wachstumsbeitrag erwartet.
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird sich dabei voraussichtlich weiter verbessern und die Zahl der Arbeitslosen unter 3 Millionen sinken. Der Beschäftigungsanstieg dürfte sich fortsetzen, wenn auch langsamer. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass die Kurzarbeit bis Ende 2011 unter das Niveau vor der Rezession sinkt. Da zudem das Arbeitsangebot aus demographischen Gründen rückläufig bleiben wird, ist mit einem Rückgang der Arbeitslosenquote auf jahresdurchschnittlich 7,7% beziehungsweise 7,3% zu rechnen.
Flexiblere Arbeitsmärkte und relativ solide Haushalte sorgten für Stabilität in der Krise
Die staatliche Defizitquote wird im Jahr 2010 aufgrund der expansiven Ausrichtung der Finanzpolitik wohl von 3 auf 3,9% in Relation zum BIP steigen. Die Lage der Staatsfinanzen würde sich damit zwar weiter verschlechtern, infolge der insgesamt günstigeren Konjunktur aber deutlich weniger als bislang angenommen. Im kommenden Jahr ist bei dem angekündigten Einschwenken auf einen Konsolidierungskurs mit einem Rückgang der Defizitquote auf 3,0% zu rechnen.
Die Teuerung dürfte moderat bleiben. Zwar dürften die erhöhten Rohstoff- und Energiepreise nach und nach an die Verbraucher weitergegeben werden. Bei noch schwach ausgelasteten Kapazitäten bleiben die Überwälzungsspielräume in vielen Bereichen aber gering. Das RWI erwartet daher eine nur moderate Erhöhung der Inflation auf 1,1% beziehungsweise 1,5%.
Dass Deutschland die Rezession aus heutiger Perspektive glimpflicher überstanden hat als viele andere Länder, ist auch den Weichenstellungen der Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre zu verdanken. Die Reformen des Arbeitsmarktes dürften wesentlich zu der robusten Beschäftigung beigetragen haben. Auch waren die öffentlichen Haushalte vor der Rezession in einer relativ guten Verfassung, so dass die Fehlbeträge aufgrund des Konjunktureinbruchs vergleichsweise wenig zunahmen und nicht das alarmierende Niveau anderer Länder erreichten. Dies sind gute Argumente dafür, weder in dem Bemühen um flexible Arbeitsmärkte noch bei der Haushaltskonsolidierung nachzulassen.
Weltwirtschaft hat Finanzkrise noch nicht ganz überwunden
Die weltwirtschaftliche Produktion expandiert zwar schon seit fünf Quartalen, die Finanzkrise ist aber noch nicht überwunden. Die Finanzmärkte sind nach wie vor sehr volatil, und internationale Investoren bevorzugen sichere und liquide Anlagen. Zuletzt hat zudem die Erholung weltweit sowohl in den Industrie- als auch in den Schwellenländern nachgelassen, die bisher eine wichtige Stütze der internationalen Konjunktur waren. Insbesondere in China hat sich der Produktionsanstieg durch die restriktivere Wirtschaftspolitik verringert.
Der internationale Warenaustausch verläuft seit Mitte des vergangenen Jahres deutlich günstiger als die weltweite Produktion. Zum Teil dürfte dies darauf zurückzuführen sein, dass durch die intensivere internationale Arbeitsteilung Produktionsänderungen stärker auf den Welthandel durchschlagen als früher. Allerdings war es durch die Finanzkrise wohl zeitweise auch schwierig, internationale Geschäfte zu finanzieren, wofür der außerordentlich tiefe Fall des Welthandels im vergangenen Jahr spricht. Diese Finanzierungsprobleme konnten wohl auch dank staatlicher Bürgschaften ab dem Frühjahr 2009 zumindest teilweise behoben werden. Es ist aber zu erwarten, dass der zuletzt beobachteten Erholung des Welthandels eine Phase schwächerer Expansion folgen wird. Der reale Welthandel mit Gütern wird voraussichtlich wegen des Aufholeffekts 2010 deutlich um 15,0% zunehmen. Für 2011 erwarten wir ein Wachstum um 5,5%.
Expansion der Weltwirtschaft dürfte sich deutlich verlangsamen
Dämpfend wird im Prognosezeitraum voraussichtlich die Finanzpolitik wirken. In vielen Ländern hat die Staatsverschuldung während der Rezession dramatisch zugenommen, so dass es schwierig wurde, neue Titel an den Finanzmärkten zu platzieren. In zahlreichen Staaten wurden daraufhin Konsolidierungsprogramme verabschiedet. Die Geldpolitik dürfte hingegen bei weiterhin niedrigen Inflationserwartungen und immer noch unterausgelasteten Kapazitäten zumeist ihren expansiven Kurs beibehalten.
Alles in allem erwartet das RWI eine deutlich langsamere Expansion der Weltwirtschaft als bisher. Die weltwirtschaftliche Produktion dürfte (auf Dollarbasis) nach einem Anstieg um 3,3% in diesem Jahr im kommenden um 2,6% expandieren. In den Industrieländern dürfte sich die Investitionstätigkeit zwar weiter beleben, die Investitionsquote aber im längerfristigen Vergleich gering bleiben. Die Konsumnachfrage wird voraussichtlich aufgrund der vielfach hohen Arbeitslosigkeit und der in manchen Ländern beträchtlichen Verschuldung der privaten Haushalte schwach bleiben. Insbesondere in den Schwellenländern dürfte sich die Konjunktur abschwächen, weil die Wirtschaftspolitik dämpft und die voraussichtlich nur langsam steigende Nachfrage in den Industriestaaten den für diese Länder nach wie vor wichtigen Außenhandelssektor belastet.
(veröffentlicht in „RWI Konjunkturberichte“, Heft 2/2010)
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